Essen. In der Coronakrise benötigen Drogenkranke mehr Hilfen. Doch ob die Versorgung bedarfsgerecht sein wird, ist unsicher. Es fehlt Geld und Personal.
Beim ersten Corona-Lockdown im März haben die Mitarbeiter der Essener Suchthilfe alles gegeben, um ihre Klientel nicht im Pandemieregen stehen zu lassen: Während andere Hilfseinrichtungen ihre Angebote für Bedürftige zurückfuhren, stellten die Helfer von der Hoffnungstraße einen Krisenstab, einen Notfallplan und eine soziale Task Force für die Straße auf die Beine. Über Wochen waren in der Stadt zusätzliche Sozialarbeiter unterwegs, die sich um die Versorgung der drogenabhängigen und durch Virus-Infektionen besonders Gefährdeten kümmerten, um deren Überleben zu sichern.
Zudem wurden mehr nahrhafte warme Mahlzeiten an die Menschen verteilt, die sich nicht in ihre eigenen schützenden Wände zurückziehen konnten, und die Öffnungszeiten bestimmter Anlaufstellen verlängert. Das alles war ein Kraftakt für das Suchthilfeteam, einer, der sich nicht endlos fortsetzen lässt ohne zusätzliche Unterstützung in Gestalt von mehr Personal und Geld. Denn Corona bringt die Krisenhelfer mittlerweile an ihre Grenzen.
„Es fehlen die personellen und finanziellen Ressourcen“
Wie Suchthilfesprecher Frank Langer sagt, sei es zur Zeit „alles andere als sicher“, wie es während des derzeitigen Folge-Lockdowns abermals gelingen kann, das Versorgungsangebot den Bedarfen entsprechend ein zweites Mal aufzustocken. Das Problem ist schnell umrissen: Einige der Mitarbeiter, die im Frühjahr aushelfen konnten, wo die Not am größten war, da „ihre“ Angebote heruntergefahren oder gar vorübergehend ganz eingestellt worden sind, kehrten inzwischen an ihren angestammten Platz zurück, weil sie dort ebenso benötigt werden.
„Daher fehlen an einigen Stellen schlichtweg die personellen und finanziellen Ressourcen für eine der Krise angemessene erweiterte Angebotsstruktur im Streetwork und in den Anlaufstellen der Niedrigschwelligkeit“, gibt Langer mit Blick auf Überlebenshilfen wie Notschlafen, den Drogenkonsumraum, das Krisencafé, die Streetwork-Angebote sowie den Tagesaufenthalt für Jugendliche, die ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße haben, zu bedenken.
„Die Corona-Pandemie hat die Situation zusätzlich verschärft“
Mit einem „Aktionstag Suchtberatung“ hat die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) jetzt auf diese angespannte Situation aufmerksam gemacht, die nicht nur in Essen ein Thema ist. „Die Corona-Pandemie hat die Situation zusätzlich verschärft – trotz der Systemrelevanz der Suchthilfe“, machte Christina Rummel, stellvertretende DHS-Geschäftsführerin, deutlich: „Daher brauchten wir jetzt dringend eine stabile und verlässliche Finanzierung, um die erforderliche Hilfe für Menschen mit Suchtproblemen zu sichern.“
Zusätzlich hat die Suchthilfe Essen in einem Schreiben an den neuen Rat der Stadt Essen auf die derzeitige besondere Dringlichkeit ihrer Überleben sichernden Arbeit hingewiesen. Wie wichtig die unterschiedlichen Angebote sind und wie deutlich der Bedarf mitten in der Corona-Krise für drogenkranke Menschen oft ohne Obdach sind, verdeutlicht ein Blick in die aktuellste Bilanz der Hilfen.
Über 30 Prozent mehr Mahlzeiten ausgegeben als üblich
So zählte die zentrale Anlaufstelle an der Hoffnungstraße im zweiten Quartal 30 Prozent mehr Besucher als sonst üblich sind. Die Zahl der ausgegebenen Essen stieg entsprechend um mehr als ein Drittel. Es waren binnen drei Monaten 1322 Mahlzeiten. Die Gespräche mit den „Kunden“, die sich regelmäßig dort einfinden, aber auch deren Vermittlungen in weiterführende Hilfen haben sich mehr als verdoppelt.
Im sogenannten Druckraum, der den Drogenkonsum unter hygienischen Bedingungen sicherstellt, gingen die Zahlen zwar zurück, jedoch nur marginal, so die Suchthilfe, obwohl die Zahl der zur Verfügung gestellten Plätze von 13 auf fünf reduziert und damit fast gedrittelt worden ist, um die allgemein gültigen Abstandsregeln der Coronaschutzverordnung einhalten zu können.
„Die Straße ist keine gute Kinderstube“
Höchste Priorität für die Suchthilfe hat seit Beginn der Corona-Pandemie zudem die Beratung und Begleitung von Jugendlichen und deren Familien. Drogenkonsum, Infektionsgefahren, Mangelernährung, mangelhafte Körper- und Zahnhygiene und ungewollte Schwangerschaften gehören für nicht wenige junge Menschen in Essen zum Alltag, sagt Langer: „Die Straße ist keine gute Kinderstube.“