Essen.. Jeder vierte Essener lebt allein: So wie Hanne Brott (78). Kirchliche Treffs und ihr Kater gehören zu ihrem Alltag, in dem ein Partner aber manchmal fehlt. Als sie vor drei Jahren in eine Kneipe ging, waren „die Männer erschrocken, dass eine Frau sie anspricht“.
Erst als es ihr richtig schlecht ging, griff Hanne Brott (78) zum Hörer und suchte Hilfe. Das war im Mai, als ihre geliebte Katze Lissy gerade eingeschläfert worden war: „Sie fehlte mir so sehr“, sagt die 78-Jährige, die plötzlich ganz allein in ihrer Zweieinhalbzimmer-Wohnung stand. Denn Hanne Brott lebt seit fast 20 Jahren ohne Partner. Damit ist sie keine Ausnahme.
Wie das Statistische Bundesamt jetzt veröffentlichte, sind die Zahlen Alleinlebender drastisch angestiegen: In Essen soll es jeder vierter sein. Es drohe Vereinsamung. Die Älteren „sind nicht immer unschuldig an ihrer Situation“, sagt Hanne Brott. Sie unternehmen zu wenig. Sie sei ein sehr gläubiger Christ, gehe jede Woche zum Frühstückstreff, in den Senioren-Club und zum Gedächtnistraining. „Sonst gehe ich nur zum Einkaufen raus“, sagt sie. „Manchmal bin ich schon ein bisschen einsam, weil ich nicht begreifen kann, dass das schon alles gewesen sein soll“, gesteht die lebenslustige Frau mit den kurzen, frisch gefärbten Haaren. 2008 ist Hanne Brott ins Betreute Wohnen umgezogen. Parterre, wie immer: „Damit die Katze raus kann.“ Nur den Gedanken an ein Altenheim findet sie furchtbar.
Studium an der Kunsthochschule
Manchmal sitzt sie nun draußen auf der Bank. Der Arzt habe ihr geraten, täglich gegen ihre Schmerzen, wegen der sie schwerbehindert ist, anzulaufen, sich nicht gehen zu lassen. Dabei habe sie diszipliniert gelebt, sagt Hanne Brott, die in Rostock geboren wurde. Nach ihrer Ausbildung zur Versicherungskauffrau, ging sie mit ihrem Verlobten nach Berlin, studierte an der Kunsthochschule. Als Ehepaar zogen sie nach Essen.
Ihre beiden Söhne hat Hanne Brott dann allein großgezogen, weil ihr Mann sich für eine Jüngere entschieden habe. Da war sie 36, lernte später erst ihre große Liebe kennen, von der sie mit leuchtenden Augen erzählt. Das Verhältnis zu ihren Söhnen sei bestens: „Zum Muttertag haben sie meinen Balkon mit Blumen bepflanzt“. Sie seien sehr tüchtig, haben aber nicht so viel Zeit, sagt die 78-Jährige.
Früher hat sie als Buchhalterin im Bergbau gearbeitet. Später, als sie mit 55 vorzeitig pensioniert wurde, half sie beim Bestatter in der Buchhaltung aus. „Heute bin ich häuslich.“ Manchmal guckt sie Fernsehen, sitzt im großen Sessel, der gleich neben dem Balkon steht, so dass sie den Nachbarn winken kann. Die Regale sind voll mit Büchern: „Ich bin eine leidenschaftliche Leserin“, sagt Hanne Brott. Mit Hilfe von Seniorenbetreuerin Christiane Dreyer (50) hat sie ihre Möbel wieder aus dem Keller geholt. „Meine Söhne meinten, ich soll nicht alles voll stellen.“ Aber genau so fühlt sie sich wohl, zwischen dem Astrologie-Lexikon und dem Werk von Hermann Hesse.
Die Betreuerin ist zur Freundin geworden
Den Kontakt zur Betreuerin vermittelte die Anwältin von Hanne Brott, die sich um die Finanzen der Seniorin kümmert. Doch die 78-Jährige reagierte entsetzt: Hält sie mich für auffällig, fragte sie sich. Legte die Nummer weg. Zu groß war die Scheu, einen fremden Menschen um Hilfe zu bitten. Bis Lissy starb. Nun ist Mikesch eingezogen, ein stattlicher schwarz-weißer Kater. Christiane Dreyer und Hanne Brott haben ihn beim Vorbesitzer abgeholt. „Darüber bin ich sehr glücklich“, sagt die Seniorin, für die die Betreuerin „ihre neue Freundin“ geworden ist. Für zwei Stunden im Monat. Manchmal bleibt sie länger. Sie haben Lampen gekauft. Nun wollen sie den Balkon sichern. Für Mikesch.
„Nur manchmal denke ich, dass ich einen Partner bräuchte.“ Vor drei Jahren ging sie in die Kneipe: „Die Männer waren erschrocken, dass eine Frau sie anspricht“. Mit ihrem Nachbarn hat sie dann ein Konzert besucht. Was den Partner angeht: Der muss zehn Jahre jünger sein, die Wohnungen bleiben getrennt. Sie würden essen gehen oder in den Zoo fahren. Und reisen, an die Ostsee natürlich oder nach Sylt. Zu den Reichen und Prominenten. „Ich muss ja nicht erzählen, dass ich arm bin“, sagt Hanne Brott augenzwinkernd. „Ich war jahrelang nicht im Urlaub.“ Allein mache das keinen Spaß. Und falls sie einen Begleiter findet: „Eine Nachbarin passt auf Mikesch auf.“