Essen. Acht Millionen Deutsche sind tätowiert - Tendenz nach oben. Aber warum setzt man sich dem Schmerz aus? Ein Forscher der Uni DUE hat Erklärungen.

Das erste Tattoo sollte besonders sein, eine Bedeutung haben: Es war ein Schriftzug. Felix Kremers war da 20 Jahre alt. Beim zweiten hatte er Lust auf ein Motiv: ein Segelschiff. Neun Jahre später sind auf der Haut des jungen Mannes noch unzählige weitere Tattoos zu sehen: Anker, Rosen, ein Frauenkopf. "Nach dem ersten Tattoo ist bei mir der Knoten geplatzt. Danach habe ich mich jeden Monat mindestens einmal tätowieren lassen. Das kam so aus der Punkrock - und Skateboard-Szene."

Heute ist Kremers selbst Tätowierer, arbeitet in einem Studio in Essen und hilft anderen dabei, ihren Körper zu schmücken. Acht Millionen Menschen sind in Deutschland tätowiert. Prominente machen es vor: Katy Perry ließ sich nach dem Super Bowl die 49 in römischen Ziffern tätowieren (für die 49. Auflage des Super Bowl), David Beckham trägt den Namen seiner Frau auf dem Körper und Miley Cyrus hat sich einen Katzenkopf auf die Innenseite der Unterlippe stechen lassen.

Mittel körperlicher Selbstbestimmung

Dass Tattoos einen auch zum Doktortitel verhelfen können, hat Tobias Lobstädt bewiesen. Er hat zu dem Thema an der Universität Duisburg-Essen promoviert und sich aus psychologischer Perspektive mit Tattoos beschäftigt. Unter anderem klärt er: Aus welchem Grund lassen sich Menschen tätowieren?

Zunächst ein Blick auf die Trends der vergangenen Jahre. Eine erste Popularität habe die Tätowierung bei Seefahrern gefunden. Sie verknüpften später die Technik mit einem westlichen Design. Dann fanden Tattoos über Motive der Motorradclubs Einzug in unsere Kultur.

"Arschgeweih", "Schlampenstempel" oder "Steißtattoo - egal, wie man es bezeichnet. Was gemeint ist, weiß wohl jeder. Es zählt zu den größten Tattoo-Trends. " Irgendwann haben die Leute dann aber wohl gemerkt, dass sie im Freibad damit nicht mehr alleine sind. Das Tattoo machte sie also nicht mehr individuell.", sagt Felix Kremers.

Dr. Tobias Lobstädt sieht das "Arschgeweih" als ein Ausdrucksmittel "körperlicher Selbstbestimmung" an: "Es bringt ein ehemaliges Macho-Symbol auf den Körper der Frau, die sich dieses Zeichens bemächtigt. Darüber hinaus entscheidet sie frei, durch welche Kleidung sie es verbirgt oder akzentuiert."

Sternum-Tattoo ist das neue "Arschgeweih"

Was auch nahezu verschwunden sei, das sind chinesische Zeichen. In den vergangenen Jahren hätten dafür Unendlichkeitszeichen und Vogelsilhouetten an Beliebtheit gewonnen. Die seien laut Kremers jetzt aber schon wieder auf dem Rückzug. Ein aktueller Trend: Tattoos an sichtbaren Stellen wie Finger und Hals. "Das kann sich aber nicht jeder erlauben. Dafür sollte man im Job gefestigt sein. Da fühle ich auch eine Verantwortung gegenüber meinen Kunden. In manchen Berufen wird man für ein Tattoo noch immer schräg angeguckt - auch wenn die Toleranz generell wächst."

Ein Nachfolger für das "Arschgeweih" sei auch schon gefunden, glaubt Felix Kremers. Es könnte das Sternum-Tattoo sein (befindet sich unterhalb der Brust). "Eigentlich ist es eine schöne Form, sehr symmetrisch und verspielt. Ich hoffe mal nicht, dass es wie das Arschgeweih wieder so ausgeschlachtet wird."

Aber warum setzen sich Menschen nun diesen Schmerzen einer Tätowierung aus? Dr. Tobias Lobstädt betont, dass ein Tattoo häufig eine "jugendkulturelle Zugehörigkeit, Vorliebe und Abgrenzung" zum Ausdruck bringe. "Das kann das Zeichen eines Fußballclubs, das Logo einer Band oder das Symbol eines Computerspiels sein."

Stars geben Trends vor

Aber Zugehörigkeit ist nicht der einzige Grund.  "Der Tätowierte möchte damit seine Individualität anzeigen, gibt seine Vorlieben zu erkennen oder wertet seinen Körper mit der Tätowierung als Schmuck auf, die ihn Geld, Mühe und Schmerz gekostet hat." Eine große Rolle spiele auch das Selbstwertgefühl. "Im Lebensverlauf kann es durch besondere Ereignisse, Krisen oder Krankheit aus dem Gleichgewicht geraten. Ich gehe davon aus, dass wiederholte Tätowierung ein Mittel zur Balance des Selbstwertgefühls ist", erklärt Dr. Tobias Lobstädt.

Und was sagt der Tätowierer zu den Gründen? Erzählen ihm die Kunden davon? "Viele mache sich die ersten Tattoos, weil sie ein Kind bekommen oder Angehörige verloren haben. Sie rechtfertigen Tattoos dann mit einer tieferen Geschichte."Die Gruppenzugehörigkeit sieht er auch als starkes Argument an. Und als noch viel wichtiger schätzt er Prominente ein. Sie inspirierten gerade junge Menschen zu Tätowierungen. "Wenn Rihanna wieder ein neues Tattoo hat, dann ist klar, was bei den Menschen als Nächstes gefragt sein wird", erzählt Kremers.