Essen. Lehrer erhalten in Zukunft für Klassenfahrten- und Ausflüge eine Reisekostenvergütung. Skeptiker unter ihnen befürchten jedoch Einschnitte für Schüler.
Ob Mailand oder Madrid – Klassenfahrten gehen ins Geld. Eltern werden das nur zu gut wissen. Doch auch die begleitenden Lehrkräfte müssen für einen Schulausflug oft tief in die Brieftasche greifen. „Eine Kollegin musste als Klassen- und Sprachenlehrerin dieses Jahr bereits drei Fahrten leiten oder begleiten. Dabei sind Kosten von über 600 Euro entstanden“, berichtet Helmut Block, Lehrer an der Theodor-Goldschmidt-Realschule und Bezirkspersonalrat für Realschulen.
Seit Mittwoch ist klar: In Zukunft wird die Beamtin nicht mehr auf den Kosten sitzenbleiben. Das Oberverwaltungsgericht Münster entschied, dass Klassenfahrten vergütet werden müssen. Etwas, worauf die 180.000 NRW-Lehrer seit Jahrzehnten verzichten.
16.000 Euro Reisekosten in 40 Berufsjahren
Für Helmut Feldkirchner, Schulleiter an der Geschwister-Scholl-Realschule, ist das Urteil „mehr als überfällig“. Obgleich seine Kollegen ihre Schüler gerne bei Fahrten begleiten würden, „moppern sie schon mal rum, nehmen die Mehrkosten aber zähneknirschend hin, denn die Schüler können nichts dafür“. Klassenfahrten oder ähnliche Dienstreisen, etwa Ausflüge, seien kein Urlaub oder Erholung. „Lehrer tragen eine enorme Verantwortung für die Kinder und Jugendlichen“, betont Feldkirchner.
Einer, der vom Urteil nichts mehr hat, ist Manfred Reimer, seines Zeichens schulpolitischer Sprecher der SPD-Ratsfraktion – und einst Schulleiter am Leibniz-Gymnasium. In 40 Jahren als Lehrer habe er umgerechnet rund 16.000 Euro für unbezahlte Dienstreisen ausgegeben. „Ich war mit meinen Schülern in Budapest, Prag und noch weiter weg gewesen. Da sind die Kosten kein Pappenstiel“, so Reimer.
Die bisherige Regelung, auf die Reise- und Unterkunftskosten verzichten zu müssen, sei „unzumutbar“ gewesen. „Denn seien wir mal ehrlich: Niemand, der für ein Unternehmen tätig und dienstlich unterwegs ist, muss alles aus seiner eigenen Tasche bezahlen.“ Mit Sorge schaut der Schulexperte jedoch dem entgegen, was folgen könnte: „Es stellt sich die Frage, ob der Staat bereit ist, die Kosten zu finanzieren. Oder ob es so weit kommt, dass die Zahl der Klassenfahrten beschränkt wird. Das wäre fatal.“
Auf NRZ-Nachfrage, ob solche Befürchtungen gerechtfertigt seien, verwies eine Sprecherin des NRW-Schulministerium auf die ausstehende Urteilswürdigung. Man werde, wie gefordert, die Reisekostenerstattung neu regeln und „dabei auch die Praxis in anderen Bundesländern berücksichtigen“.
Dort unterscheiden sich die Vorgehensweisen. In Niedersachsen werden Übernachtungen pauschal mit elf Euro pro Nacht erstattet, in Bayern erhalten Schulen ein jährliches Budget – das nach Angaben des dortigen Lehrerverbands deutlich zu niedrig ausfällt.
Befürchtung: Schüler müssen für Lehrer zahlen
Somit bleibt trotz der aufkeimenden Hoffnung einiges an Argwohn in der Lehrerschaft. Martin Lottko, Lehrer an der Unesco Schule, befürchtet, „dass die Reisen nun für die Schüler teurer werden, da diese die Mehrkosten tragen sollen“. Im Schulministerium wollte man diese Befürchtung nicht kommentieren. Gerade für Schulen in Stadtteilen mit hoher Armutsrate wäre ein solches Vorgehen wohl kaum durchsetzbar.
Der Personalrat für die Essener Hauptschulen, Henner Höcker, erklärt: „Lange Klassenfahrten sind bei uns ohnehin kaum möglich, doch selbst Tagesausflüge werden oft durch Sponsoren finanziert.“ Die Lehrer seien dabei „aus pädagogischer Ehre heraus auf eigene Kosten mitgefahren“.
Ähnlich äußern sich Lehrkräfte, die deutlich größere Reisestrapazen zu bewältigen haben. Wie Georg Schrepper vom Don Bosco-Gymnasium in Borbeck, der jedes Jahr mit seinen Schülern zu den salesianischen Sportspielen durch Europa reist (2013 nach Zagreb).
Oder der stellvertretende Schulleiter der Frida-Levy-Gesamtschule Raoul Schlösser, der in Klassenfahrten einen „enormen pädagogischen Wert“ sieht. Seine Schule bietet den Schülern bis zum Abitur gleich vier solcher Fahrten an. „Davon haben sich die Kollegen durch die bisherige Praxis nicht abbringen lassen“, so Schlösser. Doch auch die dürften Georg Schrepper zustimmen, der sagt: „Dass wir künftig nicht mehr auf den Reisekosten sitzen bleiben sollen, ist einfach nur gerecht“.