Essen-Kettwig. Die Wassermassen der Ruhr umtosen in Kettwig vor der Brücke die alten Fachwerkhäuser. Was die Anwohner in diesem Moment am stärksten bewegt.
„Man kann nichts tun, wir können einfach nur zuschauen, wie das Wasser steigt“, sagt Petra Szygalla. Die 56-Jährige sitzt auf der Fensterbank eines einstigen Ladenlokals, vor ihr auf dem Bürgersteig der Landsberger Straße in Kettwig vor der Brücke schwappt die braune Brühe. Tendenz steigend. Es ist Donnerstagnachmittag. Die Ruhr breitet sich im Bereich Kettwig stetig weiter aus, seitdem die Stauwehre am Baldeneysee und in Werden immer wieder immense Wassermassen freigeben.
Während vormittags Kupferdreh, Steele und Werden von der Ruhr durchflutet wurden, trifft es den Stadtteil Kettwig einige Stunden später – aber nicht weniger heftig. Der Promenadenweg entlang des Ruhrufers ist als solcher nicht mehr zu erkennen. Die Bleichwiese, auf der in frühindustrieller Zeit Tücher zum Trocknen ausgebreitet wurden, ist nur noch ein einziger See. Die Skulptur „Das Tuch“ – eigentlich meterweit vom Ufer entfernt – wird bereits seicht vom Wasser umspült. Der Mühlenteich nebenan ist ebenfalls über die Ufer getreten, vereint sich mit seiner grünen Entengrütze quasi auf der Wiese mit der Ruhr.
Bizarres Schauspiel lockt viele Menschen auf die Ruhrbrücke
Ein bizarres Schauspiel, das zahlreiche Menschen anzieht. Auf der Kettwiger Ruhrbrücke ist ein Kommen und Gehen, Smartphones und Fotokameras werden in Richtung des reißenden Stroms gehalten. „Du glaubst nicht, wo ich gerade stehe! Das sind unglaubliche Wassermassen“, ruft eine Frau förmlich in ihr Mobiltelefon. Und recht hat sie. Die Ruhr bahnt sich ihren Weg Richtung Mülheim, nimmt ab und zu Gegenstände wie Tische und Schirme mit. Auch einen Wohnwagen hat es erwischt – das Video wird auf Facebook der Hingucker.
Die Schirme des Gasthauses „Alte Fähre“ versinken derweil immer mehr in den Fluten. Das beliebte Ausflugslokal direkt an der Ruhr ist eines der ersten Häuser, die schon zur Mittagszeit im Bereich Kettwig vor der Brücke von der Feuerwehr geräumt werden. Auch die Bewohner der umliegenden Straßenzüge müssen nach draußen. Schnell werden ein paar Habseligkeiten zusammengesucht. „Ich habe den Strom abgestellt und Wertvolles aus dem Keller nach oben gebracht“, erzählt ein Anwohner.
Hausbesitzer sorgen sich um historische Fachwerkhäuser
Auch Petra Szygalla hat dies getan: „Ich habe ein paar Sachen auf den Tisch gestellt und gedacht, so hoch wird es nicht werden.“ Weit gefehlt. „Zuerst kam das Grundwasser hoch, dann von der Seite die Ruhr. Das ging so schnell, da konnte man gar nichts mehr machen.“ Sprachlos habe sie das Ganze gemacht.
Knappe 300 Jahre steht ihr rot getünchtes Häuschen dort, hat wohl schon manche Überflutung der Ruhr miterlebt. Ob es diesmal hält? „Ich mache mir Sorgen. Tische und Stühle kann ich ersetzen. Aber wenn das Fachwerk beschädigt ist, der Mörtel nicht mehr hält, was dann?“
Hilfe kommt von Nachbarn – das schweißt zusammen
„So eine Überschwemmung gab es vor mehr als 40 Jahren mal“, erinnert sich Norbert Bücker. Seit einem halben Jahrhundert lebt er in Kettwig vor der Brücke. „Warum öffnen die die Schleusen? Die sollen ihr Wasser doch behalten, dann wäre es hier nicht so schlimm“, schimpft er auf den Ruhrverband. Seine Nachbarin Sabine Warnecke hat andere Probleme: Außer ihrer Familie sind alle anderen Bewohner des Mehrfamilienhauses im Urlaub. Das Auto eines frisch eingezogenen Paares steht bereits im Wasser. „Wir müssen jetzt erst mal alle benachrichtigen und den Schaden hier managen“, sagt sie und seufzt.
Langsam, aber sicher steigt der Pegel an. Während in den Nebenstraßen rund um die Arndtstraße die Bewohner fleißig Keller auspumpen und Eimer voller Wasser nach draußen schleppen, können die Anwohner der Landsberger Straße und Zur alten Fähre nur tatenlos zusehen, wie ihre Häuser immer mehr vom Wasser umtost werden. „Ein Gutes hat das Ganze, es schweißt die Nachbarn zusammen“, findet Petra Szygalla. „Irgendwie helfen wir uns jetzt gegenseitig. Es muss ja weitergehen.“
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