Duisburg. Fast 30 Jahre lang hat Peter Liszio die Kokerei von Thyssenkrupp Steel im Duisburger Norden geleitet. Wie es für ihn jetzt weitergeht.

Wer glaubt, Koks sei nicht mehr als ein poröser, kohlenstoffhaltiger Brennstoff zur Befeuerung von Hochöfen, kennt Peter Liszio nicht. Fast 25 Jahre lang hat er die Kokerei von Thyssenkrupp Steel im Duisburger Norden geleitet, am 27. Dezember, kurz nach seinem 66. Geburtstag, fährt der weltweit geschätzte Kokerei-Fachmann seine letzte Schicht auf der Anlage in Schwelgern, die er „mein Baby“ nennt.

Stundenlang kann der Ingenieur für Verfahrenstechnik ohne Punkt und Komma über den Brennstoff, seine Anlage und die Bedeutung von gutem Koks für hochwertigen Stahl dozieren. Als Co-Autor des Buches „Der Kokshochofen“ (2015) hat er die Geschichte des Verfahrens nachgezeichnet, das Abraham Darby zu Beginn des 18. Jahrhunderts in England entwickelte.

Peter Liszio weiß alles über Koks. Seinen Führungsstil beschreiben die Kokerei-Kollegen als „direkt“ und wertschätzend. Gern habe er sein Wissen ans Team weitergegeben.
Peter Liszio weiß alles über Koks. Seinen Führungsstil beschreiben die Kokerei-Kollegen als „direkt“ und wertschätzend. Gern habe er sein Wissen ans Team weitergegeben. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Transformation in Duisburg „bringt dem Weltklima wenig“

Nun, fast 230 Jahre nachdem in Deutschland erstmals ein Hochofen mit Koks befeuert wurde, ist das Ende der Produktion absehbar. Thyssenkrupp Steel setzt auf eine klimafreundliche Produktion. Wenn – in vielleicht in 15 bis 20 Jahren – der letzte Hochofen heruntergefahren wird, bleiben auch die Koks-Batterien kalt.

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Weil die konventionelle Stahlproduktion angesichts steigender CO2-Abgaben perspektivisch unrentabel wird, setzt der Konzern auf „grünen“ Stahl, einen Zukunftsmarkt. „Für das Weltklima bringt das zu wenig, da müssten dann schon alle mitziehen“, sagt Lizio mit Blick auf die globale Entwicklung der Stahlproduktion.

Rund 10 Millionen Tonnen Koks pro Jahr produzieren die fünf deutschen Kokereien (Schwelgern, HKM, Prosper, Salzgitter und Dillinger Hütte). „China hat bei einer installierten Kapazität von rund 700 Millionen Tonnen in 2023 etwa 452 Millionen Tonnen produziert. Indien plant eine Verdopplung seiner Stahlerzeugung auf 300 Millionen Tonnen bis 2030, das verdoppelt auch den Koksbedarf“, erklärt er.

Lehrer, Bergmann, Verfahrenstechniker: Umwege in die Kokerei

„Der Stahlhunger wächst mit der Entwicklung dieser Staaten. Sie produzieren zunächst mit Koks, weil das am günstigsten ist. Wollen wir ihnen das vorwerfen?“, fragt Liszio, der bei seinen China-Besuchen aber auch erkennt: „Sie investieren gleichzeitig enorm viel in erneuerbare Energien, da gibt es einen klaren Plan.“

Der Weg des 66-Jährigen in die Kokerei führte über Umwege. Auf Kohle geboren, in Bergkamen im Schatten der Zeche Monopol, beendete ein Wirbelsäulenbruch bei einem Motorrad-Unfall die Hoffnung des erfolgreichen Leichtathleten auf eine große Karriere.

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„Da wollte ich zumindest Sport unterrichten“, erinnert Peter Liszio. Nach einer Maschinisten-Ausbildung bei der Steag studierte er also in Bochum Chemie und Sport auf Lehramt. Lehrer gab‘s Mitte der 1980er Jahre zu viele, also hängte er nach dem Referendariat ein Studium von Bergbau- und Verfahrenstechnik dran, das Geld verdiente er zwischenzeitlich mit Nachtschichten auf der Zeche.

Als „Thyssianer durch und durch“ beschreibt sich Peter Liszio (r.), hier mit Koksofen-Betriebsleiter Thomas Taylor am Schriftzug der Kokerei August Thyssen, die 2003 in Bruckhausen außer Betrieb ging.
Als „Thyssianer durch und durch“ beschreibt sich Peter Liszio (r.), hier mit Koksofen-Betriebsleiter Thomas Taylor am Schriftzug der Kokerei August Thyssen, die 2003 in Bruckhausen außer Betrieb ging. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Schon die Diplomarbeit auf der Kokerei August Thyssen

Weil damals auch das Ende des deutschen Bergbaus schon absehbar war, konzentrierte er sich auf die Verfahrenstechnik. Sein Professor empfahl ihn persönlich bei Kokerei-Direktor Dr. Klaus Hofherr. Im November 1990 heuerte Liszio an, schon seine Diplomarbeit schrieb er auf der Kokerei August Thyssen. Bald stieg er zum Betriebsleiter der Kohlenwertstoff-Anlagen auf, wurde 1996 Chef der Produktion und vier Jahre später Kokerei-Leiter.

Das war noch die Zeit der alten Kokerei in Bruckhausen. Staub und Gase der Anlage, größtenteils in den 1950er Jahren gebaut, belasteten zunehmend die Menschen im Umfeld. Auch um die Jahrtausendwende lief das Stahlgeschäft schlecht. Weil Thyssen die Investition von 733 Millionen Euro nicht stemmen konnte, leaste der Konzern vom finanzierenden Bankenkonsortium die neue Kokerei, die von der KBS (Kokerei-Betriebsgesellschaft Schwelgern), einer 100-prozentigen Thyssen-Tochter, betrieben wurde.

Job mit Aussicht: Den Panoramablick von der Kokerei Schwelgern auf den Rhein und die Stahlstadt von Thyssenkrupp im Duisburger Norden wird Peter Liszio vermissen.
Job mit Aussicht: Den Panoramablick von der Kokerei Schwelgern auf den Rhein und die Stahlstadt von Thyssenkrupp im Duisburger Norden wird Peter Liszio vermissen. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Mit der Kokerei Schwelgern den Stand der Technik neu geschrieben

„Mit dem Bau wurde der weltweite Stand der Technik neu geschrieben“, sagt Lizio, der an der Planung beteiligt war. „Noch niemand hatte eine Kokerei in diesen Dimensionen gebaut.“ Thyssen deckt mit den 2,6 Millionen Tonnen Jahresproduktion rund 67 Prozent seines Koksbedarfs (weitere Mengen liefert heute die HKM), außerdem war es ein gutes Geschäft, rechnet Liszio: „Wenn man den Preisunterschied zum Fremdkoks berücksichtigt, war die Anlage in fünf Jahren bezahlt.“ Erst 2019 ging die Kokerei auf Thyssenkrupp Steel über.

Eine Job-Rotation, gewollt vom damaligen Vorstand Ekkehard Schulz, war der Grund, warum er einmal für ein Jahr den Arbeitsplatz mit dem Hochofen-Chef Dr. Michael Peters tauschte. „Ich hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung, aber im Nachhinein war das sehr wichtig“, erinnert Peter Liszio.

„Billigen Koks zu machen, bringt nichts außer Problemen“

Es habe sein „Verständnis für den Anderen“ gefördert: „Billigen Koks zu machen, bringt nichts, das schafft Probleme im Hochofen oder im Stahlwerk“, ist eine Überzeugung, die er dabei gewann. Es gelte, die gesamte Prozesskette in den Blick zu nehmen. Und: „Wenn man in der Kokerei Geld sparen will, ist es wichtig, auf die Rohstoffe zu sehen. Sie machen 78 Prozent der Kosten aus.“

Die Optimierung von Prozessen habe ihm immer Spaß gemacht, sagt der Kokerei-Chef. Das beginne mit der Kontaktpflege zu den Kohle-Lieferanten. „Die zur Produktion einer Tonne Roheisen benötigte Kohlenstoff-Menge haben wir von 800 auf 500 Kilogramm gesenkt. Damit sind wir nicht nur weit vorn, das ist auch gut für die Umwelt“, berichtet er nicht ohne Stolz.

Die Leitung der Kokerei hat Michael Cremer übernommen. Mit seinem Vorgänger hat der 56-Jährige nach seinem Wechsel von der HKM in den Duisburger Norden 16 Jahre lang zusammengearbeitet.
Die Leitung der Kokerei hat Michael Cremer übernommen. Mit seinem Vorgänger hat der 56-Jährige nach seinem Wechsel von der HKM in den Duisburger Norden 16 Jahre lang zusammengearbeitet. © TKSE | Melanie Melcher/TKSE

Koks-Experte künftig als Berater weltweit unterwegs

Im eigenen Labor, für das er das Geld losgeeist hat, werden neue Mischungen in einer Testanlage verkokt, um einen möglichst optimalen „Blend“ zu finden. Dort forscht auch Ehefrau Heike Liszio, Geologin und Petrografin. „Sie sieht sich die Kohlen unter dem Mikroskop an.“ Das Geheimnis des Erfolgs: „Die Kokerei muss immer mehr über die Qualität der Kokskohlen wissen als die Betreiber der Minen in Übersee.“

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Gemeinsam gehen beide in nun in den Ruhestand. „Wir wollen noch schöne gemeinsame Jahre haben“, sagt Peter Liszio. Mit dem Wohnmobil möchte das Paar unterwegs sein, als Berater in Sachen Koks und Kohle wird er sein Wissen weitergeben und neues sammeln. Nicht mehr in „seiner“ Kokerei in Schwelgern, sondern in Kettwig. An der August-Thyssen-Straße.

>> KOKEREI SCHWELGERN: MICHAEL CREMER NEUER LEITER

  • Die Kokerei Schwelgern produziert seit 2003 pro Jahr rund 2,6 Millionen Tonnen Koks aus Importkohle, die im benachbarten Werkshafen angeliefert wird.
  • Maximal 10.600 Tonnen Kohle verarbeiten die beiden Batterien pro Tag, alle zehn Minuten werden etwa 55 Tonnen Koks aus einem der insgesamt 140 Öfen gedrückt und mit 110 Kubikmeter Wasser abgekühlt. Die weißen Dampfwolken über den beiden Löschtürmen sind weithin sichtbar.
  • Durch Reparaturen und Modernisierungen, etwa in der Umwelttechnik, ist die Anlage auf dem modernsten Stand. „Wir haben sie gut gepflegt“, sagt der Betriebsleiter Koksofen, Thomas Taylor, der seit 1995 in der Kokerei beschäftigt ist.
  • Neuer Chef der Kokerei und ihrer 400 Beschäftigten ist Michael Cremer. Der Ingenieur plante vor seinem Wechsel zu Thyssenkrupp Steel vor 16 Jahren die Erweiterung der Kokerei der HKM.
  • Eine Regelung ganz nach dem Geschmack von Peter Liszio: „Dass es einer aus unserer Mitte wird, war mir wichtig.“