Essen.. Schreiben ohne Sprachbarrieren: In den Essener Anthologien erzählen Kinder und Jugendliche verschiedener Nationen. Die Buchreihe ist einzigartig.


Anfangs waren sie „Fremd und doch daheim?!. Sie entdeckten „Märchenhaftes zwischen Emscher und Ruhr“ und berichteten zuletzt „Vom Glück und seinen Launen“. Schon 14 Mal haben es die Essener Anthologie, ein für diese Altersklasse einzigartige Buchprojekt im Land geschafft, Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 20 Jahren, mit und ohne Migrationshintergrund zum Schreiben zu bringen.

Die 15. Auflage unter dem Motto „Ich begann zu erzählen“ soll einmal mehr beweisen, wie viel literarisches Potenzial auch dort zu finden ist, wo die Begegnung mit Büchern nicht (mehr) unbedingt zum Alltag gehört. Weiterführende Schulen im Ruhrgebiet, aber auch Kirchen und Jugendverbände werden dazu im Vorfeld angeschrieben, eine enge Zusammenarbeit gibt es auch mit dem Elternverband Ruhr. Unterstützung bekommt das vom Kulturzentrum Grend und vom Geest-Verlag ausgeschriebene Projekt in diesem Jahr außerdem vom Literaturbüro Ruhr. Für die neue Chefin Antje Deistler ist die Geschichten-Sammlung ein wichtiger Beitrag zur Leseförderung: „Kinder und Jugendliche, die schreiben, lesen auch.“

Buch wird beim Literaturfestival „Literatürk“ vorgestellt

Initiator dieses besonderen Schreibprojekts aber ist Artur Nickel. Der Autor und Herausgeber der Essener Anthologien, von Hause aus Deutschlehrer, übernimmt alljährlich die Sichtung und Auswahl der Beiträge. 300 bis 400 Texte gehen jährlich ein, „etwa 100 davon kann man im Buch aufnehmen“, erklärt Nickel. Oft sind gleich mehrere Teilnehmer aus einer Klasse beteiligt. Nickel achtet darauf, dass zumindest ein Beitrag aus jeder Gruppe abgedruckt wird. Schließlich soll die pralle Geschichtensammlung auch Leistungsanreiz und Motivationshilfe sein. Zur Aufwertung trägt zudem die obligate Buchpremiere im Rahmen des Literaturfestes „Literatürk“ bei, mit Publikum, Grußworten vom Bürgermeister und Leseproben.

Für viele junge Autoren ist der Schritt in die Öffentlichkeit oft ein Schritt aus der sprachlichen Isolation. Denn die Anthologie ermöglicht, was im Schulalltag verwehrt bleibt: Die jungen Autoren können eine eigene Sprache entwickeln, eine eigene Erzählform finden, sogar in Sachen Rechtschreibung entsteht mehr Freiraum. Denn wenn der Mond in den meisten Sprachen nun mal weiblich ist, wird „die Mond“ im Manuskript auch nicht zwangsläufig rot angestrichen, sondern im Zweifelsfall kursiv gestellt. Nickel lektoriert, aber er achtet ebenso auf Eigenheiten. „Es wird nicht der formal beste, sondern der interessanteste Text abgedruckt.“ Es gehe darum, Jugendlichen Raum zu geben, sich selber zu äußern. Das kann in der Muttersprache passieren oder in der Sprache des neuen Heimatlandes. Manche Teilnehmer wählen eine Mischform. „Das ist gelebte Integration“, sagt Nickel. 80 Prozent der jungen Autoren haben einen Migrationshintergrund. Oft seien die Bücher deshalb auch Botschafter nach außen, erzählt Verleger Alfred Büngen. Exemplare werden in die Heimatländer der Autoren geschickt, von der Türkei bis nach Kasachstan.

Antje Deistler, die neue Leiterin des Literaturbüros Ruhr, zeigt sich vor allem von der Offenheit und Ehrlichkeit der teilsweise sehr persönlichen Geschichten beeindruckt. Und so soll es auch weitergehen. Unter dem Thema „Ich begann zu erzählen“ sollen sich in diesem Jahr wieder möglichst viele junge Autoren eingeladen fühlen, Erlebtes und Erfahrenes zu Papier zu bringen. Einsendeschluss ist der 1. August.

>>>LITERARISCHES VORZEIGEPROJEKT

  • Die Essener Anthologien werden seit 2005 herausgeben. Im Kulturhauptstadtjahr 2010 wurde das Projekt ruhrgebietsweit ausgedehnt.
  • Teilnehmer können 1 bis 3 Texte einreichen (maximal 3 Din A4-Seiten): Kulturzentrum Grend z. Hd. Artur Nickel, Stichwort „Erzählen“, Westfalenstr. 311, 45276 Essen. Die neue Anthologie erscheint im November.