Essen. Nach der Abberufung von Geschäftsführer Berger Bergmann steht die Theater und Philharmonie Essen vor großen Richtungsfragen. Eine Analyse.
Theater verstehen sich gerne als Erfahrungsräume der Demokratie. Hinter den Kulissen aber können starre Hierarchien und wenig Team-orientierte Machtstrukturen immer noch für heftige Kontroversen sorgen. Das hat in den vergangenen Wochen der Konflikt zwischen hunderten Mitarbeiter der Essener Theater und Philharmonie und Geschäftsführer Berger Bergmann gezeigt, der unter dem Druck der Ereignisse um vorzeitige Aufhebung seines Vertrages bat. Den Druck des wochenlangen Belegschaft-Protests hatte Bergmann zunächst ausgesessen, dann aber drohte der von Oberbürgermeister Thomas Kufen einberufene Arbeitskreis mit massiver Entmachtung durch die Berufung eines zweiten Geschäftsführers. Viele TuP-Mitarbeiter zeigen sich über Bergmanns vorzeitiges Ausscheiden danach erleichtert. Doch mancher sorgt sich nun auch um die Zukunft des Fünf-Sparten-Betriebes.
„Das Verhältnis war zerrüttet und aus unserer Sicht nicht reparabel“
Dass Bergmann am Ende aus eigenem Antrieb seinen Hut genommen hat, dürfte mancher Verantwortliche mit Erleichterung vernommen haben. Barsches Benehmen, das Wegbleiben auf Betriebsversammlungen und willkürliche Personalentscheidungen dürften zwar gute Gründe sein, einen Geschäftsführer in die Schranken zu weisen. Vor dem Arbeitsgericht aber hätte die Causa Bergmann womöglich zu langwierigen Verfahren führen können. Auch wenn für Kulturdezernent Muchtar Al Ghusain nach mehrwöchiger Untersuchung des von ihm geführten Arbeitskreises feststeht: „Das Verhältnis zwischen Geschäftsführer und Belegschaft war zerrüttet und aus unserer Sicht nicht reparabel.“
Billig wird der Abgang für die Stadt trotzdem nicht. Zumal Bergmanns Vertrag erst 2018 bis 2024 verlängert worden war. Sein Verdienst wurde zuletzt mit 219.000 Euro jährlich plus Pensionsaufwendungen und Dienstwagen beziffert. Dem Vernehmen nach hat man sich auf eine Verkürzung der Vertragslaufzeit geeinigt, über genaue Fristen wird allerdings Stillschweigen bewahrt. Dass Bergmann im Falle einer Demissionierung zuletzt gerne mit seinem vorzeitigen Abgang bei auskömmlichen Bezügen kokettiert hatte, wird ihm innerhalb der Belegschaft noch weniger Freunde gemacht haben.
Klage über „Führungsstil nach Gutsherrenart“
Es zeigt die stete Provokationslust, aber wohl auch die Unlust Bergmanns, den Protest zu befrieden oder ihn zumindest weniger eskalieren zu lassen. Klagen über ein „Klima der Verunsicherung, der inneren Kündigung und Angst“ sowie über einen Führungsstil nach Gutsherrenart hatten bei der Politik aber erst spät die Alarmglocken schrillen lassen. Man habe die Situation zu lange laufenlassen und damit anderen Lösungen den Weg verbaut. „Das ist schade, denn wir wollen ja nicht alles ,verdammen’, was Herr Bergmann gemacht hat“, meint deshalb Linken-Politikerin Gabriele Giesecke, während sich SPD und Grüne vor allem zufrieden zeigen mit Bergmann Abgang als „folgerichtigem Schritt zur Wiederstellung des Betriebsfriedens“. Anders die FDP: „Von der Gesprächsrunde zur Aufarbeitung interner Konflikte hatten wir uns andere Lösungen erhofft“, heißt es dort. Man bedauere Bergmanns Ausscheiden, sagt der Fraktionsvorsitzende Hans-Peter Schöneweiß. In einer Zeit zumal, in dem der TuP wegen der Corona-Pandemie ein Millionendefizit droht.
Bergmann war einer, der das Geld beisammenhielt
Eine angespannte Situation hatte Berger Bergmann auch 2008 vorgefunden, als der gelernte Jurist von Berlin nach Essen gewechselt war und die Theater und Philharmonie nach der fristlosen Entlassung des damaligen Philharmonie-Chefs Michael Kaufmann finanziell wieder auf Kurs brachte. Dass der Zuschussbedarf der TuP von 47,9 auf 41,5 Millionen Euro in den ersten Jahren fast geräuschlos eingedampft und zugleich Tariferhöhungen in siebenstelliger Höhe kompensiert werden konnten, galt vielen als bemerkenswert. Als die berühmt-berüchtigte „Klieve“-Kurve“ des damaligen Kämmerers Lars-Martin Klieve ein weiteres Herunterfahren des TuP-Etats auf unter 38 Millionen vorsah, was ein Sparten-Sterben wohl unweigerlich zu Folge gehabt hätte, war es aber nicht nur der Politik, sondern auch dem Einwirken des Geschäftsführers geschuldet, dass die Sparvorgaben deutlich abgeschwächt wurden.
Weil Bergmann einer war, der das Geld beisammenhielt – schon um im Falle einer drohenden Insolvenz als Geschäftsführer nicht in Haftung genommen werden zu können – wurde ihm seitens des Aufsichtsrats lange Zeit uneingeschränktes Vertrauen geschenkt. Die Belegschaft aber sah in den weiterhin strikten Sparplänen am Ende allzu viel vorauseilenden Gehorsam und lief Sturm gegen nicht verausgabte Landeszuschüsse. Dass das zuletzt aufgestockte Eigenkapital die Lage der TuP in Zeiten der Krise nun etwas komfortabler macht, ist die Ironie der Geschichte.
Mehr als ein Machtkampf zwischen Geschäftsführer und Betriebsratsvorsitzenden
Noch Anfang des Jahres galt der Geschäftsführer für den TuP-Aufsichtsratschef Franz-Josef Britz deshalb als wichtiger Steuermann in finanziell schwierigen Zeiten. „Ohne Bergmann und seinen Sparkurs“, so formulierte es Britz, „wäre die TuP schon längst zum Konkursrichter gegangen“. Dass man dem so Geschätzten wenige Wochen später kaum mehr als einen dürren Abschieds-Satz und eine unpersönliche Dankes-Floskel hinterherschickt, zeigt wohl zweierlei: Dass der lange auf einen Machtkampf zwischen Geschäftsführer Bergmann und dem Betriebsratsvorsitzenden Adil Laraki reduzierte Konflikt bei näherem Hinsehen doch offenbar für weit mehr innerbetriebliche Verwerfungen gesorgt hat als lange vermutet. Ein Teil der Wahrheit ist aber wohl auch: Man will die Schlagzeilen machende TuP-Krise im Kommunalwahljahr endlich hinter sich bringen.
Ob der Theaterbetrieb damit tatsächlich zur Ruhe kommt, ist die Frage – mit einem Betriebsrat, der gestärkt aus der Theaterkrise herausgeht und seinen Einfluss in Zukunft sicher noch stärker einfordern dürfte, wenn es um neue Strukturen geht. Doch wie könnten die aussehen? War zuletzt von einer neuen Leitungsform die Rede und die Einführung einer Generalintendanz im Gespräch, steht nun die gesamte Rechtsform der Theater und Philharmonie Essen GmbH zur Diskussion.
Gut möglich, dass die GmbH bald Geschichte ist und man zur Form eines Eigenbetriebes zurückkehrt. Für die Kulturbetriebe bedeutet das weniger Entscheidungsfreiheit in der Budget-Steuerung. Die Stadt Essen, bislang Gesellschafterin der GmbH, hätte dann wieder stärker direkten Einfluss. Abgewendet wäre damit in Zukunft aber auch die Gefahr der Insolvenz.
Jetzt geht es auch um die Frage einer neuen Rechtsform
Um die neuen Strukturen zu diskutieren, müsste der TuP-Aufsichtsrat aber zunächst einmal wieder beschlussfähig sein. Noch vor Ostern hat es zwar eine Sondersitzung gegeben, wichtige Fristen konnten aber nicht eingehalten werden. Bergmann ist damit formal weiter im Amt. Wie es dann nach seiner offiziellen Abberufung weitergeht, soll in einer Sitzung Ende April beraten werden. Man werde zunächst einen kommissarischen Geschäftsführer bestellen, sagt Kulturdezernent Muchtar Al Ghusain. „Wir wollen uns nicht unter Druck setzen und schon auf lange Zeit bindende Entscheidungen fällen.“
Man will sich Zeit lassen, das Für und Wider neuer Strukturen abzuwägen. Doch genau die hat Essen nur bedingt. Denn schon 2023 laufen auch die Verträge der amtierenden Intendanten fürs Schauspiel, Ballett und für Aalto/Philharmonie aus. Posten wie diese lassen sich nicht ein halbes Jahr vor Vertragsbeginn klären, sondern brauchen lange Vorlaufzeit.
Das Problem: Der amtierende TuP-Aufsichtsrat wird die Weichen kaum noch stellen und muss sich nach der Kommunalwahl im Herbst erst einmal neu konstituieren. 2021 könnten damit viele wichtige Entscheidungen auf einmal anstehen. Ob sich die stärkere Einbindung der Belegschaft, wie sie sich nicht nur SPD und Grüne wünschen, dabei künftig einlösen lässt, dürfte dann die zentrale Frage sein.