Essen. Essen hatte Impfungen für Geflüchtete und Obdachlose abgesagt, nun gibt es eine Rolle rückwärts light. Was passiert, wenn Dosen übrig bleiben?

1500 Impfdosen des Vakzins Johnson & Johnson sind in Essen ,übrig’. Tagelang liegt der Impfstoff bereits auf Halde, anstatt seinen Weg in Oberarme zu finden. Diese Situation veranlasst die Stadt nun zu einer Rolle rückwärts light. Erst in der letzten Woche hatten die Verantwortlichen mehr als 200 bereits ausgemachte Termine abgesagt, bei denen Obdachlose und Flüchtlinge geimpft werden sollten. Nun wird der Personenkreis etwas angepasst, damit es weitergeht.

„Wir impfen damit nur noch die Menschen, die in einer Unterkunft leben“, sagt Stadtsprecherin Silke Lenz über die Anpassungen bei Flüchtlingen, „bei denen die Bleibeperspektive also nicht geklärt ist.“ Zur angepassten Zielgruppe gehören nicht nur diese, sondern auch Obdachlose. Wann genau gestartet wird, ist noch unklar.

Impfzentrum darf keine Termine für Erstimpfungen anbieten

Doch ist dieser Personenkreis so groß, dass damit 1500 Menschen geimpft werden könnten? Wohl kaum. Auch bei der Stadt geht man davon aus, dass Impfdosen aus diesem Kontingent übrig bleiben. Wo man bei dem nächsten Problem ist. Wer würde mit dem Rest Johnson & Johnson geimpft? Naheliegend wäre, dass das Impfzentrum einspringen und Termine dafür anbieten würde.

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Geht es nach dessen medizinischen Leiter, Dr. Stefan Steinmetz, stellt das kein Problem dar: „Wir impfen aktuell täglich knapp über 2000 Menschen im Impfzentrum. Wir könnten aber locker bis zu 4000 impfen.“ Allein: Er darf nicht. In Anbetracht der eigentlich freien Kapazitäten sagt er spitz: „Das ist gerade so lächerlich – das könnte ich alleine verimpfen.“

Essen: Stadtsprecherin spricht von Korsett für Impfzentren

Der Grund ist – wie so oft in dieser Pandemie – die Bürokratie. Aktuell dürfen auf Weisung des Landes keine Erstimpfungen in Impfzentren vorgenommen werden, nur Zweitimpfungen sind erlaubt. Als Erstimpfung wird Johnson & Johnson eingestuft, da dieses Vakzin nur einmal geimpft werden muss. Aus diesem praktischen Grund hat die Stadt übrigens darauf gesetzt, damit Geflüchtete und Obdachlose zu immunisieren, da nicht sicher sei, ob diese auch einen Zweitimpfungstermin einhalten können oder würden.

Stadtsprecherin Silke Lenz spricht bei der aktuellen Situation von einem „Korsett, das die Impfzentren betrifft: wenig Impfstoff, keine Erstimpfungen“. Der medizinische Leiter des Impfzentrums hat auf Nachfrage einen knappen Satz parat: „Es ist skurril.“

Dr. Stefan Steinmetz, ärztlicher Leiter des Impfzentrum Essen: „Wir geben den Stoff nicht raus, den werden wir verteidigen.“
Dr. Stefan Steinmetz, ärztlicher Leiter des Impfzentrum Essen: „Wir geben den Stoff nicht raus, den werden wir verteidigen.“ © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Auf gar keinen Fall will man bei der Stadt, so Silke Lenz, dass der Impfstoff verfällt, glücklicherweise könne er länger gelagert werden. Die 1500 Johnson & Johnson-Dosen sollen unbedingt in Essen bleiben. „Wir geben den Stoff nicht raus, den werden wir verteidigen“, sagt Steinmetz.

Gedacht ist er zunächst nur für den etwas angepassten Personenkreis der Flüchtlinge mit unklarer Bleibeperspektive sowie Obdachlose. Zur Frage, ob übrig gebliebene Impfdosen ins Impfzentrum wandern heißt es von Lenz: „Nein, vorerst nicht.“ Das Zünglein an der Waage ist die Landesregierung, die Erstimpfungen wieder zulassen müsste.

Lohnen sich Impfzentren noch?

Lohnt es sich überhaupt noch, das Impfzentrum zu betreiben? Laut Lenz müsse man auch die Kostenfrage im Blick haben. Vorgehalten werden sollen die teuren Impfzentren laut Bund bis September. Derzeit bleibt es also erst einmal dabei, dass in der Messe wegen fehlenden Impfstoffs das Impfzentrum bei weitem nicht unter Volllast läuft.

Laut Steinmetz ergebe es aktuell auch keinen Sinn, weniger Personal einzusetzen, da es sehr aufwendig sei, die Kapazitäten erst wieder herunterzufahren, um dann möglicherweise – so denn die seit Monaten angekündigte Impfstoff-Welle da ist – wieder hochzufahren.

>>> INFO:

  • Die Stadt hatte vergangene Woche über 200 bereits ausgemachte Impftermine für Obdachlose und Flüchtlinge gestrichen. „Weitere Impfaktionen für die Zielgruppen mit Personen unter 60 Jahren wurden in letzten Wochen aus juristischer und virologischer Sicht zunehmend kritisch diskutiert“, hieß es.
  • Die nun etwas angepasste Zielgruppe – neben Obdachlosen nur Flüchtlinge, die in Unterkünften leben (Stichwort Bleibeperspektive) – würden nach ärztlichem Ermessen und nach Aufklärung auch unter 60 Jahren geimpft werden können.