Essen. In Essen können mutmaßliche Straftäter aus dem islamischen Kulturkreis oft nicht verurteilt werden - weil Zeugen und Opfer Aussagen zurückziehen.
Straftaten werden heruntergespielt, Anzeigen zurückgenommen oder Beteiligte geben zu Protokoll, sich an Einzelheiten einer gewalttätigen Auseinandersetzung angeblich nicht mehr erinnern zu können: „In einer Vielzahl von Verfahren“ hat die Essener Staatsanwaltschaft feststellen müssen, dass Opfer und Zeugen plötzlich nicht mehr bereit waren, an einer Aufklärung „vor allem von Körperverletzungs- und Erpressungsdelikten aus dem islamischen Kulturkreis“ beizutragen.
Nach Einschätzung der Ermittler stellt dieses Verhalten inzwischen „ein erhebliches und auch zunehmend frustrierendes Problem dar“ - insbesondere dann, wenn Verfahren am Ende schlicht eingestellt werden müssen und mutmaßliche Täter nur deshalb nicht zur Rechenschaft gezogen werden können.
Diese unmissverständliche Einschätzung der Leiterin der Staatsanwaltschaft Essen findet sich in dem aktuellen Bericht „Einschüchterung von Zeugen durch Clans“ für den Rechtsausschuss des NRW-Landtages wieder.
Keine Handhabe, Angaben zu erzwingen
Darin führt Karin Schwarz aus, gegenüber ihren Dezernentinnen und Dezernenten werde pauschal behauptet, man habe die Sache unter sich geklärt, „wobei sich nicht selten der Verdacht aufdrängte, dass diese Aussage aufgrund einer Drucksituation erfolgte“. Man könne in solchen Fällen allerdings nur vermuten, dass ein Friedensrichter eingeschaltet worden sei oder eine Einschüchterung der Clan-Mitglieder stattgefunden habe.
Aussagen von Zeugen stützten solche Annahmen durchaus, führt die Leitende Oberstaatsanwältin aus. In Einzelfällen werde aber auch ausdrücklich erklärt, „man habe sich geeinigt“.
Die Staatsanwaltschaft habe jedenfalls keine geeignete Handhabe, die Beteiligten zu Angaben zu zwingen. Hinzu komme, dass es sich nicht selten um Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Familien und Gruppen handele, wobei der strafrechtliche Vorwurf über Körperverletzungen meist nicht hinausgehe und deshalb gewisse weitreichende Maßnahmen wie etwa eine Telefonüberwachung durch die Polizei nicht zu rechtfertigen seien.
Die eigentlichen Hintergründe dieser Straftaten blieben deshalb im Dunkeln - und das ebenfalls „in einer Vielzahl von Fällen“, wie die Behördenleiterin betont.
Vermutlich Kontakt zu einer Zeugin aufgenommen
Erst in der vergangenen Woche hatten Ermittler die Kanzlei eines Anwalts an der Zweigertstraße durchsucht, der auch Clan-Größen vor Gericht vertritt. Es steht der Verdacht der Strafvereitelung im Raum, erklärte die Staatsanwaltschaft Bochum den Hintergrund des Einsatzes, bei dem nach Beweismitteln gesucht wurde.
In einem Ermittlungsverfahren der Polizei Recklinghausen unter anderem wegen Vergewaltigung, besonders schwerer sexueller Nötigung und Raubs zum Nachteil von Prostituierten hätten sich Hinweise ergeben, dass über den Essener Juristen Kontakt zu einer Zeugin aufgenommen worden sei - mutmaßlich, um eine möglicherweise belastende Aussage vor Gericht zu beeinflussen oder gar zu verhindern.
Gegen eine Berliner Clangröße werde in diesem Zusammenhang bereits wegen des Verdachts der Nötigung und Bedrohung ermittelt, hieß es.