Essen-Fischlaken. Deutsch pauken, syrisch kochen und das Zuhause teilen: Daria und Peter Huyeng haben den 17-jährigen Shafik aufgenommen. Er floh ohne seine Familie.

Sein Weg führte Shafik über den Libanon, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Fischlaken. Der 17-Jährige ist aus Syrien geflüchtet und lebt seit fünf Monaten bei Daria (50) und Peter Huyeng (52). Sie haben die Vormundschaft für den unbegleiteten Flüchtling übernommen.

Den ersten Kontakt mit dem Jugendlichen hatte Peter Huyeng, der ein Velberter Kinderheim leitet. Dort kamen minderjährige Flüchtlinge wie Shafik an. Während die meisten in Wohngruppen oder bei Familienmitgliedern unterkamen, hatte der 17-Jährige niemanden. Da das Ehepaar aus Fischlaken bereits zuvor über ein Pflegekind nachgedacht hatte, nachdem die Tochter ausgezogen war und der Sohn studierte, wollte auch Daria Huyeng Shafik gern kennenlernen.

Koffer mit Kleidung und Bibel

„Es passt“, stellte sie schnell fest. Dazu trug wohl bei, dass Shafik Christ ist, auch wenn das keine Rolle gespielt habe. Mit einem roten Koffer kam der 17-Jährige dann in Fischlaken an, darin Jacke, Hose, Schuhe und eine arabische Bibel. „Seinen Glauben nimmt er sehr ernst“, wussten die beiden sofort und haben viele Abende über die Bibel diskutiert. „Bei anderen Themen haben wir Tränen gelacht“, erinnert sich die Orthopädie-Mechanikerin an die erste Zeit, in der sie Englisch sprachen. Inzwischen spricht Shafik besser Deutsch als Englisch, hat sich in seinem Zimmer eingelebt. „Er fläzt sich auf der Couch im Wohnzimmer wie unser Sohn früher“, sagt Peter Huyeng lächelnd, denn das sei ein Zeichen für Grundvertrauen. Der Diplom-Pädagoge verschweigt aber nicht, dass sie auch aushalten müssen, wenn es Shafik schlecht geht, weil er seine Familie vermisst. „Ich lache zwar viel“, sagt der, doch er sei nicht mehr so fröhlich wie früher.

Fitnessstudio und freitags Jugendgottesdienst

Das Schlittschuhlaufen auf dem Kennedyplatz gefiel allen. Shafik geht auch ins Fitnessstudio und freitags zum Jugendgottesdienst. Er hat gelernt, Wäsche zu waschen. „Und dass man sich in Deutschland nicht an fremde Autos lehnt“, sagt Daria Huyeng lachend. Das Paar hat ihn inzwischen bei zahllosen Ämtergängen begleitet, hat ihn beim Asylantrag unterstützt, damit er als Flüchtling anerkannt wird.

In Damaskus hätte Shafik jetzt Abitur gemacht, nun besucht er die elfte Klasse des Maria-Wächtler-Gymnasiums. Derzeit lernt er vor allem die Sprache. Mit der Grammatik klappt das gut. In Mathe habe er viel auf der Flucht vergessen: „Manchmal ist mein Kopf leer.“

Im Juli 2015 verließ er seine Heimat. Shafik kannte viele, die bis dahin gestorben sind. In Damaskus sei die Lage zwar nicht so schlimm wie in Aleppo. Dennoch sah er Menschen mit Koffern fliehen, erlebte den Einmarsch einer Terrorgruppe und den Einschlag der Rakete im Nachbarhaus. Seine Eltern haben für die Flucht ihres ältesten Sohnes gespart, damit der nicht mit 18 zum Militär muss. Sein Vater, der unter anderem Billardtische verkauft, verdient umgerechnet 70 Euro im Monat. Seine Mutter erhält als Bürokraft 50 Euro. 5000 Euro verlangten die Schleuser.

Im Laderaum beinahe erstickt

Shafik flog in den Libanon, dann in die Türkei. Auf einem Boot trieb er mit 35 weiteren Flüchtlingen auf dem Meer bis nach Tilos. Von der griechischen Insel ging es per Fähre und später zu Fuß weiter über die Balkanroute. Mit 18 Insassen im Laderaum eines Transporters wäre er beinahe erstickt, bevor er in Wien ankam. Der 17-Jährige weiß, wie viel Glück er gehabt hat. Dazu gehört es auch, in Fischlaken in der Familie ein Zuhause gefunden zu haben. „Ich bin so, so dankbar“, sagt Shafik immer wieder. Das gilt für seine Eltern ebenso. Hätte er aber gewusst, dass er seine Familie nicht nachholen kann, hätte er Damaskus nicht verlassen. Sie könnten zwar flüchten, aber wegen der Situation in Griechenland sei das derzeit hoffnungslos.

Wenn der Krieg endlich aufhört, will Shafik zurück. Bis dahin wird er seine Eltern weiterhin jeden Tag anrufen und hoffen, dass ihnen und den beiden kleinen Brüdern nichts passiert.