Essen-Überruhr. „Der Trend geht abwärts“, sagen Anwohner aus Überruhr-Holthausen. Es gibt Randale, Drogenhandel, keine Treffs für Jugendliche, und eine Ausnahme.

Vandalismus, Zerstörungswut und Drogenverkäufe beschäftigen die Anwohner in Überruhr-Holthausen: „Das ist ein großes Gesprächsthema“, bestätigt Gerhard Luhmann, der seit den 1970ern im Viertel rund um den Schaffelhofer Weg lebt. Er hat den Wandel von der Bergbausiedlung mit dem starken Zusammenhalt der Kumpel bis zur mitunter anonymen Nachbarschaft und Problemfamilien erlebt. Viele Kinder und Jugendliche würden schlichtweg sich selbst überlassen – allerdings nicht von allen.

Politiker haben die Klagen der Bürger aufgegriffen, die Stadt schickt Sozialarbeiter ins Viertel, die Polizei kommt, wenn sie gerufen wird. Was aber fehlt, davon ist etwa Gregor Steinebach (51) überzeugt: „Ein Treffpunkt für die vielen Mädchen und Jungen.“ Warum er das so genau weiß: Seine Café-Tür steht den Kindern offen, sie kommen und wenn es nur darum geht, dass sie Mensch-Ärgere-Dich-Nicht spielen möchten.

Erster Kontakt zu Jugendlichen im Schul-Kiosk

Dieser Platz in Überruhr-Holthausen sei ein beliebter Treff für Jugendliche, sagt Gregor Steinebach, der sein Café in der Nähe betreibt und um fehlende Anlaufstellen für Kinder weiß.
Dieser Platz in Überruhr-Holthausen sei ein beliebter Treff für Jugendliche, sagt Gregor Steinebach, der sein Café in der Nähe betreibt und um fehlende Anlaufstellen für Kinder weiß. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann


Als Gregor Steinebach das Café Steins vor zweieinhalb Jahren eröffnete, da kannte er Überruhr-Holthausen nicht. Der gelernte Hotelfachmann aus Katernberg hatte da zuvor sein Restaurant aufgegeben und am Schaffelhofer Weg einen Neuanfang gemacht. Sein erster Eindruck waren gepflegte Einfamilienhäuser und manches nicht ganz so schöne Hochhaus, aber das störte nicht. Dass es hinter manchen Wänden nicht immer Platz und Aufmerksamkeit für die Kinder gibt, davon erfuhr er erstmals, als er den Kiosk einer Schule belieferte.

Schon in seinem ersten Winter lernte er einige der Kinder und Jugendlichen kennen, später bekamen sie eine Kugel Eis zum Geburtstag, machten Praktika im Café – und genossen seine Aufmerksamkeit, beschreibt er. „Sie wollen den Kontakt, wollen bemerkt werden“, hat der 51-Jährige rasch festgestellt. Sie löchern ihn mit Fragen zu seinem Betrieb und zu Berufsaussichten. „Da läuft ganz viel auf“, beschreibt er und fragt sich, ob zu Hause wohl niemand zuhöre.

Aggressive Stimmung, selbst unter Grundschülern bei Brettspielen


Die Familien hätten unterschiedliche Herkünfte, er zählt Tunesien, Marokko oder Pakistan als Beispiele auf. Was viele Kinder verbindet: Sie spielten häufig auf der Straße, selbst im Winter. Und noch etwas falle ihm immer wieder auf: eine aggressive Stimmung, selbst unter Grundschülern bei Brettspielen. „Sie schreien sich an, schlagen sich.“

Schon deswegen ist auch Luhmann überzeugt: „Wir müssen schon diese Kinder früh genug von der Straße holen, nicht erst, wenn sie mit Drogen handeln.“ Institutionen wie der Fußball- oder Handballverein seien durchaus gute Angebote für eine soziale Entwicklung, sagt der gelernte Maschinenbauingenieur, der ehemals beruflich für die Sicherheit beim Chemieunternehmen Goldschmidt zuständig gewesen ist. Aber das Angebot sei gering, der Frust groß – bei vielen im Stadtteil.

Beschmierte Wände, brennende Papierkörbe, besprühte Stromkästen, ramponierte Bänke

Dort gehörten Missstände wie beschmierte Hauswände, brennende Papierkörbe, vollgesprühte Stromkästen, ramponierte Sitzbänke beinahe zum Alltag. Manche Nachbarn seien regelrecht zornig: auf die Jugendlichen, aber auch auf diejenigen, die nicht handelten. „Die Sozialarbeiter sind ein guter Ansatz“, ist Luhmann überzeugt. Aber das werde nicht reichen: „Wir müssen den Jugendlichen etwas anbieten.“ Sonst werde sich die Situation nicht verbessern, seit etwa 15 Jahren beobachtet er die Zunahme der Missstände: „Der Trend geht abwärts.“

Die Tür im Café Steins in Essen-Überruhr steht auch Kindern offen, eine Lösung für fehlende Treffs sei das aber nicht, sagt Inhaber Gregor Steinebach.
Die Tür im Café Steins in Essen-Überruhr steht auch Kindern offen, eine Lösung für fehlende Treffs sei das aber nicht, sagt Inhaber Gregor Steinebach. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann


Gregor Steinebach wird – wenn Corona es wieder zulässt – seine Tür zwar weiter öffnen. „Allerdings verkaufe ich hier Schwarzwälder-Kirsch und bin kein Kindercafé“, stellt er klar und sieht vor allem andere in der Verantwortung. Zwar fände sich an seinen Tischen oftmals Platz für vier Kinder, wenn keine Gäste kämen, dürften die Mädchen und Jungen auch länger bleiben. Aber eine Lösung der Probleme sei das nicht.

Anlaufstelle im leerstehenden Reisebüro einrichten

Auch Sozialarbeiter würden eine so dringend benötigte feste Anlaufstelle nicht ersetzen, sagt er und zeigt nach nebenan, um Verantwortliche bei der Stadt vielleicht auf Ideen zu bringen. Dort steht ein früheres Reisebüro leer. Die Mieten seien nicht hoch im Viertel, die Investition werde sich lohnen, ist er überzeugt. Für Kinder, Jugendliche und die Stadt. „Denn allein die späteren wirtschaftlichen Schäden sind um ein Vielfaches höher.“