Essen. Eltern sind entnervt, Arbeitgeber verärgert: Sind Pooltests in der Kita positiv, bleiben alle Kinder zu Hause. Essen überdenkt die Teststrategie.

Seit Jahresanfang werden alle 21.000 Kita-Kinder in Essen zweimal wöchentlich mit „Lolli-Tests“ auf das Coronavirus überprüft. Was die meisten Eltern anfangs begrüßten, bringt viele nun an den Rand der Verzweiflung: Regelmäßig müssen sie ihre Kinder zu Hause betreuen, obwohl diese gar nicht infiziert sind. „Auch viele Arbeitgeber machen das nicht mehr mit“, sagt eine Mutter von zwei Kindern (4 und 5). Sie fordert ein Ende der „anlasslosen Massentests“. Laut Stadt ist die Teststrategie auf dem Prüfstand.

Essener Kita-Leiterin mailt nachts an die Eltern

Bei den Lolli-Tests handelt es sich um PCR-Tests, die zuverlässiger sind als Antigen-Schnelltest. Getestet wird im Pool-Verfahren, also gruppenweise. Der Pool wird im Labor ausgewertet: Ist ein positiver Fall dabei, müssen alle Kinder der Gruppe am nächsten Tag zu Hause zu Hause bleiben. „Bei uns wird immer montags getestet. Wenn die Ergebnisse eintreffen, setzt sich die Kita-Leiterin nachts hin und mailt zwischen 23 Uhr und fünf Uhr morgens an die Familien“, berichtet die Mutter der zwei Kita-Kinder. Dann organisieren die Eltern eine Betreuung oder melden sich bei der Arbeit ab.

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Am Dienstag geben die Eltern einen Einzel-Test ihres Kindes in der Kita ab. Wieder erfahren sie nachts, welches Kind infiziert ist – und welches am Mittwoch in die Kita kommen darf. „In einigen Fällen kommt das Testergebnis nicht rechtzeitig, so dass das Kind noch einen Tag zu Hause bleiben muss“, sagt die Mutter. Am Mittwoch finde dann der zweite wöchentliche Test statt, so dass am Donnerstag erneut viele Kinder daheim bleiben.

Das Verfahren belaste nicht nur Leiterin und Eltern, sondern auch die Kinder, die nie wüssten, ob sie am nächsten Morgen in die Kita gehen können. Trotzdem hat Familienminister Joachim Stamp am 21. Februar in einer Mail an Kitas, Tagesmütter und Eltern betont, man halte noch an der Teststrategie fest. Dabei heißt es in der Mail, schwere Krankheitsverläufe seien bei Kindern „die absolute Ausnahme“. Und weiter: „Die durch Einschränkungen verursachten Folgewirkungen wie Adipositas, seelische Erkrankungen und Suchtverhalten übersteigen die Risiken einer Corona-Infektion um ein Vielfaches.“

Ministerium denkt über einen Wechsel der Teststrategie nach

Das Ministerium verschickt sogar eine Stellungnahme von drei Experten, in der der Nutzen anlassloser Tests bezweifelt wird. Empfohlen wird ein „Strategiewechsel zugunsten einer Untersuchung symptomatischer Kinder durch die Eltern“. Stamp verspricht immerhin, man werde „erörtern, ob und wie lange anlasslose Tests notwendig sind“.

„Durch die Kita-PCR-Pooltestungen konnten wir schon mehr als 2000 Infektionen ausfindig machen“, sagt die Sprecherin des Essener Jugendamtes, Stefanie Kutschker.
„Durch die Kita-PCR-Pooltestungen konnten wir schon mehr als 2000 Infektionen ausfindig machen“, sagt die Sprecherin des Essener Jugendamtes, Stefanie Kutschker. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Der Essener Jugendamtselternbeirat erlebt derzeit eine Zweiteilung der Elternschaft, die er vertritt. „Es gibt durchaus Eltern, die sagen ,Sicherheit geht vor, lasst uns die Tests behalten’“, sagt der Vorsitzende des Beirats, Robert Armbruster. Andere ärgerten sich massiv über die ständigen Betreuungsausfälle und damit verbundene Schwierigkeiten im Job. „Wenn Woche für Woche mindestens an einem Tag die Kita ausfällt, obwohl ihr Kind gar nicht selbst erkrankt ist, ist das für sie ein Riesending.“

2000 Infektionen wurden durch die Pooltests in Essener Kitas entdeckt

Armbruster hat für beide Haltungen Verständnis und einen Vorschlag, wie man die Lage verbessern könnte: Indem nämlich jedes Kind mit dem Pooltest gleich einen zweiten, einzelnen Test machen würde. „Diese gleichzeitige Rückstellprobe könnte am selben Tag ausgewertet werden, falls der Pool positiv ist.“ Vorteil: Alle Kinder, deren Einzeltests negativ sind, dürften am nächsten Tag in die Kita gehen. Allerdings habe die rasche Verbreitung der Omikron-Variante diese Lösung bisher verhindert: „Das zuständige Labor sagte, sie könnten das gar nicht alles an einem Tag leisten.“

Experte sieht die anlasslosen Massentests kritisch

Das NRW-Familienministerium hat ein Expertengespräch zum „Umgang mit der Omikron-Variante in der Kinderbetreuung“ organisiert. Über die Ergebnisse informierte Minister Joachim Stamp (FDP) die Eltern sowie die Beschäftigten in Kitas und Tageseltern per Rundmail vom 21. Februar 2022.Prof. Martin Exner, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, beurteilt die jetzige Teststrategie darin kritisch und rät zum Strategiewechsel: Man solle symptomatische Kinder testen. Sinnvoll seien Tests auch, wenn es in der Kita „nachweislich einen Infektionsfall gab“. Daneben sollten Erzieherinnen regelmäßig Schnelltests machen, da ihnen als „potenziellen Verbreitern“ Bedeutung zukomme. Exner sagt auch, man müsse die Strategie hinterfragen, durch massenhafte Tests und das Erfassen jeder Infektion die Ausbreitung von Omikron einzugrenzen. Dass das gelungen sei, bezweifeln auch viele Eltern: Omikron sei so ansteckend, dass in ihrer Kita längst der Großteil der Jungen und Mädchen betroffen war, sagt eine Mutter. Sie gelten nun als genesen, müssen acht Wochen lang nicht an den Pool-Tests teilnehmen. Folge: „In unserer Kita-Gruppe werden derzeit nur noch fünf Kinder getestet.“ Bloß bleibe der Aufwand für die Kita-Leitung quasi gleich – und der Ausfall der Betreuung auch.

Die Sprecherin des Jugendamtes, Stefanie Kutschker betont, man habe Verständnis für die Belastung der Eltern und daher „immer wieder an die Arbeitgeber appelliert, Lösungen für Familien zu schaffen.“ Sie sieht aber auch Erfolge der Teststrategie: „Durch die Kita-PCR-Pooltestungen konnten wir schon mehr als 2000 Infektionen ausfindig machen und so frühzeitig ein Infektionsgeschehen durchbrechen.“ Die Tests hätten sich bewährt und seien von vielen Familien begrüßt worden.

Zwar werde an den Grundschulen schon auf die PCR-Tests verzichtet, doch dort sei die Situation völlig anders: „Kindergartenkinder tragen keine Masken und halten beim Spielen keinen Abstand untereinander.“ Man beobachte jedoch die pandemische Entwicklung und folge dem Minister, der einen Wechsel der Teststrategie in Aussicht gestellt habe. Noch diese Woche wolle die Stadtspitze mit Gesundheits-, Jugend- und Schuldezernat über den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg aus den Pooltests beraten.