Manni Breuckmann hofft auf „alten Geist“ im Essener RWE-Stadion
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Lesezeit: 9 Minuten
Essen. Fußballreporter-Legende Manfred „Manni“ Breuckmann spricht im Interview über Fußballkultur im Revier, sein Mitleid mit den leidenden RWE-Fans und die Vorfreude auf ein Stadion, in dem man sich gefahrlos an die Tür lehnen kann.
Herr Breuckmann, hat Ihnen Rot-Weiss Essen schon einen Werbevertrag angeboten? Sie sind ja, wie man ihrer Vita entnehmen kann, an der Hafenstraße aufgewachsen.
Breuckmann: Ja genau. Hafenstraße 107 in Datteln, im berüchtigten Hafenviertel am Kanal. Da kommen nur die ganz Harten durch, und ich hab’ es irgendwie geschafft.
Und wann zum ersten Mal die Seitenlinie nach Essen überschritten?
Ende der 60er Jahre, da war ich noch Student in Bochum. Ich habe aber nur sehr lückenhafte Erinnerungen an zwei Schlammspiele...
Kein Wunder, bei über 1000 kommentierten Begegnungen. Wie viele davon aus dem Georg-Melches-Stadion?
Na, so 20, 30 Mal sicher… Ich erinnere mich, als Manni Burgsmüller hier noch spielte, Werner Kik und Bockholt im Tor, Harry de Vlugt, Fürhoff, Dieter Bast, diese ganzen Vögel...
Großartige Zeiten, erste Liga…
So isses, aber so langsam verblasste da schon der RWE-Ruhm und irgendwann war Feierabend.
Haben Sie eine Erklärung, warum andere Reviervereine ihre alte Stärke bewahren konnten und RWE mit wenigen Ausreißern abschmierte?
Die einzig zutreffende Erklärung kann nur sein, dass man nicht die richtigen Leute hatte, um den Verein nach vorne zu bringen.
Auf dem Rasen oder daneben?
Daneben. Du musst natürlich Glück haben bei Neuverpflichtungen, aber du darfst keine krummen Nummern machen, die hatte RWE auch dazwischen. Man muss schon sagen, dass dieser Verein sich kontinuierlich nach unten gewirtschaftet hat. Das fand ich immer sehr schade, obwohl ich nicht gerade der RWE-Fraktion angehöre. Sondern einer von den verhassten Blauen bin, die hier stets beleidigt werden.
Sie nehmen das nicht persönlich, hoffentlich.
Richtfest am RWE-Stadion
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Ach woher, ich hab’ doch Humor. Solange die mir nicht was auf die Fresse hauen, ist mir das egal.
"Als RWE-Fan kann man nur noch saufen"
Zumal die Fans ja Ihr Mitleid haben: Die Lage sei tragisch, haben Sie in einem Interview mal gesagt, „als RWE-Fan kann man nur noch saufen“.
(lacht) Da war ich wohl selbst benebelt. Aber stimmt schon, der RWE-Fan muss viel leiden. Das sagt man sonst den Schalkern nach, aber RWE toppt das noch. Und trotzdem finde ich das stark, dass hier immer noch 5000, 6000 hinmarschieren.
Wie erklären sie sich das?
Weil dies ein Traditionsverein ist, weil der Essener Fußballfan hartnäckig ist. RWE ist seine große Liebe, und die lässt man nicht einfach im Stich, auch nicht in der vierten Liga. Ich erinnere mich an ein Spiel in der fünften Liga, glaube ich, da fuhren auf einmal 5000 Essener nach Aachen. Das ist der helle Wahnsinn! Ich finde so was wirklich gut.
Das zeigt Nehmerqualitäten – und einen unerschütterlichen Glauben daran, dass eines Tages alles gut wird.
Ja, und ich möchte mir nicht vorstellen, wie RWE irgendwann wieder in der Bundesliga spielt, und dann kommen diese ganzen Modefans aus der Ecke, die Rot-Weiss, was weiß ich, seit 10, 15 Jahren mit dem Arsch nicht angeguckt haben. Die würde ich dann allerdings auch verachten.
Der Zulauf ist enorm, obwohl er in eine Bruchbude führt.
Oder vielleicht auch gerade ihretwegen? Vielleicht wird die Liebe zum Verein durch solche Umstände nur noch befördert. Wenn die Fans dann demnächst ins neue Stadion umziehen, wird es wohl einen großen Trennungsschmerz geben. Das ist ja schon ein Spagat, den man innerlich macht. Aber dennoch: So wie bisher ging’s nicht mehr weiter.
Weil Sie sich noch gut an ihren Job in dem „kleinen gekälkten Schweinestall“ erinnern, wie Sie die Sprecherkabine mal getauft haben?
Ich erinnere mich noch sehr genau an das Halbfinale im DFB-Pokal, als RWE gegen Tennis Borussia Berlin spielte. Da habe ich mich an die Holzfassung der Tür angelehnt, und plötzlich gab die während der laufenden Reportage nach. Ich habe fallenderweise weitergesprochen und meine Frau, die daneben stand, hätte sich fast in die Hosen gemacht vor Lachen. Ich hab’ auch gehört von Frauenklos, die man von innen zuhalten musste,weil die nicht mehr abzuschließen waren. Das waren Zustände wie im alten Rom.
Eine Ruine voller Erinnerungen.
Stimmt, aber man kann nicht in permanenter Nostalgie versinken und dem alten Stadion nachtrauern. Irgendwann ist Schluss, man muss auch Mut haben, was Neues zu machen. Und hier war das überfällig.
Überfällig, aber keineswegs unumstritten. Verstehen Sie das?
Dass angesichts leerer öffentlicher Kassen, speziell bei den Städten im Ruhrgebiet, darüber diskutiert wird, ob man gut 40 Millionen Euro für ein neues Stadion ausgibt, das im Wesentlichen dem Fußball gehört, das ist mir schon klar. Aber da verläuft die Scheidelinie ganz klar zwischen denen, die sich für Fußball interessieren und denen die es nicht tun. Ich bin der Meinung, eine Stadt wie Essen braucht ein modernes Stadion, und zwar, weil kein Geld da ist, in dieser abgespeckten Form. Das ist ja schon der Kompromiss, deswegen finde ich das durchaus akzeptabel.
Deswegen sage ich auch ganz bewusst: Was hier passiert, ist Kulturförderung. Fußball ist Volkskultur, das ist so verankert in dieser Stadt.
Und hat Sie zu einem gut vierminütigen Youtube-Appell bewogen.
…in meinem Wohnzimmer! Das habe ich mit Happo gemacht, dem Chef der Uralt-Ultras von RWE, einer „total gefährlichen“ Fangruppierung.
Der Einsatz war rührig. Hängt die Hängepartie ums Stadionbau auch damit zusammen, das keine großen Geldgeber Schlange stehen?
Großbaustellen von oben
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Ach, das ist doch in Düsseldorf, wo ich wohne, ähnlich. Das hat alles immer noch so ein bisschen was damit zu tun, dass in manchen Vorstandsetagen Fußball nur als so eine Art Proll-Veranstaltung betrachtet wird. Auch wenn es nicht mehr so schlimm ist wie früher.
Manni Breuckmann hupend im Autokorso
Aber die Gegenbewegung ist gestartet: Sie macht Fußball zum Event, feiert ab und fährt anschließend hupend zum Autokorso.
Ja, darum meide ich auch Veranstaltungen, bei denen ich kreischende Kommentare aus dem Tal der Ahnungslosen höre, Public Viewing ist für mich überhaupt nix. Ich möchte Fußball zusammen mit Menschen sehen, die sich auch wirklich für Fußball interessieren.
War Ihr Einsatz fürs Stadion auch ein Art soziales Engagement für die Underdogs ohne große Lobby?
Ich bin innerlich recht nah an den wirklichen, eingeborenen, erdverbundenen Fans, aber das geht mir in der Interpretation dann doch etwas zu weit. Sozial engagiert sehe ich mich eher, wenn ich als Botschafter für die Lebenshilfe oder so wirke. Das Publikum in den Stadien ist mittlerweile sehr sehr bunt gemischt. Das geht von denen, die ganz wenig auf der Tasche haben, bis hin zu denen in der Loge, die das Hummerragout in der Halbzeitpause essen und erst zur 60. Minute auf ihrem Platz sitzen. Obwohl ich mich auch zum Komfort bekenne: Ich stehe nicht in der Nordkurve, ich bin jetzt 60 und tu mir das nicht mehr an. Aber ich bin immer dafür, dass die Fans auf den Stehplätzen gefördert werden, das die Preise für die nicht zu hoch ausfallen.
Mit dem neuen Stadion verbindet sich ja auch die Hoffnung, neue Zuschauer zu gewinnen. Was gewinnen wir mit dem Neubau, was verlieren wir womöglich?
Ich hoffe inständig, dass etwas vom diesem Geist von der Hafenstraße in die neue Hütte einzieht, das wird aber schwer. Die alte Hafenstraßen-Atmosphäre ist wohl erst mal weg. Gewinnen wird man…
...Klos, die man nicht von innen zuhalten muss...?
...ja. Es ist eine moderne Arena, es wird bequemer. Vielleicht trauen sich dann ja auch mehr Frauen hin, deren Zuschaueranteil liegt bundesweit, glaub’ ich, bei 20, 25 Prozent. Hätte ich auch nichts dagegen. Dann ist die Auswahl größer (lacht).
Und wenn Sie wetten sollten, Manni gegen den Rest der Welt? Wo steht RWE in zwei, fünf, zehn Jahren?
Hafenstraße im Wandel
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Da wage ich keine Prognose. Ich wünsche mir, dass Essen zumindest mal auf Dauer eine funktionierende Zweitliga-Mannschaft hat. Das ist ein realistisches Ziel und wäre auch für diese Stadt angemessen, die einen Zweitligisten gut vertragen könnte. Mindestens.
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