Essen. Der Altenhof I in Essen-Rüttenscheid ist Zeugnis einer sozialen Tat und leider auch des Abrisswahns der 1970er Jahre. Nur wenige Häuser, in denen einst alte und invalide Krupp-Stammarbeiter mietfrei leben konnten, überstanden den Abriss. Immerhin: Der Altenhof II in Stadtwald ist komplett erhalten.
Niedliche Häuser mit viel Holz-Fachwerk, gewundene Wege, hübsche Gärten - wer alte Fotos vom Altenhof I in Rüttenscheid sieht, kann leicht wehmütig werden. Was wäre hier los, wenn es die Abrisswut der frühen 1970er Jahre nicht gegeben hätte? Die Siedlung wäre ein Pflichttermin für historische Führungen, sie würde als Beispiel für das Bauen mit menschlichem Maß angesehen, in einem Atemzug mit der Margarethenhöhe genannt und in keinem Architekturführer fehlen.
Doch bei aller Trauer über das Verlorene: Die berührenden Reste der einst über 400 Einzel- und Doppelhäuschen machen diesen Ort immer noch zu einem besonderen in Essen. Und immerhin: Es gibt noch den allerdings erheblich schlichteren Erweiterungsteil, den Altenhof II, der auf der anderen Seite der A 52 und damit in Stadtwald liegt. Er ist komplett erhalten und ebenfalls einen Spaziergang wert.
Mietfrei leben
Wie vieles, was in Essen Wohnbauqualität besitzt, ist auch der Altenhof eine Gründung Krupps. Als Friedrich Alfred Krupp die Firma 1887 vom Vater übernahm, war seine erste soziale Großtat die Gründung dieser Siedlung, in der alte und invalide Krupp-Stammarbeiter mietfrei leben konnten. Krupp-Baudirektor Robert Schmohl schuf zehn Grundtypen von Häusern, die sich am holzreichen englischen Cottage-Stil und am „malerischen Städtebau“ Camillo Sittes orientierten. Entsprechend der bescheidenen Zeit boten die Häuser kaum mehr als 60 Quadratmeter Wohnfläche auf zweieinhalb Etagen.
All das war so ziemlich das Gegenteil dessen, was man um 1970 für modernes Wohnen hielt. Als der Neubau des Krupp-Krankenhauses anstand, ließ die Firma rigoros entmieten und abreißen - weit über den Bedarf dessen hinaus, was das Krankenhaus an Raum benötigte. Von den Einzel- und Doppelhäusern des Altenhofs I, erbaut zwischen 1893 und 1907, sind nur noch fünf erhalten, die etwas verloren zwischen den zuletzt entstandenen Neubauten stehen. Einige wenige Mieter hatten den Mut, die Kündigungen zu ignorieren, und da diese Häuser beim Bau des Krankenhauses nicht störten, ließ man sie gewähren. Schon wenige Jahre später war die Stadt froh über die Widerständigkeit. Seit 1986 steht das kleine Rest-Ensemble am Hundackerweg unter Denkmalschutz.
Begehrte Häuser
Zum Altenhof I gehören auch die bestehenden Reihenhäuser am Gussmannplatz, eine Kapelle hinter dem Krankenhaus und einige der „Pründnerhäuser“, in denen alleinstehende Kruppianer lebten und die heute Abteilungen des Krankenhauses beherbergen. Sehenswert sind auch sie, zum alten Kern der Siedlung zählen sie allerdings nicht.
Die wenigen übrig gebliebenen Häuser des Altenhofs I sind heute auf dem Immobilienmarkt begehrt, und auch im komplett erhaltenen Altenhof II lebt man sehr gerne, selbst wenn die Lagegunst einiger Häuser durch die Nähe zur A 52 arg gelitten hat. Indiz: Eine 70-Quadratmeter-Doppelhaushälfte von 1938 sollte hier jüngst 200.000 Euro kosten. Der Altenhof II entstand in seinem zentralen Teil zwischen 1907 und und 1914, bis in die 1930er Jahre kamen weitere Bauabschnitte hinzu. Touristischer Tipp: Einfach mal hinfahren und sich durch die kleinen Straßen und Wege der Siedlung treiben lassen! Der Idylle-Faktor mag nicht ganz so groß sein wie im (früheren) Altenhof I, und da alle Häuser schon länger in Einzelbesitz sind und jeder nach Herzenslust seine Fassade verändern konnte, fehlt der Eindruck baulicher Geschlossenheit.
Zwar ist auch der Altenhof II ein Denkmal, aber die Siedlung unterliegt eben nicht dem strengen, jedes Detail erfassende Ensembleschutz wie die Margarethenhöhe, die mit der Stiftung nur einen Eigentümer hat. Was man noch immer spürt, ist der Wille, eine auf Wohnfrieden und gute Nachbarschaft bedachte Heimstatt zu bauen. Das hügelige Gelände wurde geschickt genutzt, um jede Monotonie zu vermeiden. So tröstet der Altenhof II ein wenig über den nahezu Total-Verlust des älteren Teils hinweg.
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