Essen. Vor dem Wohnhaus des 16-Jährigen in Essen-Borbeck steht den ganzen Tag die Polizei. Beweismaterial wird herausgetragen, Nachbarn wundern sich.
Gegen elf Uhr am Donnerstagvormittag tragen Ermittler ein gutes Dutzend Kisten aus der Dachgeschosswohnung eines Wohnhauses an der Klopstockstraße in Borbeck-Mitte. Darin sind Festplatten, Laptops und alles, was die Polizei zu diesem Zeitpunkt als mögliches „Beweismaterial“ einstuft.
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Außerdem: Lange Gegenstände, sorgsam von der Polizei verpackt in übergroße Tüten aus braunem Papier; die Worte „Hieb- und Stichwaffen“ werden wenig später die Runde machen, und auch eine Armbrust soll der 16-Jährige in seinem Zimmer gehabt haben.
Essen-Borbeck: Niemand außer den Schulleitern darf die Schulgebäude betreten
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Der Schüler steht im Verdacht, zu Hause Bomben gebastelt zu haben, die er in den weiterführenden Schulen platzieren wollte, die er bislang besucht hat – früher war er auf die Realschule am Schloss Borbeck gegangen, derzeit besucht er das Don-Bosco-Gymnasium. Ausländerhass ist offenbar sein Motiv, die Polizei hatte am Montagabend einen Hinweis erhalten, Donnerstag früh um vier stürmten Spezialkräfte die Wohnung. Was man fand, war so aussagekräftig, dass umgehend beide Schulen informiert wurden, die sofort den Unterricht für Donnerstag absagten. Niemand – außer den Schulleitungen – durfte die Gebäude betreten.
Der 16-Jährige wohnt mit seinen Eltern direkt unterm Dach auf 70 Quadratmetern, „nette, ruhige Leute“, sagt eine Nachbarin, die auch in diesem gepflegten Fünf-Parteien-Haus wohnt. Dass der 16-Jährige nun plötzlich über Nacht mit Ausländerhass, heimtückischen Mordplänen und selbst gebauten Bomben in Verbindung gebracht wird, kann die Nachbarin kaum fassen: „Das kann nicht sein“, sagt sie fassungslos und schlägt die Hände überm Kopf zusammen.
Mitschüler sagen: Täter habe „schon immer alles über Waffen und die Hitlerjugend gewusst“
Polizisten sichern über Stunden den Eingang des Wohnhauses an der Klopstockstraße; Senioren, die auf dem Weg zum Einkauf sind oder ihre Hunde ausführen, bleiben stehen und fragen: „Was ist denn hier los?“ – Viel sagen darf oder kann zu diesem Zeitpunkt niemand; ein grauhaariger Mann mit silberner Brille raunt: „Was ist bloß mit unserem Borbeck los. Erst die Sache mit dem Parkhaus und jetzt das.“ An Ostern waren zwei Jugendliche mit einem VW Golf vom Oberdeck des Parkhauses in Borbeck-Mitte gestürzt und tödlich verunglückt; der Schauplatz liegt keine 300 Meter entfernt.
Wer ist der 16-jährige Schüler, der ganz offensichtlich vorhatte, an zwei Schulen ein Blutbad anzurichten? Er war am Don-Bosco-Gymnasium zumindest einigen Mitschülern als rechtsextrem orientiert bekannt. Schüler aus seiner Stufe berichten, er habe angeblich „schon immer alles gewusst über Waffen und Hitlerjugend“, nicht wenige hätten Angst vor ihm gehabt.
Sprengstoff-Spürhund durchsucht die Schulen
Unterdessen sichern Polizisten den gesamten Vormittag lang die Schulen Don Bosco, das Ordensgymnasium, das bis 2007 eine reine Jungenschule war, sowie die Realschule am Schloss Borbeck. Spürhündin „Mina“, ausgebildet, um Sprengstoff zu finden, durchsucht mit anderen Spürhunden zunächst das Gymnasium, später die Realschule. Mit einer großen Zahl von Einsatzkräften werden die Gebäude auch von Polizisten durchsucht. Gefunden wird nichts.
Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen meldet sich am frühen Nachmittag zu Wort, auch Vertreter des Don-Bosco-Ordens; sie alle geben ihrer Betroffenheit Ausdruck und ihrem Entsetzen, finden Worte des Dankes für den beherzten Einsatz der Polizei, sprechen von Erleichterung, dass niemand verletzt wurde.
Amok-Alarm an zwei Essener Schulen
Am frühen Donnerstagmorgen, als bekannt wurde, dass an beiden Schulen am Donnerstag kein Unterricht stattfindet und über einen Amok-Alarm nur spekuliert werden konnte, orakelten noch viele: Da will offenbar jemand seine Abi-Prüfung verschieben und sich mehr Zeit zum Lernen verschaffen. Doch angesichts der Dramatik der Situation, der vielen Polizisten an den Schulen und im Wohnhaus des Tatverdächtigen, war allen Beteiligten schnell klar: Nein, die Lage ist zu ernst für schlechte Scherze. Und ganz nebenbei: Abi-Klausuren wurden am Donnerstag dann gar nicht geschrieben.