Essen. Sorge um Kinder im Essener Norden: Nach einem Jahr Lockdown seien viele dick und dauermüde, haben Lehrer festgestellt. Maßnahmen geplant.
Insgesamt 21 Schulleiter, Sportlehrer sowie Vereinsvertreter aus dem Essener Norden haben eine eindringliche Petition verfasst, die vorschlägt, wie Kindern und Jugendlichen sofort zu mehr Bewegung verholfen werden kann. „Viele haben durch Corona ein ganzes Jahr an Entwicklung verloren, was körperliche und geistige Fähigkeiten angeht“, fasst Ulf Gebken zusammen, Sportwissenschaftler an der Uni Duisburg-Essen. „Es gibt sogar Rück-Entwicklungen, unter anderem im Sprachvermögen.“
Grundschullehrer im Essener Norden stellten fest: Viele Kinder hätten während der Monate der Schulschließungen erheblich an Gewicht zugenommen. Manche hätten sich einen völlig unstrukturierten Tag-/Nacht-Rhythmus zugelegt. „Dass Kinder manchmal im Unterricht einschlafen, kam durchaus schon vor Corona vor“, berichtet Ulf Gebken. „Aber dass man sie gar nicht mehr wecken kann, ist neu.“ Diese Erlebnisse hätten Schulleiter berichtet. Es gebe Jugendliche, die hätten regelmäßig im Kaiser-Wilhelm-Park in Altenessen Fußball gespielt, „die sind ein halbes Jahr nicht ein einziges Mal gesehen worden. Wir wissen, dass die nicht rausdurften, weil die Familien Angst vor Ansteckung hatten. Das heißt, die waren wirklich die gesamte Zeit in den Wohnungen.“
Die Vernetzung im Quartier ist längst da
Das Bündnis aus Vertretern von Altenessener Schulen, Sportvereinen und anderen Einrichtungen ist nicht erst seit Corona aktiv: Die beteiligten Schulen legten seit Jahren einen Schwerpunkt auf Sport und Koordination, kooperieren mit Sportclubs und Verbänden. Ulf Gebken, der Direktor des Instituts für Sport- und Bewegungswissenschaften, öffnet seit Jahren regelmäßig sonntags die Turnhallen von Grundschulen im Essener Norden und verschafft so Kindern ein Bewegungsangebot. Viele Beteiligte haben ein besonderes Augenmerk auf das AG-Angebot an den Schulen; die Vernetzung im Quartier ist längst da und wird seit Jahren gepflegt.
Trotzdem: Corona schafft neue Herausforderungen; „wir wissen nicht, ob und wie schnell die Kinder und Jugendlichen dieses unbewegte Jahr wieder aufholen“, schreiben die Unterzeichner der Petition.
Jetzt gefragt: spontanes, unkompliziertes Mitmachen
Was es jetzt braucht: Sport- und Bewegungsangebote müssen – trotz Corona - deutlich sichtbarer in den Alltag der Kinder und Jugendlichen gebracht werden. Sie sollten „an verschiedenen Orten zu einem spontanen, unkomplizierten Mitmachen animiert werden.“ Konkret: Das Spielmobil des Vereins „Sport und Bildung“ werde täglich Schulhöfe, Parks und Spielplätze im Essener Norden aufsuchen. Das Sport-AG-Angebot an den Schulen müsse weiter ausgebaut werden.
„Was Sportvereinen zurzeit verboten ist“, sagt Gebken, „ist Schulen durchaus erlaubt.“ Zum Beispiel die Turnhallen zu benutzen, so lange die Größe der Teilnehmergruppe eine gewisse Grenze nicht überschreitet. Und Bewegungs-Angebote, die es bislang nur in den Ferien gab, müssten verstetigt werden. Die Petition listet weitere, konkrete Maßnahmen auf. „Denn dass Kinder und Jugendliche wieder normal Sport machen können wie vor Corona“, gibt Gebken zu bedenken, „ist wohl erst dann möglich, wenn die Kinder geimpft sind. Und wann das sein wird, weiß jetzt noch niemand.“
Die Befunde der Grundschul- und Sportlehrer der letzten Wochen sind nicht neu. Bereits im Februar hatten mehr als 40 Essener Kinderärzte einen dramatischen Brief an Oberbürgermeister Thomas Kufen verfasst – mit ganz ähnlichen Beobachtungen aus den Arztpraxen in den letzten Wochen. Trotz vieler Gespräche, die seitdem – auch seitens des Oberbürgermeisters – gemacht wurden: „Geändert hat sich an der Situation wenig“, bedauert Gebken. „Wir müssen nicht nur über die Folgen von Corona reden, wir müssen auch damit anfangen, sie auszugleichen“ So wäre es zum Beispiel hilfreich, wenn alle Jugend- und Sozialverbände, die ein Spielmobil unterhielten, das Gefährt ab sofort auch verstärkt einsetzen würden.