Essen/Oberhausen. Nun ist wirklich, wirklich Schluss mit dunstig. Seit dem 1. Mai gilt endgültig der schärfere Nichtraucherschutz. Auch wenn viele Wirte erst mal drüber schlafen mussten - von jetzt an heißt es für sie und ihre Gäste “Fußball oder Kippe“.

Rainer Ziebig ist immer noch fix und fertig. Die Schachtel mit „seinen Kippen“ hat er längst zu einem Knäuel zusammengedrückt. Unterbewusst, versteht sich. Gerade erst ist das Champions-League-Halbfinale zwischen Real Madrid und Borussia Dortmund zu Ende gegangen, hier in der Oberhausener Innenstadt sind die Kneipengäste völlig fertig. Ziebig wischt sich mit der Hand durchs Gesicht: „Ich habe keine Ahnung, wie ich ein so spannendes Fußballspiel ab jetzt ohne Zigaretten als Nervennahrung aushalten soll.“

Muss er aber nächstes Mal. Oder er geht vor die Tür, um zu rauchen. Denn der Finaleinzug des BVB fällt zusammen mit dem Ausscheiden des Glimmstängels aus der Kneipenliga. Und nicht nur Ziebig wird sich in Zukunft öfter fragen müssen: Fußball oder Kippe?

Das „Gesetz zur Änderung des Nichtraucherschutzgesetzes“ (NiSchG) ist also in Kraft getreten zum 1. Mai, Punkt Mitternacht. Theoretisch. Denn natürlich räumt auch der Wirt in Ziebigs Stammkneipe nicht die Ascher vom Tresen beim „Tanz in den Mai“, direkt nach so einem Spiel, wenn die Kneipe gerade brummt. Er möchte nicht, dass der Name seines Ladens auftaucht, denn immerhin drohen 2500 Euro Strafe.

Der Fußball schaffteine Grauzone

Aber den 1. Mai haben die meisten Kneipiers wohl als Grauzone betrachtet. Klaus Kattenbracker vom „Wirtshaus Rü“ in Essen-Rüttenscheid redet nicht drumrum: „Wenn ich meine Kasse abgeschlossen und geschlafen habe, beginnt für mich der neue Tag.“ Und der ist so sonnig am Nachmittag, dass auch Rainer Mathes (63) seine Zichte draußen schmurgelt. „Ich find’s ‘ne Sauerei, dass den Leuten was vordiktiert wird. Wir haben doch genug Auswahl an Kneipen, auch für Nichtraucher.“ Allgemein zustimmendes Nicken von Nichtraucher Gerd (68), Gelegenheitsraucher Manfred (77) und Raucher Oliver (41).

„Jeder hat doch genug Menschenverstand, selbst zu entscheiden, wo er hingeht“, sagt Oliver Grawinkel.

„Überall verbieten sie es, sogar wenn ich mich in die hinterste Ecke des Kinderspielplatzes setze“, schimpft Rainer.

„Das find’ ich wiederum okay“, sagt Oliver.

„Ach, so ne Kacke . . .“

Und die Diskussion verlagert sich an einen anderen Ort. Ins Freie.

Dorthin lädt auch Maria Konstantin ein, gleich nachdem sie das Raucherclub-Schild vom Eingang des „Gold“ entfernt hat. Der Essener Isenbergplatz ist ein Zentrum der alternativen Szene. „Ich bin selbst Raucherin“, sagt Maria. „Aber ich freu’ mich trotzdem. Wenn man jeden Abend im Laden steht, wird es einfach zuviel . . . In anderen Ländern klappt es ja auch problemlos. Ich glaube auch nicht, dass wir hier Einbußen haben werden.“

Ähnlich sieht’s Julia Pfeiffer von der ebenfalls szenigen „Zweibar“ an der Rüttenscheider Straße. Die ist schon lange rauchfrei – „und nach dieser Entscheidung hat sich für uns auch nichts geändert. Die Stammklientel ändert sich nicht.“

Klaus Kattenbracker hat da andere Erfahrungen gemacht. Zweimal war er schon rauchfrei, jedesmal seien die Umsätze um mehr als zehn Prozent eingebrochen. „Die Kartenspieler und Knobelrunden ziehen sich eher in den Garten oder in die Privatwohnung zurück“, vermutet er.

Das NiSchG wird uns jedenfalls mehr mediterranes Flair verschaffen: Deutlich mehr Menschen VOR den Kneipen. (Anwohner dürfen jetzt wutentbrannt diese Zeitung zusammenknüllen.) Vielleicht wäre es auch eine Idee, in Aktien von Heizpilz-Herstellern zu investieren. Viele Gastronomen wollen spätestens im Herbst aufrüsten. Und auch die Zigarettenhersteller ersinnen neue „Gadgets“ für den Außenbereich. „Wir haben neue Standaschenbecher mit Bierabstellfläche bekommen“, erklärt Moritz Gilbert vom „Eigelstein“ in Essen.

Nach Mitternacht richten sich trotzige Blicke in Ziebigs Oberhausener Kneipe Richtung Tür. Doch Kontrollen der Stadt gibt es hier heute nicht. Das Ordnungsamt hatte zwar Stichproben angekündigt, aber zumindest hier lässt sich kein Kontrolleur blicken. Und man darf vermuten, dass Gast und Nichtraucherschutzbefürworter Horst Rüther für die absolute Mehrheit spricht, wenn er sagt: „Da sollte man heute Nacht nicht zu pingelig sein – auch militante Nichtraucher nicht.“

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