Essen. Die Ruine Isenburg hoch über dem Ruhrtal ist steinernes Zeugnis des Mittelalters: 1240 erbaut, wurde die Wehranlage schon nach 48 Jahren komplett zerstört. Außer an Wochenenden und Feiertagen herrscht auf dem 150 Meter hohen Bergsporn nahezu himmlische Ruhe.

Ich war 15, als ich die Isenburg entdeckte. Nicht etwa aus historischem Interesse oder im Rahmen des Heimatkundeunterrichtes, sondern wegen der wilden Jungs mit langen Haaren, die an lauen Abenden die mittelalterliche Ruine umlagerten, trieb ich mich mit meiner Freundin eine Zeit lang zwischen den efeubewachsenen Mauern herum. Damals, Mitte der 1970er Jahre, war das Areal mitten im Schellenberger Wald ein geradezu mystischer, verwunschener Ort. Nur selten verirrten sich Spaziergänger in die 1240 erbaute und bereits 48 Jahre später zerstörte Burg, von der nur noch ein paar Fragmente und Grundmauern aus dem Waldboden ragen.

Daran hat sich bis heute nicht viel verändert: Außer an Wochenenden und Feiertagen herrscht auf dem 150 Meter hohen Bergsporn, auf dem die stattliche Wehranlage mit Vorburg und Kernburg strategisch günstig errichtet wurde, nahezu himmlische Ruhe. Nur die Jets, die in regelmäßigen Abständen den Himmel über der Burg Richtung Düsseldorfer Flughafen kreuzen, holen die wenigen Besucher ins Hier und Jetzt. Wie die verliebten Pärchen, die händchenhaltend und flüsternd in den Burgfräulein-Nischen kuscheln. Oder die jungen Mädchen, die sich wie Katzen auf den Mauerüberresten in der Sonne räkeln.

Denkmal Isenburg unzureichend ausgeschildert

Der größte Teil der Ausflügler, die sich vom Drosselanger aus Richtung Baldeney bewegen, stranden in der Heimlichen Liebe oder dem benachbarten Minigolfplatz. Vielleicht liegt es auch daran, dass das Denkmal Isenburg nur unzureichend ausgeschildert ist.

Wer sich doch auf den Waldweg hinter dem Ausflugslokal begibt, der erlebt nach jeder Biegung magische Momente: Traumhaft schön ist die Aussicht auf den tief im Tal liegenden Baldeneysee. An perfekten Tagen, wenn der Himmel azurblau leuchtet und ein leichter Wind das Wasser kräuselt, auf dem spielzeuggroße Boote ihre weißen Segel blähen, kann man sich an dieser Idylle mitten in einer Reviermetropole nicht sattsehen.

Erstes Relikt der Vergangenheit

Nur ein paar Meter weiter wird der Wald immer dichter. Fast möchte man umkehren, da taucht das erste steinerne Relikt der Vergangenheit auf. Es steht auf dem Privatgelände eines Fachwerkhauses, das Jahrhunderte später unwissentlich in die Umrisse der Vorburg gebaut wurde. Erst dahinter tauchen schemenhaft die Überreste der Burgmauer auf.

Nach ihrer kompletten Zerstörung geriet die Isenburg in totale Vergessenheit. Schon nach wenigen Jahren hatte die Natur die letzten Spuren getilgt. Wiederentdeckt und teilweise rekonstruiert wurde sie erst unter der Leitung von Ernst Kahrs: Der damalige Direktor des Ruhrlandmuseums ließ in der Zeit von 1927 bis 1933 die Trümmer freiräumen und das Mauerwerk bis Hüfthöhe aufmauern. Dabei fand er über 15.000 Fundstücke, die er akribisch dokumentierte und verpackte. Noch heute können die Gürtelschnallen, Scherben, Schmuckstücke und Überreste des täglichen Bedarfs im Ruhrmuseum auf Zollverein bewundert werden. Sie geben Aufschluss über das oft mühsame und von Gewalt geprägte Mittelalter.

Das Leben der Rittersleut’  nachspielen

Das hält Romantiker nicht davon ab, in der Burgruine das Leben der Rittersleut’ nachzuspielen: Ob kleine Jungs, die hier mit Holzschwertern ausgerüstet ihre Abenteuergeburtstage feiern, oder Erwachsene, die nach Regieanleitungen ihre Rollenspiele aufführen – für beide Gruppen gibt es in der Stadt keinen perfekteren Ort als die Isenburg.

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