Essen. Essenerinnen berichten von sexueller Belästigung – „Catcalls of Essen“ gibt ihnen eine Stimme. Welche Sprüche vor allem Frauen ertragen müssen.
Dem Sexismus in der Gesellschaft entgegensetzen – das ist das Ziel der Gruppe „Catcalls of Essen“. Die Aktivistinnen und Aktivisten sind seit mehr als einem Jahr mit Straßenkreide unterwegs, um auf sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum aufmerksam zu machen. Sie schreiben Anmach-Sprüche auf Straßen, Plätze und Bürgersteige, schildern Belästigungen. Mehr als 150 solcher Vorfälle haben sie in Essen bereits im wahrsten Sinne des Wortes angekreidet. Dabei falle auf, dass sich ein Großteil in der Essener Innenstadt und im Umfeld des Hauptbahnhofs ereigne, sagen sie.
„Wir prangern in der Regel dort an, wo es auch passiert ist“, sagt Janet. Die 21-jährige Auszubildende ist seit Beginn dabei. Ihre Nachnamen nennen die Gruppenmitglieder zum Schutz ihrer Privatsphäre nicht. Zum engeren Kreis gehören vier Mitglieder, ein Team aus zehn weiteren ist für die Aktion auf den Straßen unterwegs. Über den Instagram-Account @catcallsofessen sammeln sie Nachrichten von Frauen und Männern, die Sexismus erlebt haben – der Großteil der Zusendungen kommt allerdings von Frauen.
Was der Begriff „Catcalling“ bedeutet
- Catcalling (übersetzt bedeutet es etwa „Katzenrufen“) bezeichnet verbale sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum, die mehrheitlich Frauen betrifft.
- Dabei handelt es sich um übergriffige Aufforderungen, sexuell aufgeladene Kommentare, Hinterherpfeifen oder Johlen.
- Catcalling ist bislang keine eigene Kategorie im Strafrecht, je nach Vorfall kann es sich aber um Beleidigung oder sexuelle Belästigung handeln.
- In Essen bietet nach sexueller Belästigung oder gar Gewalt die Frauenberatung Hilfe an. Der Notruf ist unter 0201 78 65 68 zu erreichen, weitere Informationen gibt es unter frauenberatung-essen.de
- Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist rund um die Uhr unter 08000 116 016 zu erreichen.
Sie müssen sich Sprüche anhören wie „Guck mal, ist die geil“, „Wir haben viele Ideen, was wir mit dir anstellen können“, „Ruf mich an“ oder „Seid nicht so zickig, die Lust kommt beim Machen“. Es sind auch viele Schimpfworte und vulgäre Ausdrücke dabei, die auf den Kreidebildern zensiert werden – schließlich lesen auch Kinder und Jugendliche sie.
Frauen berichten über Belästigung in der Essener Innenstadt
„Er kam uns immer näher, hat angefangen uns anzugrabschen und wollte meine Nummer haben“, schreibt eine Userin über einen Vorfall in der Essener Innenstadt. Eine andere berichtet, dass ein Mann sie in der Bahn angefasst und gesagt habe: „Ich bin Masseur. Möchtest du mit zu mir kommen?“ Am Hauptbahnhof wurden Frauen erst nach Geld gefragt – als sie verneinten, bekamen sie zu hören: „Kein Problem. Wir nehmen auch Sex.“
In einem Geschäft in der Innenstadt bat eine Frau einen Kunden, sich die Hände zu desinfizieren, er entgegnete: „Ich fasse nichts an – außer Sie vielleicht.“ Ein lesbisches Paar macht auf die Homophobie aufmerksam, die ihm in Essen begegnet, regelmäßig würden sie angepöbelt, schreiben die Frauen. Und das sind nur einige wenige Beispiele, die bei „Catcalls of Essen“ eingehen.
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Die Liste ist lang, auf mehr als 150 Nachrichten hätten sie noch gar nicht reagieren können, sagt Janet. „Catcalls passieren zu jeder Uhrzeit“, sagt sie. „Was öfter abends passiert sind Verfolgungen.“ Es komme vor, dass Männer die Frauen verfolgen, wenn die nicht auf die Anmachsprüche reagierten. Sie selbst habe beim Gang durch die dunkle Innenstadt zwar keine Angst, beobachte aber, dass sie sich nach Geschäftsschluss viel öfter umschaut, wenn sie allein ist. „Das kommt auch durch die vielen Nachrichten, die wir geschickt bekommen. Ich bin achtsamer geworden.“
Gruppe will Sexismus in Essen zum Thema machen
Es gibt auch Berichte über körperliche sexuelle Belästigung: Berührungen am Oberschenkel, Kniffe in den Po, ein Griff in den Schritt. Wichtig ist es dem Instagram-Team dann, Unterstützung zu vermitteln. „Wir verbreiten über unseren Account auch Hilfsangebote“, sagt Janet. Was sie gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern vor allem erreichen will, ist mehr Sensibilität für das Thema Sexismus. Auch bei denjenigen, die sie bisher nicht selbst erlebt haben oder zwar selbst schon Opfer waren, aber sich dessen nicht bewusst sind.
Immer wieder werden sie beim Ankreiden angesprochen, kommen mit Passantinnen und Passanten ins Gespräch über das Thema. „Es ist uns wichtig, dem Thema Raum zu geben“, sagt Lasse (24). „Viele schreiben uns auch, dass es ihnen bei der Bewältigung ihrer Erfahrungen hilft.“ Der Student Lasse engagiert sich bei „Catcalls of Essen“, weil er weiß, dass er sich als Mann weniger Sprüche anhören muss. „Ich persönlich fühle mich recht sicher in der Stadt, aber da bin ich einfach auch privilegiert“, sagt er. So lange es immer noch viele Zuschriften gibt, wollen er und seine Mitstreiterinnen weiter machen.