Essen. Zwei Stunden weniger sind auch genug: Ab Montag will die Stadt den Betrieb in Messehalle 4 stutzen. Es ist der Anfang vom Ende des Impfzentrums.

Erst mangelte es an Stoff, jetzt fehlen die Patienten: Dieser Montag ist der 169. Betriebstag im Essener Impfzentrum auf dem Messegelände, und so leer, seufzt Dr. Stefan Steinmetz, war’s hier seit dem 8. Februar noch nie. Zum ersten Mal gibt es heute keine fest vereinbarten Impftermine, es kommt, wer kommt, und das sind viel viel weniger als erhofft. „Leider“, sagt der Ärztliche Leiter der Einrichtung – und ahnt, dass dies der Anfang vom Ende ist.

Nach außen sichtbar wird dies voraussichtlich ab kommenden Montag, wenn das Impfzentrum seine Öffnungszeiten um zwei volle Stunden verringert und nur noch von 10 bis 18 Uhr zum Piks lädt. Die Regelung, sie muss noch vom Land abgesegnet werden, weil das Gesundheitsministerium vergangene Woche per Erlass eigentlich eine einheitliche Kernöffnungszeit von 14 bis 20 Uhr verfügte.

Zwei impffreie Tage, wenn die Nachfrage weiter nachlässt

Er plädiert für „sanften Druck“ auf Ungeimpfte, um die gewünschte „Herden-Immunität“ zu erreichen: Dr. Stefan Steinmetz, ärztlicher Leiter des Impfzentrums in Messehalle 4.
Er plädiert für „sanften Druck“ auf Ungeimpfte, um die gewünschte „Herden-Immunität“ zu erreichen: Dr. Stefan Steinmetz, ärztlicher Leiter des Impfzentrums in Messehalle 4. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Doch auch andernorts wie etwa in Düsseldorf pfeifen sie auf derlei starre Vorgaben und machen dienstags und donnerstags bereits eine Impfpause. Eine ähnliche Regelung peilt Essen an, wenn eine kleine Welle anstehender Zweitimpfungen abgearbeitet ist, die noch mal bis zu 1000 Leute am Tag in die Messehalle 4 spülen dürfte. Danach, so signalisiert Stadtsprecherin Silke Lenz, spiele die Stadt mit dem Gedanken, den Montag und Dienstag impffrei zu halten und nur mittwochs bis sonntags von 10 bis 18 Uhr die Ärmel hochzukrempeln.

Ob es so kommt – abwarten. Zwar hat das Land gemahnt, die Impfzentren sollten auch das medizinische und pharmazeutische Personal „auf das erforderliche Maß (...) reduzieren“. Doch dummerweise ist ja die Mission noch nicht erfüllt: Laut einer Statistik der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein haben sie im zentralen Impfzentrum 214.781 Erst- und 166.583 Zweitimpfungen zur städtischen Bilanz beigetragen. Die Impfquote, gemessen an der Gesamtbevölkerung, liegt jetzt bei 62,4 Prozent (mit einer Impfe), den vollen Schutz weisen inzwischen 47,4 Prozent der Bürgerinnen und Bürger auf.

Hingehen, wenn die Leute nicht von sich aus zum Impfen kommen

Das ist fraglos eine ganze Menge, aber eben nicht genug für die erhoffte „Herden-Immunität“. Weshalb das gelöste Problem des fehlenden Impfstoffs nun durch ein neues abgelöst wird: Wie kriegt man die Leute dazu, sich immunisieren zu lassen?

Hingehen und nicht warten, dass sie kommen, lautet eine Devise. So feiert die Stadt mit den Impf-Aktionen in den Stadtteilen kleine Erfolge, demnächst soll an der Uni im Segeroth geimpft werden, vielleicht auch mal bei Rot-Weiss Essen und den Moskitos. Zudem hat Steinmetz sämtliche Sportvereine angeschrieben, während das Impfzentrum, statt Däumchen zu drehen, kurzerhand Spaziergänger im benachbarten Grugapark ansprach, ob sie nicht vielleicht doch… Erstaunliches Ergebnis: Schon am ersten Tag dieser Aktion ließen sich gleich 30 Personen eine Impfung verpassen. Und keiner, der sich über die direkte Ansprache mokierte.

Essens Impfchef vermutet bei Impfmüden vor allem Bequemlichkeit

Ein mühsames Geschäft, keine Frage: „Die Interessierten, die uns Druck gemacht und die Bude eingerannt haben, als noch der Impfstoff fehlte, die sind durch“, sagt Impf-Chef Steinmetz. „Jetzt müssen sich alle nach der Decke strecken.“

Warum so viele Menschen sich (noch) nicht impfen lassen? Psychologie ist nicht sein Fachgebiet, aber Steinmetz hat da so eine Ahnung: „Das sind sicher nicht alles eingefleischte Impfgegner und Aluhüte“, beteuert er. Und vermutet neben reichlich Unwissen („Ach, die Priorisierung ist schon aufgehoben?“) vor allem dies: Bequemlichkeit. Dazu womöglich auch eine gehörige Portion Ignoranz. „Motto: Krank werden immer nur die anderen.“

„Es passiert nicht viel, wenn von oben kein Druck gemacht wird“

Steinmetz gehört deshalb zu denen, die sich Privilegien für Geimpfte wünschen: im Restaurant oder im Kino, im Hotel oder bei Reisen mit dem Flugzeug. „Wer sich solidarisch hat impfen lassen, für sich selbst, seine Familie und die Gesellschaft“, sagt er, der solle an anderer Stelle ruhig davon profitieren: „Es passiert nicht viel, wenn von oben kein Druck gemacht wird“. „Sanfter Druck“, wohlgemerkt: Einen echten Impfzwang lehnt Steinmetz ab, „das bringt nichts“.

Und so passiert immer häufiger, was er noch vor wenigen Wochen auf Teufel komm raus zu verhindern suchte: Wenn sich am Abend für angebrochene Impf-Ampullen keine Impflinge mehr finden, kommt der gestern noch so sehnlichst vermisste Stoff – in den Ausguss.