Duisburg. Wie konnte das passieren? Das Jugendamt Duisburg hat Rechnungen im Wert von über 39 Millionen Euro nicht bezahlt. Wie es jetzt weitergehen soll.
- Das Jugendamt Duisburg bezahlt Rechnungen nur mit großer Verzögerung, dadurch haben sich Außenstände in Höhe von fast 40 Millionen Euro angehäuft.
- Anonyme Hinweisgeber hatten auf den Skandal aufmerksam gemacht.
- Träger geraten durch die verzögerte Honorierung in Schieflage.
- Wie das Jugendamt auf die Vorwürfe reagiert und wie jetzt Abhilfe geschaffen werden soll.
Wenn ein Amt der Stadt Hilferufe per Mail in die Belegschaft sendet und um freiwillige, honorierte Zusatzarbeit nach Feierabend oder am Wochenende bittet, dann ist die Lage ernst. Das Jugendamt Duisburg musste in diesem Jahr zu diesem außergewöhnlichen Schritt greifen. Es hatten sich Außenstände von über 39 Millionen Euro angehäuft.
Der Personalmangel in der Wirtschaftlichen Jugendhilfe ist offenbar enorm, dass sich derart viele offene Rechnungen türmten. In der Mail, die der Redaktion vorliegt, heißt es deshalb: „Damit wir unsere Kooperationspartner in Form der Träger nicht verlieren, bitten wir um Ihre Mithilfe.“ Es gebe ein erhöhtes Beschwerdeaufkommen, außerdem einen Anfall von Mahngebühren und Säumniszuschlägen. „Die Sorge, dass die Träger Duisburger Kinder nicht mehr aufnehmen möchten, schwingt ebenfalls weiterhin mit“, schreibt eine Abteilungsleiterin.
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Zahlungsmoral des Jugendamtes soll Träger in finanzielle Not bringen
Anonyme Hinweisgeber berichten der Redaktion, dass die Zahlungsrückstände teilweise so hoch waren, dass manch kleinerer Träger in die Insolvenz zu rutschen drohte. Auf Nachfrage bestätigt Stadtsprecher Falko Firlus, dass es „in vereinzelten Fällen“ bei Trägern aufgrund von Zahlungsrückständen zu einem „Aufnahmestopp“ gekommen sei. Sprich: Sie nahmen keine Aufträge der Stadt Duisburg mehr an. „Hier wurde aber in jedem Einzelfall stets eine Lösung gefunden“, betont Firlus. Es gebe in Duisburg „keine erforderliche Hilfe, die wegen verspäteter Zahlungen nicht umgesetzt werden konnte“. Von Jugendamtsleiter Hinrich Köpcke kommt kein Wort dazu.
Fragt man per Zufallsprinzip bei den Trägern selbst nach, will sich offiziell keiner äußern. Alle wollen künftig wieder auskömmlich mit der Stadt zusammenarbeiten und hoffen auf Besserung. Rund 150 Träger aus Duisburg und Umgebung kümmern sich im Auftrag um Kinder, Jugendliche, ganze Familien. Die Träger schreiben für ihre geleistete Arbeit Rechnungen, mit den Einnahmen finanzieren sie die Gehälter ihrer Mitarbeiter, die Verwaltung, Miete und mehr. Zur wirtschaftlichen Jugendhilfe gehören Fälle im Rahmen der Hilfen zur Erziehung, der Eingliederungshilfen und der Kindertagespflege, letztere sei von den Zahlungsausfällen aber nicht betroffen gewesen, betont die Stadtverwaltung.
Fachkräftemangel und komplexe Abrechnungen seien schuld
Firlus betont, dass die Situation auf den allgemeinen Fachkräftemangel zurückzuführen sei. „Trotz wiederholter Ausschreibungen ist es eine Zeitlang nicht gelungen, genügend Bewerberinnen und Bewerber für vakante Stellen in der Wirtschaftlichen Jugendhilfe zu finden.“ Außerdem sei durch „nicht planbare, komplexe Abrechnungssituationen“ eine hohe Arbeitsdichte entstanden. Der Mehraufwand der Corona-Pandemie wirke sich ebenfalls weiterhin aus.
Die Situation habe sich durch personelle und organisatorische Maßnahmen zwischenzeitlich jedoch gebessert: Von 25 Stellen seien 23 Stellen besetzt, die aktuelle Besetzungsquote betrage 92 Prozent, so Firlus. „Für die noch vakanten Stellen gibt es bereits Bewerber.“
Dank freiwilliger Helfer sinkt Rückstand um zehn Millionen Euro
Nach dem Hilferuf, der offenbar bereits im Frühjahr durchs Haus ging, hätten sich 31 Interessierte gemeldet, die entsprechende SAP-Kenntnisse haben. Das „unterstreicht die Team- und Handlungsfähigkeit des Jugendamtes“, schreibt der Stadtsprecher. „In den letzten zwei Monaten konnten so bereits 10 Millionen Euro an Rückständen abgearbeitet werden.“ Bleiben ein halbes Jahr später also noch Rechnungen im Wert von 29 Millionen Euro offen.
Im Bereich der Hilfe zur Erziehung und Eingliederungshilfe laufen bis zu 100.000 Rechnungen jährlich ein, „ein gewisser Bestand an ‚Rückständen‘ bestehe aufgrund der täglich eingehenden Rechnungen nahezu immer, da diese vor der Auszahlung ordnungsgemäß geprüft werden müssen“, betont das Jugendamt.
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Personalnot auch beim Allgemeinen Sozialen Dienst
Und da beißt sich die Katze in den Schwanz, weil nicht nur bei der wirtschaftlichen Jugendhilfe das Personal knapp ist, sondern auch beim Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD), der wegen akuter Not sogar eine Außenstelle schließen musste. Die Bearbeitung der Einzelfälle geschehe aber in guter fachlicher Kooperation zwischen ASD und den Trägern, schreibt Firlus. Es habe auch in finanzieller Hinsicht „immer eine Einigung“ gegeben. Zusätzlich ist offenbar eine Clearingstelle geschaffen wollen, über die offene Rechnungen geprüft werden. In einem der Redaktion vorliegenden Newsletter des ASD heißt es, dass hier auch „Übersichten mit möglichen Gründen“ erstellt werden sollen, warum die Rechnungen nicht gezahlt werden können.
Parallel zu den getroffenen Maßnahmen laufe derzeit eine Organisationsuntersuchung zur Personalbemessung, außerdem soll auf eine moderne Fachsoftware umgestellt werden, um Arbeitsabläufe zu beschleunigen. In den nächsten Monaten werde sich die Situation in der Wirtschaftlichen Jugendhilfe weiter entspannen.
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Diesen Artikel haben wir erstmals am 8. Oktober 2024 veröffentlicht.