Duisburg. Ob nach EM-Spielen oder Wahlen: Beim Jubel in Duisburg zeigen junge Menschen oft auch den türkischen Wolfsgruß. So blicken Experten darauf.

Ob nach Türkei-Spielen bei der Fußballeuropameisterschaft oder nach Wahlsiegen des türkischen Präsidenten Recep Erdoğan, der Duisburger Norden ist berühmt und berüchtigt für seinen Siegestaumel. Laut hupende Autokorsos, euphorische Jubelgesänge und Bengalo-Flammen dauern in Marxloh und Alt-Hamborn teils stundenlang.

Neben einem rot-weißen Fahnenmeer ist dort häufig die Handgeste der Grauen Wölfe zu sehen. Vor allem Jugendliche reagieren damit, wenn sie in den Fokus von Fernsehkameras oder Pressefotografen geraten. Doch auch für Selfies und Handyvideos posieren junge türkischstämmige Duisburgerinnen und Duisburger mit dem Wolfsgruß.

Die Geste kennt man auch aus deutschen Kindergärten als Schweigefuchs. Doch sie ist ein Erkennungszeichen der Grauen Wölfe, wie sich die Anhänger der rechtsextremen türkischen Ülkücü-Bewegung nennen. Diese wird vom deutschen Verfassungsschutz beobachtet und tritt für einen „ethnischen Nationalismus“ ein. Die Anhänger wünschen sich ein großtürkisches Reich und gehen gegen Minderheiten vor, darunter Kurden, Aleviten, Jesiden oder Armenier.

Duisburger Jugendliche nutzen Wolfsgruß der türkischen Rechtsextremen als „bewusste Provokation“

Dass Jugendliche oder junge Erwachsene, die nach den Türkei-Siegen beim Feiern in Duisburg und anderen deutschen Großstädten den Wolfsgruß zeigen, sieht Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung an der Universität Duisburg-Essen als „eine bewusste Provokation“. Diese sei insbesondere an die Mehrheitsgesellschaft gerichtet, weil sie sich darüber ärgert.

Dasselbe Motiv bescheinigt er im Gespräch mit dieser Redaktion jungen kurdischen Fußballfans, die etwa in Dortmund bei der Europameisterschaft ein anderes Handzeichen benutzten, das als Bekenntnis zur hier verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans PKK gilt.

Hintergründe bei Älteren sehr wohl bekannt

Wer bei Fußball- oder Wahlpartys den Wolfsgruß in Marxloh oder Alt-Hamborn benutzt, habe demnach meist keine rechtsextreme oder ultranationale politische Einstellung. Deshalb macht es für Ulusoy einen Unterschied, wenn Jugendliche oder junge Erwachsene den Wolfsgruß zeigen und vielleicht die genauen Hintergründe nicht kennen. Ältere dürften die Bedeutung dagegen sehr wohl kennen, „und dann würde ich sie zur Rede stellen“.

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Warum nutzen Türkeistämmige, die in Deutschland geboren sind und leben, überhaupt den Wolfsgruß? „Wenn ihre Heimat sie gern hat, entsteht eine Verbindung zur Heimat“, so Yunus Ulusoy, der selbst zur zweiten Generation gehört. Für viele Deutschtürken sehe die Realität leider anders aus: Die Mehrheitsgesellschaft hinterfrage alles, was die jungen Leute ausmache, „Türke sein, Moslem sein und Türkisch sprechen in der Diaspora“. Zugleich sehen sie, dass ukrainische Flüchtlinge, die noch keine zweieinhalb Jahre in Duisburg leben, mehr akzeptiert sind als ihre Familien, die seit den 60er Jahren Duisburger sind.

Graue Wölfe haben allein in Deutschland mehr als 12.000 Anhänger

In der innerdeutschen Diskussion um die Grauen Wölfe gibt es jedoch viel Reibungsfläche. Allein in der Bundesrepublik gibt es mehr als 12.000 Anhängerinnen und Anhänger, damit ist sie größte rechtsextreme Bewegung im Land. Dagegen werden die Grauen Wölfe in der Türkei und damit auch bei vielen türkeistämmigen Deutschen völlig anders wahrgenommen als vom deutschen Verfassungsschutz, betont Yunus Ulusoy: „In der Türkei gehören sie zum politischen Establishment“, und ihr politischer Arm, die MHP (deutsch: „Partei der Nationalistischen Bewegung“), stützt die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan.

Auch deshalb möchte der Wissenschaftler die Handgeste bei jungen Menschen aus dem Ruhrgebiet nicht überbewertet wissen. Grundsätzlich sagt er: „Fans sollen sich nach einem gewonnenen EM-Spiel freuen und feiern. Aber ich würde mir wünschen, dass dies ohne politische Botschaft geschieht. Denn politische oder religiöse Zeichen gehören nicht ins Stadion und auf die Siegesfeiern.“

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Deutschtürken unter strengerer Beobachtung?

Kritisch sieht Yunus Ulusoy aber nicht nur den Wolfsgruß bei Autokorsos auf der Brautmodenmeile oder bei Jubelfeiern vorm Hamborner Amtsgericht. Ihm missfällt, dass bei Deutschtürken mit „Argusaugen draufgeschaut“ werde, wie sie sich verhalten. Dagegen sei bei den zahlreichen Deutschen ohne Migrationshintergrund, die bei der Europawahl die AfD gewählt haben, zu bemerken, dass sie nicht pauschal verurteilt würden. Vielmehr frage man bei ihnen nach den Gründen für ihr Wahlverhalten und welche Ängste und Probleme dahinterstecken.

In der Fußballeuropameisterschaft zeige sich aber auch ein großer Fortschritt für die Integration: „İlkay Gündoğan führt die deutsche Nationalmannschaft und singt die Nationalhymne.“ Für viele Deutschtürken, berichten Duisburger beim Public Viewing oder bei den Siegesfeiern, habe der gebürtige Gelsenkirchener eine Vorbildfunktion und sie fiebern auch mit ihm und der deutschen Mannschaft mit.

Allerdings ist jetzt die Diskussion um die Grauen Wölfe neu entflammt, nachdem der türkische Nationalspieler Merih Demiral beim Achtelfinale in Leipzig zwei Tore geschossen hatte und sie beim Torjubel mit dem Wolfsgruß feierte. Er habe damit nur seine „türkische Identität“ unterstreichen wollen, gab er später beim Interview an.

Duisburger Buchautor und Pädagoge Burak Yilmaz plädiert für ein Verbot

Der Duisburger Politikwissenschaftler Dr. Ismail Küpeli, der an der Ruhr-Universität Bochum zur ultranationalistischen Ülkücü-Bewegung forscht, sieht Demirals Aussage als „eine Schutzbehauptung“, wie er im Nachrichten-Portal von T-Online ausführt: „Der Wolfsgruß ist ein eindeutiges rechtsextremes Symbol. Es ist ein klares Bekenntnis zu den Grauen Wölfen, das sich nicht umdeuten lässt. Es drückt nicht aus, einfach türkisch zu sein.“

Der Duisburger Pädagoge und Buchautor Burak Yilmaz engagiert sich gegen Rassismus und Judenhass. Dass bei der Europameisterschaft ein türkischer Nationalspieler mit Wolfsgruß jubelt, sei eine „absolute Vollkatastrophe“. (Archivbild)
Der Duisburger Pädagoge und Buchautor Burak Yilmaz engagiert sich gegen Rassismus und Judenhass. Dass bei der Europameisterschaft ein türkischer Nationalspieler mit Wolfsgruß jubelt, sei eine „absolute Vollkatastrophe“. (Archivbild) © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

Genauso sieht das Burak Yilmaz aus Obermarxloh, der sich als Pädagoge und Buchautor gegen Rassismus und gegen Judenhass einsetzt. Für sein Engagement wurde er mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet. Er recherchiert seit Jahren zu den Grauen Wölfen, die er als rechtsextrem, „nationalistisch, rassistisch und gewalttätig“ beschreibt. Der Duisburger bewertet es in der Tagesschau als „eine absolute Vollkatastrophe“, dass ein Nationalspieler beim Torjubel den Wolfsgruß gezeigt hat und die Fotos in sozialen Netzwerken geteilt hat. Diese Öffentlichkeit, so die Einschätzung von Yilmaz, nutze der Bewegung jetzt bei der Rekrutierung neuer Anhänger.

In Deutschland sind die Grauen Wölfe und damit ihr Wolfsgruß nicht verboten. Jedoch plädiert Burak Yilmaz dafür, dass die Bundesregierung sie verbietet.

>> Diplomatische Spannungen wegen Torjubel

  • Der Wolfsgruß von Fußballspieler Merih Demiral hat zu diplomatischen Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei geführt. Zudem hat Recep Erdoğan angekündigt, das Viertelfinale zwischen der Türkei und den Niederlanden zu besuchen, um seine Mannschaft zu unterstützen. Derweil rufen türkische Ultras dazu auf, im Viertelfinale in Berlin die Handgeste erst recht zu benutzen.
  • Die Uefa hat Merih Demiral wegen seines unangemessenen Torjubels für zwei Spiele gesperrt.