Essen. In Essens nördlicher Innenstadt stirbt einer der letzten Fachhändler vom alten Schlag. Die Firma Jensch lebte erst vom Bergbau, sattelte dann um.

Ein Stück Essener Montan-Geschichte steckt unauffällig zwischen einem griechischen Café und einem Sex-Shop, von dessen Schaufenster die Klebebuchstaben abblättern. Willkommen an der Friedrich-Ebert-Straße, nördliche Innenstadt, in direkter Nachbarschaft zum Viehofer Platz. Weiß Gott nicht die beste Gegend; hier gibt es nicht unbedingt das, was man „Laufkundschaft“ nennt: flanierendes Volk. Doch wer zu Firma Jensch wollte, der kam: ein Fachhandel, wie es ihn immer seltener gibt. Am Mittwoch, 30. Juni, ist letzter Betriebstag bei Jensch, dem alteingesessenen Maschinen- und Werkzeughandel. Dann ist Schluss für immer – nach 102 Jahren.

Essens Bergbau-Geschichte endet 1986

Mit dem Ende von Schacht 12 auf Zollverein am 23. Dezember 1986 endete die Geschichte der Stadt Essen als Zechenstadt. Ab dem 14. Jahrhundert hatte es im Stadtgebiet rund 1500 Abbau-Betriebe gegeben - darunter sehr viele Kleinst-Zechen oder Stollen, von denen heute nichts mehr zu sehen ist.An Fördergerüsten erhalten sind in Essen von Zollverein Schacht 12, Schacht 1/2/8, Schacht 3/7/10 (Katernberg); Zeche Amalie (Altendorf), Zeche Heinrich (Überruhr) sowie die Zeche Carl Funke (Heisingen).

Karabiner, Seile, Arbeitshandschuhe: Zuletzt wurden bei Jensch auch alte Bestände verkauft, die an die Anfangszeit des Unternehmens erinnern.
Karabiner, Seile, Arbeitshandschuhe: Zuletzt wurden bei Jensch auch alte Bestände verkauft, die an die Anfangszeit des Unternehmens erinnern. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Vielleicht wunderten sich Passanten immer schon darüber, warum die Firma Jensch mit Lichtreklamen der Hersteller „Kärcher“ und „Honda“ an seiner Fassade wirbt. Was haben Hochdruckreiniger mit Motorrädern zu tun? „Von Honda“, klärt Manfred Jakubowski auf, „gibt es nicht nur Motorräder. Die bauen auch Generatoren. Die haben wir viele Jahre sehr erfolgreich verkauft.“ Jakubowski ist der letzte Geschäftsführer, den die Firma Jensch hat und hatte; 1980 trat der gelernte Groß- und Einzelhandelskaufmann in die Firma ein, 2001 übernahm er ihre Leitung. „Die anderen sind alle schon im Ruhestand, ich bin der letzte Mohikaner“, sagt Jakubowski und lacht milde.

Die Firmengeschichte ist nur mündlich überliefert: 1919 fing Gründer Eduard Jensch in Rüttenscheid damit an, Seile, Kräne und Ketten zu verkaufen. Hubwerk und Hebewerkzeug nennt man das, und wenn man jetzt fragt: Wozu brauchten Menschen im Jahr 1919 denn bitteschön Kräne? Dann hat man nicht verstanden, dass damals geschätzt rund 100 Zechen im Stadtgebiet aktiv waren. „Was die Firma verkaufte“, sagt der Geschäftsführer, „wurde unter Tage benötigt.“

Die ganzen Betriebe sind nicht mehr da

Die Kinder des Firmengründers machten so weiter, erweiterten das Angebot um hochwertiges Werkzeug, und Jakubowski erinnert sich daran, wie ein Großteil seines Angestellten-Lebens daraus bestand, die großen und kleinen metallverarbeitenden Betriebe in Essen und im Umkreis mit gutem Arbeitsmaterial zu versorgen. „Die ganzen Schlosserbetriebe, die Bergbau-Zulieferer, die gibt es ja heute nicht mehr.“ Er fuhr Schraubenschlüssel jeder Größe durch die Gegend und Hämmer für alle Zwecke – die Leute in den Werkstätten kannten ihn. „Das ist anders als heute, wo in einem Industrie-Unternehmen ein Einkäufer sitzt, der das Werkzeug bestellt. Der kommt frisch von der Uni und achtet nur auf Zahlen.“ Dass man so jemandem, meint Jakubowski, nicht erfolgreich vermitteln kann, warum ein 15er-Maulschlüssel durchaus 15 Euro kosten darf und nicht drei Euro fünfzig, erschließt sich wohl von selbst. „Unsere Werkzeuge kamen häufig aus dem Sauerland, echte Wertarbeit. Die können preislich natürlich mit China nicht mithalten.“

Das ist hier kein Baumarkt: Hochdruck-Reiniger für den professionellen Anspruch

Als um die Jahrtausendwende Jakubowski Geschäftsführer wurde, waren mit dem Bergbau und seinen Zulieferern natürlich längst keine Geschäfte mehr zu machen; man sattelte um auf die Hochdruck-Reiniger von Kärcher, vor allem professionelle Betriebe hatte man im Blick, bot auch Reparaturen an. Das lief, sagt Jakubowski, bis zuletzt gut. „Zu uns kamen die mit professionellem Anspruch. Also jene, die nicht im Baumarkt fündig werden.“ Tatsächlich stehen jetzt noch bei Jensch gebrauchte (!) Kärcher-Apparate im Fenster, die das Vielfache eines günstigen Neugeräts aus dem Baumarkt kosten. Doch zuletzt, sagt Jakubowsi, hat es wegen Corona nicht mehr funktioniert: „Die Leute sind nicht mehr gekommen. Das ging jetzt zu lange so.“

Die letzten Maulschlüssel müssen auch noch weg: Jensch schließt am 30. Juni.
Die letzten Maulschlüssel müssen auch noch weg: Jensch schließt am 30. Juni. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Als man beschloss, dichtzumachen, hat man nochmal die Keller-Regale entrümpelt – in den letzten Tagen wurde alles verkauft, was über Jahre vergessen worden war. Arbeitshandschuhe, Inbus-Schlüssel in XXL, gigantische Karabiner-Haken, und, siehe da: Ketten und Riemen, so wie man sie für Flaschenzüge braucht. Was jetzt nicht mehr veräußert wird, kommt in die Schrottpresse. Jakubowski berichtet das ohne große Wehmut: „Ich habe lange versucht, einen Nachfolger zu finden“, sagt er. „Doch das ist in diesen Zeiten schwierig.“