Essen. Museum Folkwang macht den Berliner Platz zum Auftrittsort für ökologische und kulturelle Initiativen. Auch eine Herde Schafe gehört zum Projekt.
Zukunftsort Verkehrsinsel: Auf dem Kreisel am Berliner Platz in Essen gehen die Vorbereitungen für das „Eco-Village“ weiter. Ab dem 21. Mai eröffnet das Museum Folkwang dort eine ungewöhnliche Dependance. Zum 100. Geburtstag des Museums geht das Haus neue Wege – und landet mitten in der nördlichen Innenstadt. Das Versprechen, das Museum zur Stadt hin zu öffnen und auf die Menschen zuzugehen, die vielleicht nicht in Ausstellungen kommen, hat Museumsdirektor Peter Gorschlüter schon zu seinem Amtsantritt gemacht. Im Jubiläumsjahr wird das Vorhaben nun auf spektakuläre Weise umgesetzt. Mit einem mehrwöchigen Programm, das ganz auf öffentlichen Diskurs, gesamtgesellschaftliche Teilhabe und ökologische Nachhaltigkeit setzt. Mitten im brausenden Stadtverkehr.
Marcus Ambach, der das Programm mit seiner Projektplattform MAP betreut, ist in diesen Tagen eine Mischung aus Künstler, Netzwerker und Freizeitgärtner, der inmitten von wild wucherndem Straßengrün Kunst, Stadt und Leben zusammenbringen will. Dabei hat auch er den Berliner Platz zunächst als ziemlich unwirtliche „Leerstelle“ empfunden. „Ich fand diesen Kreisel auf den ersten Blick extrem unangenehm, dystopisch“. Doch genau das soll „Folkwang und die Stadt“ bezwecken – neue Zugänge schaffen zu Orten, Themen und Zukunftsfragen, die sonst nicht unmittelbar auf der Agenda des Museums stehen.
Seit einiger Zeit nimmt das „Öko-Dorf“ also Gestalt an. Die Zäune sind gesetzt, pünktlich zur Eröffnung wird es dann vom Einkaufszentrum Limbecker Platz auch einen eigenen Übergang mit einer extra Fußgängerampel geben, die den sonst eigentlich unerreichbaren Kreiselort erschließt. Die technisch vielleicht herausforderndste Aufgabe des Projekts, sagt Ambach, der voll des Lobes ist für die Unterstützung der städtischen Verkehrsplaner. In den vergangenen Tagen mussten die Autofahrer rund um den Kreisverkehr deshalb einige Behinderungen hinnehmen, doch damit sei es in zwei, drei Tagen erledigt, verspricht der Düsseldorfer Künstler, der im Sommer auch die Kasseler documenta mit einem Projekt im öffentlichen Raum bespielt.
Die lokale Szene soll eingebunden werden und für sich selber sprechen
Ambach geht es dabei nicht um vorgefertigte Lösungsvorschläge für gesellschaftliche Fragen, um Kunst, die wie ein Satellit in der Stadt landet, sondern darum, „die lokale Szene miteinzubinden, von ihr zu lernen und sie auch selber sprechen zu lassen“. Also machen viele mit: Die Leute von Fridays for Future werden ihre Parzelle auf dem Berliner Platz ebenso haben wie Vertreter von die „Essbare Stadt“, es geht um Themen wie Urban Gardening, und die kreislauffähigen Wohnmodule von „Futur2k“ sind auch schon da. Das Essener Start-up wird sich mit den Besuchern beispielsweise über nachhaltige Dämmmaterialien unterhalten.
Diese könnten vielleicht sogar von gegenüber kommen. Auf einer Wiese mitten in der Grünen Mitte werden ab Mitte Mai Schafe grasen. Die Künstlerin Folke Köbberling hat ihnen sogar einen archaisch anmutenden Schaf-Stall inmitten des Wohnviertels gebaut. Eine Entwurfsbild auf der Folkwang-Homepage, die die Schafe noch mitten auf dem Berliner Platz verortet, hatte zuvor allerdings für Irritationen gesorgt und Kritiker in den sozialen Medien auf den Plan gerufen. Mancher sah die Kunst schon als einen Fall für den Tierschutz.
Warum die Schafswolle in Europa nur noch Sondermüll ist
Dabei sollen es die Schafe in Essen gut haben. Anlieger sollen sie betreuen und morgens auf die Wiese führen, wo sie dann ihre Funktion als vierbeinige „Rasenmäher“ erfüllen können. Als kuschelige Wollpulli-Lieferanten, wie mancher noch denkt, haben sie hierzulande längst ausgedient. In Europa gebe es keine weiterverarbeitende Industrie mehr, die geschorene Wolle müsse teilweise sogar als Sondermüll entsorgt werden, so Ambach. Dabei könnte sie auch hervorragend als Isolationsmaterial fungieren.
Alternativen aufzeigen, Prozesse anstoßen, gemeinsam Lösungen erarbeiten. „Folkwang und die Stadt“, so Ambach, soll kein „einmaliger Aufschlag“ sein, sondern bestenfalls der Anfang eines „profunden Weiterdenkens“ von Zukunftsthemen. Neben Fragen von Klimaschutz und Nachhaltigkeit geht es dabei auch um Integration, kulturelle Vielfalt, Digitalität und Stadtentwicklung.
Folkwang und die Stadt
Das Projekt „Folkwang und die Stadt“ läuft vom 21. Mai bis zum 7. August. Am Ausstellungs-Parcours sind renommierte Künstlerinnen und Künstler wie Jeremy Deller, Anouk Kruithof und Simon Starling, sowie zahlreiche lokale Initiativen beteiligt.Verschiedene Projekte führen durch das multikulturelle Viertel der nördlichen Innenstadt, vorbei am Weberplatz, Kopstadtplatz, über die Viehofer Straße zum Eltingviertel und durch die „grüne Mitte essen“ zurück zum Berliner Platz. Mehr Infos: folkwangundiestadt.net
Gemeinsam mit Initiativen, Communities und Vereinen will man damit in den kommenden Wochen möglichst viele Essener ansprechen: Mit akustischen Stadtrundgängen und Besuchen in der Justizvollzugsanstalt, im ausgedienten China-Restaurant und in einer ehemaligen Tabledance-Bar, im Tattoostudio und bei Ikea oder bei einer „Expo Alternativ“ in Dirk Bußlers Konsumreform am Kopstadtplatz. Einer von vielen Orten, die nach Ambachs Meinung zeigen „was die Essener Stadtgesellschaft drauf hat“. Er jedenfalls sei „beeindruckt, wie viele ehrenamtlich engagierte Menschen es hier gibt. Das habe ich so noch nicht erlebt.“