Essen. Der Ernst-Tengelmann-Ring in Heisingen erinnert an einen Wirtschaftsführer, der bereits 1930 der Nazi-Partei beitrat. Dies soll nun Folgen haben.

Umbenennungen aus historisch-politischen Gründen sind heikel und zumindest wenn es um Straßen geht bei Anwohnern wenig beliebt. Die Grünen im Stadtbezirk 8, dem Essener Südosten, haben dennoch den Ernst-Tengelmann-Ring in Heisingen als Problem ausgemacht und fordern, zumindest der gleichnamigen Haltestelle der Ruhrbahn einen anderen Namen zu geben. Grund ist, wie fast immer bei solchen Anliegen, die NS-Verstrickung des Namensgebers.

Bereits 1930 trat Ernst Tengelmann der NSDAP bei

Ernst Tengelmann (1870-1954) war ab den 1920er Jahren einer der mächtigsten Wirtschaftsführer der Ruhrindustrie und trat 1930 der NSDAP bei, mithin bereits drei Jahre vor der Machtübernahme der Hitler-Partei. Ein so frühes Bekenntnis gilt in der Forschung als Indiz für eine besondere ideologische Nähe, während manche späteren Parteieintritte eher dem beruflichen Fortkommen zugerechnet werden. Tengelmann war in der Weimarer Republik wie auch in der NS-Zeit außerdem Mitglied des Essener Stadtrates und Funktionär in verschiedenen Wirtschaftsverbänden, unter anderem der IHK.

Ernst Tengelmann in einer undatierten Aufnahme.
Ernst Tengelmann in einer undatierten Aufnahme. © Unbekannt | Repro: Armin Thiemer

Für Jan-Karsten Meier, der für die Grünen im Stadtrat sitzt, ist der Straßenname Tengelmann deshalb eine schwer erträgliche Hypothek. Meyer ließ von dem jungen Bochumer Historiker Thorben Pieper die Hintergründe der Namensgebung erforschen, die sechs Jahre nach Tengelmanns Tod im Jahr 1960 erfolgte – also weit nach Ende des nationalsozialistischen Herrschaft. Nach Erkenntnissen der wissenschaftlich solide wirkenden Studie waren die Essener Industrie- und Handelskammer sowie die ebenfalls in der Ruhrindustrie einflussreichen Söhne Tengelmanns die hauptsächlichen Treiber der Ehrung.

Beziehungen zum Essener Stadtteil Heisingen hatte Ernst Tengelmann keine

Dass eine neue Straße in Heisingen ausgewählt wurde, hing mit der Zeche Carl Funke zusammen, die zum Besitz der Essener Steinkohlenbergwerke AG gehörte, der Ernst Tengelmann als Generaldirektor vorstand. In den 1950er Jahren habe das Gelände des späteren Ernst-Tengelmann-Rings noch zum Werksbereich der Zeche gehört, so Meier. Auch das Unternehmen selbst forcierte die Namensgebung ihres ehemaligen Vorsitzenden. Beziehungen zum Stadtteil Heisingen hatte Tengelmann ansonsten keine.

In der Essener Kommunalpolitik, die über Straßennamen damals wie heute zu entscheiden hat, wurde dem Ansinnen schließlich stattgegeben. Auch der damalige Oberbürgermeister Wilhelm Nieswandt, ein Sozialdemokrat, erhob keine Einwände. Die Aufarbeitung der NS-Verstrickung von Wirtschaftsführern befand sich um diese Zeit – sieht man von einigen prominenten Namen wie Krupp oder Thyssen ab – noch in den Anfängen. Es fehlten Informationen, oft bestand allerdings auch wenig Interesse daran, und das nicht nur bei den Belasteten selbst.

Zeitweise ein wichtiger Mitarbeiter des Industriellen Friedrich Flick

Ernst Tengelmann und seinen ebenfalls NS-belasteten Söhnen dürfte jedenfalls kaum an umfassender Aufklärung gelegen sein. Seine vielen Posten in den Essener Montan-Unternehmen und seine Funktionen in Verbänden mussten ihn zwangsläufig mit dem NS-Staat in engen und wohlwollenden Kontakt bringen. Er hatte zudem maßgeblichen Anteil an der Finanzierung der Partei und wurde später „Wehrwirtschaftsführer“. Zeitweise war Tengelmann wichtiger Mitarbeiter des Industriellen Friedrich Flick, der in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen wegen Förderung der Zwangsarbeit und Plünderung besetzter Gebiete zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war.

Nach 1945 musste sich Ernst Tengelmann nur kurz und letztlich folgenlos wegen seiner Rolle während der NS-Herrschaft verantworten. Inwieweit er an Gewalttaten, Zwangsarbeit oder anderen Verbrechen konkret beteiligt war, blieb offen und ist bis heute schwer zu belegen. Auch die Studie von Thorben Pieper, die beachtliche Archiv-Recherchen zur Grundlage hat, kann hier keinen endgültigen Aufschluss liefern.

Die Grünen wollen die Straßennamen belassen – es sei denn die Anwohner wünschen eine Änderung

„Die Grünen in der Bezirksvertretung teilen die Ansicht des Gutachters Thorben Pieper, den eigentlichen Straßennamen zu belassen und erläuternde Informationstafeln im Umfeld aufzustellen“, betont Jan Karsten Meier in einer Mitteilung. Damit sei eine umfassende Einordnung von Namensgebungsprozess und Person möglich. „Sollten die Anwohner/-innen allerdings aufgrund dieser Informationen selbst eine Umbenennung wünschen, so würden sich die Grünen dem nicht verschließen.“

Tengelmann - bis heute ein bekannter Name

Der Name Tengelmann mag auch deshalb aufmerken lassen, weil man ihn mit der Einzelhandelskette assoziieren könnte. Ganz falsch ist das nicht, namensstiftend war hier aber nicht Ernst Tengelmann, sondern sein älterer Bruder Emil, der die Kette zwar nicht begründete, jedoch bis zu seinem frühen Tod dort in leitender Position tätig war. Die Tengelmanns entstammten kleinen Verhältnissen. Auch Ernst Tengelmann musste sich in der Ruhrkohlenwirtschaft hocharbeiten, war Bergmann und wurde nach dem Besuch der Bergschule Steiger, dann Betriebsleiter der Zeche Herkules in Essen und schließlich Generaldirektor und Vorstand mehrerer Zechen-Konzerne. Ein durchaus damals nicht alltäglicher Aufstieg.

Anders lägen die Dinge bei der Haltestelle der Ruhrbahn. „Hier handelt es sich um eine Bezeichnung, die unkommentierbar in den Ruhrbahn-/VRR-Fahrplänen aufgeführt wird“, sagt Meier. Der Fahrgast erhalte also keine weiteren Informationen zum nationalsozialistischem Hintergrund des Namensgebers. Daher böte sich eine Umbenennung an.

Offiziell ist der Ruhrbahn „von der Forderung zu dieser Namensänderung bisher nicht bekannt“, sagt Sprecherin Simone Klose. Grundsätzlich sei eine Änderung möglich, sofern das Prozedere eingehalten werde. Neben dem Antrag der zuständigen Bezirksvertretung müsse der zuständige Fachbereich der Ruhrbahn das Anliegen auf Notwendigkeit, Umsetzbarkeit und Kosten prüfen.

Ruhrbahn: Erst über die Änderung der Straßen nachdenken, dann über die Haltestelle

Allerdings gebe es praktische Probleme. „Bei der Namensgebung von Haltestellen gilt das Prinzip der ersten Querstraße“, betont Klose. „Da diese nach wie vor Ernst-Tengelmann-Ring heißt, müsste man unseres Erachtens zunächst über die Änderung des Straßennamens nachdenken und dann die Umbenennung der Haltestelle folgen lassen.“

Das sehen die Grünen etwas anders, denn der Ernst-Tengelmann-Ring münde gar nicht in den Bus-Linienweg der auf der Bahnhofstraße entlangführt. „Die nächste Einmündung im Haltestellenumfeld ist der Soniusweg“, betont Meier. Anselm Sonius sei im 18. Jahrhundert ein durchaus konfliktfreudiger Abt des Klosters Werden gewesen und habe sich oftmals längere Zeit in Haus Heisingen aufgehalten. Aus Sicht der Grünen wäre somit ein stadthistorisch passender und von der Straßenstruktur her machbarer Name für die Haltestelle möglich. In der November-Sitzung der Bezirksvertretung soll ein entsprechender Antrag eingebracht werden.