Essen. Jeder siebte Corona-Schnelltest in Essen wird von „MediCan“ abgewickelt. Nun legt ein Medienbericht nahe, die Zahlen seien frisiert – mit Folgen.
Lange wird das hier heute wohl nicht dauern. Zwei Herren sind noch vorher dran, aber dann geht’s auch schon rein, zum Corona-Schnelltest im weißen Zelt vor der Ikea-Tür: „MediCan“ macht’s möglich. Die Bochumer Firma gehört zu jenen, die offenbar ein Näschen hatten für das große Geschäft mit dem Virus. Nun wirft Ihnen ein Medienbericht vor, dem Ertrag kräftig nachgeholfen zu haben – indem weit mehr Corona-Schnelltests abgerechnet als tatsächlich durchgeführt wurden. Die Stadt ist alarmiert und „prüft, ob eine Genehmigung entzogen werden kann“.
Als Beleg für die Vorwürfe von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung dient unter anderem ein strunzlangweiliger Beobachtungstag auf dem Ikea-Parkplatz an der Altendorfer Straße: Dort hätten sich, so heißt es, am Pfingstsamstag rund 550 Personen testen lassen. Gemeldet worden seien jedoch 1743. Die beachtliche Zahl sei dabei kein Ausreißer gewesen, auf ähnlichem Niveau hätten sich die gemeldeten Schnelltest die ganze Woche über bewegt.
Eine Absprache, die nicht existiert – oder nur ein bloßes Missverständnis?
Eine Zahl, die skeptisch machen muss, denn angesichts von nur acht Öffnungsstunden hätte an jenem Samstag von morgens bis abends durchgehend alle 16 Sekunden ein Test erfolgen müssen – abwegig. Bei „MediCan“ versichert man denn auch, da liege wohl ein Missverständnis vor: In der Meldung von 1743 Getesteten seien mehrere Teststellen zusammengefasst worden, das sei so abgesprochen mit der Stadt. Diese aber dementiert: „Eine solche Absprache gibt es nicht.“
Unternehmer Can: Immobilien, Fußball und Testzentren
Hinter dem Bochumer Unternehmen „MediCan“ stecken der Bochumer Immobilien-Unternehmer Oguzhan Can (48) und sein Sohn Sertac Can (26), der als Geschäftsführer fungiert.Can ist in Essen kein Unbekannter, er zeichnet für die Revitalisierung des ehemaligen Iduna-Hochhauses am Westrand der Essener Innenstadt verantwortlich, das nach Jahren des Leerstands seit Mai 2017 wieder in neuem Glanz erstrahlt. Zudem machte Oguzhan Can zeitweise als Mäzen beim Fußballclub SG Wattenscheid 09 Schlagzeilen. Die heutige „MediCan GmbH“ war im Juni 2018 als Can Soccer GmbH zur Beteiligung an Sport-Unternehmen aller Art gegründet worden. Erst Ende Januar änderte sie Namen und Gesellschaftszweck und betreibt heute 55 stationäre und rund 40 mobile Corona-Testzentren.
Andere Gegenbeweise liegen derzeit nicht vor, und so breitet sich gegenüber „MediCan“, vielleicht aber auch anderen Test-Anbietern ein anderes Virus aus: Misstrauen. Denn wenn einmal die – zugegeben oft nicht ganz billige – Infrastruktur eines Teststandortes steht, beschert jeder weitere Patient bare Münze und eine schnellere Refinanzierung des Einsatzes: 18 Euro werden von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein für einen Schnelltest erstattet, davon bis zu sechs Euro fürs Material.
„Es gibt Tage, da lohnt es sich wirklich, und andere, da lohnt es sich nicht“
Der Rest ist pure Mathematik: Seit dem Start der sogenannten Bürgertests sind nach städtischen Angaben in Essen 645.993 Schnelltests absolviert worden, allein 86.639 durch die Firma „MediCan“. Damit geht nahezu jeder siebte Essener Test im Wortsinne auf das Konto der Bochumer, die erst seit dem 23. April bei Ikea und vor drei Hellweg-Baumärkten im Stadtgebiet Stellung bezogen haben. Vergangenen Freitag kamen Teststellen an zwei weiteren Hellweg-Baumärkten hinzu.
Kann das sein bei fast 200 Test-Standorten? Ein anderer Essener Anbieter von Corona-Schnelltests scheint skeptisch: „Es gibt Tage, da lohnt es sich wirklich, und andere, da lohnt es sich nicht.“ Im Schnitt müssten schon mehrere hundert Testpersonen pro Tag vorstellig werden, um an einen Standort nicht draufzuzahlen – abhängig natürlich von der Qualität des Personals und den Öffnungszeiten.
Bei 12.199 Corona-Schnelltests binnen einer Woche kein einziger Virus-Treffer
Gelegenheit zur Schummelei im großen Stil sieht der Test-Konkurrent nicht, die ausgefüllten Formulare der Testpersonen müssten schließlich archiviert und bei Stichproben vorgezeigt werden. Andererseits muss auch jemand prüfen wollen. Die Stadt jedenfalls betont, sie sei hier nicht in der Verantwortung: Denn nach einer Anfangsphase, in der die Meldungen übers Gesundheitsamt liefen, melden die Teststellen ihre Werte längst direkt ans Land und an die KV Nordrhein, die – das mal am Rande – den Ruf genießt, in der Kostenerstattung eher zögerlich vorzugehen.
Die Kassenärztliche Vereinigung ließ am Freitagabend auf Anfrage wissen, dass man die Zahlen der Testungen „nicht differenziert erfragt“. Die Stadt wiederum würde nur bei Hygiene-Verstößen eingreifen. Eine Lücke im Kontrollsystem also? Ein Zahlenfuchs könnte natürlich auch bei den Testergebnissen stutzig werden. Denn während unter den knapp 646.000 Essener Tests in bis dato 2387 Fällen der Virus nachgewiesen wurde – ein Anteil von 0,37 Prozent – , bescherte eine „MediCan“-Testwoche mit 12.199 Tests bei Ikea laut NDR, WDR und SZ keinen einzigen Treffer.
Zu schön, um wahr zu sein?