Essen-Rüttenscheid. Tausende Menschen mussten ihre Wohnungen in Essen-Rüttenscheid verlassen. Die Nacht der Evakuierung erlebten sie mit gemischten Gefühlen.

Der Morgen nach der Bombenentschärfung in Rüttenscheid wirkt wie Alltag – dabei konnten mehr als 9000 Menschen wegen der Blindgänger die halbe Nacht nicht zuhause verbringen. Zwei junge Mütter kehren erst am Morgen mit ihren Säuglingen zurück, beide konnten bei Familienmitgliedern übernachten und sind nun einfach nur erleichtert. „Alleine wäre ich wahrscheinlich noch nachts zurückgekommen, aber mit Baby natürlich nicht“, sagt eine Frau, die nach den turbulenten Stunden eine Spazierrunde im Sonnenschein genießt.

Auch interessant

Erst mitten in der Nacht gab es Entwarnung, bis dahin mussten die Menschen im Umkreis von 500 Metern zu den Fundorten auf den Geländen des Helmholtz- und des Maria-Wächtler-Gymnasiums an der Rosastraße ihrem Viertel fern bleiben. Zentrale Anlaufstelle waren die Messehallen, einige entschieden sich stattdessen für eine privat finanzierte Nacht im Hotel oder kamen bei Freunden oder Familie unter. „Es gibt hier in Essen ja oft Bombenentschärfungen“, sagt Laura Frings, deshalb habe sie die Nachricht nicht allzu sehr beunruhigt. Und ihr zweieinhalbjähriger Sohn habe sich über die Übernachtung bei Oma und Opa in Heisingen gefreut.

Evakuierung ist für demente Patienten schwierig

Belastender war die Evakuierung gerade für ältere und pflegebedürftige Menschen. „Bei den Patienten mit Demenz ist es nicht leicht, wenn sie nicht verstehen, was gerade passiert. Die übrigen haben es gelassen genommen, vielleicht auch, weil wir 2019 schon einmal eine solche Situation hatten“, sagt Gerhart Claßen, Leiter des DRK-Seniorenzentrums Rüttenscheid. Dort war aufgrund der Lage am Rand des Evakuierungsgebietes nur ein kleiner Teil der Bewohnerinnen und Bewohner betroffen, sie mussten sich bis in die Nacht im abgewandten Gebäudeteil aufhalten.

Im Seniorenstift St. Andreas hingegen durfte niemand bleiben. „Es sind 77 Bewohner evakuiert worden, 14 bettlägerige Bewohner wurden im Krupp-Krankenhaus betreut“, sagt Nils Behler aus der Geschäftsführung. Mehr als 50 Mitarbeitende und Angehörige hätten bei der Evakuierung geholfen. „Es lief alles geordnet ab, auch wenn es für alle Beteiligten natürlich aufregend ist“, sagt er und lobt die Kooperation mit Feuerwehr und allen weiteren beteiligten Helfern. In der Gruga sei um Mitternacht das Steigerlied angestimmt worden und gegen vier Uhr in der Nacht seien die Bewohnerinnen und Bewohner dann zurückgekehrt.

Respekt vor Arbeit der Sprengmeister

Im Unverpackt-Laden von Christiane Teske an der Rosastraße läuft der Betrieb langsam wieder an. „Nachdem es die Nachricht zum Bombenfund gab, hatte ich natürlich so gut wie keinen Umsatz mehr“, berichtet sie. Gegen 17.15 Uhr habe sie den Laden dann geschlossen. „Was mich beeindruckt ist, dass auch 70 Jahre nach dem Krieg noch so viele Bomben im Boden liegen“, sagt sie. „Ich habe vollstes Verständnis für die Evakuierung und tiefsten Respekt vor den Menschen, die die Bomben entschärfen.“

Umso größer ist die Erleichterung am nächsten Tag, als bekannt wird, dass die Entschärfung vorgezogen werden musste, weil Gefahr im Verzug war. Ein Bagger hatte einen Blindgänger unglücklich mit der Schaufel getroffen und einen Zünder beschädigt.