Duisburg. Skepsis hat lange das Verhältnis zwischen Ärzten und der Selbsthilfe geprägt. Duisburgs größte psychiatrische Klinik geht nun einen anderen Weg.

Das Bertha-Krankenhaus bindet Selbsthilfegruppen nun konsequent in den Klinik-Betrieb ein. „Wir l(i)eben Selbsthilfe“ lautet das Motto. Es soll auch ein Bekenntnis sein, das Duisburgs größter psychiatrischer Klinik schon bald das Zertifikat „Selbsthilfefreundliches Krankenhaus“ der Deutschen Arbeitsgemeinschaft der Selbsthilfegruppen (DAG) einbringt.

Klinik im Duisburger Westen setzt auf niederschwellige Kontaktangebote

„Selbsthilfe ist wichtig für den Bestand der Klinik, in der Psychiatrie, und nicht nur dort, ist sie wichtiger Ansprechpartner“, betont Professor Dr. Markus Schmidt, Ärztlicher Direktor der Sana Klinken am Kalkweg, zu denen auch das Haus in Rheinhausen (360 Beschäftigte) gehört. Dort werden pro Jahr 900 Patienten stationär oder teilstationär sowie rund 2000 Patienten ambulant betreut (ohne Kinder- und Jugendklinik).

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Mit seinem Amtsantritt als Chefarzt vor drei Jahren habe er begonnen, die Selbsthilfegruppen in die Klinik einzuladen, berichtet Dr. Marcus-Willy Agelink. „Für Menschen mit Depression oder Suchterkrankungen sind diese niederschwelligen Kontakt-Angebote wichtig. Viele leben sehr isolieren, die Selbsthilfe ist für sie der einzig verbliebene Kontakt.“

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Hilfe in der kritischen Zeit nach der stationären Behandlung

Nach der Entlassung aus der stationären Behandlung könnten diese Angebote für Patienten eine überlebenswichtige Bedeutung haben, berichtet der Psychiater: „Da kommt es zu den meisten Krisen und Suiziden. Studien zeigen, dass über die Hälfte der Patienten noch nicht einmal bei einem niedergelassenen Arzt ankommt.“ Lange Wartezeiten auf einen Termin seien eine Ursache, die mangelnde Konsequenz in der Fortsetzung der Behandlung eine andere.

„Wenn die Menschen nach Hause gehen, fallen sie in ein Loch“, sagt auch Kendra Zwickler von der Selbsthilfe-Kontaktstelle beim Paritätischen. Sie hat den Kontakt zu sechs Selbsthilfe-Organisationen aus den Bereichen Sucht und Depression hergestellt, die nun regelmäßig in der Klinik ihre Gruppentreffen abhalten. „So gibt es nicht nur die bloße Information, sondern auch die Möglichkeit, uns direkt kennenzulernen.“

Kommunikation auf Augenhöhe: Chefarzt Dr. Marcus-Willy Agelink (vorn links)  und der Ärztliche Direktor der Sana Kliniken, Prof. Dr. Markus Schmidt (hinten links) mit Vertretern der Selbsthilfe im Bertha-Krankenhaus in Duisburg-Rheinhausen.
Kommunikation auf Augenhöhe: Chefarzt Dr. Marcus-Willy Agelink (vorn links) und der Ärztliche Direktor der Sana Kliniken, Prof. Dr. Markus Schmidt (hinten links) mit Vertretern der Selbsthilfe im Bertha-Krankenhaus in Duisburg-Rheinhausen. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Den „enormen Benefit für die Betroffenen“ erlebten sie in ihren Gruppen, berichten Teilnehmer. „In der Klinik wirst du trockengelegt. Trocken zu leben, musst du anschließend lernen“, sagt der Vertreter der Anonymen Alkoholiker. Es sei wichtig, in den Gruppen Vorbilder zu erleben, „die dir erklären können, wie man trocken ein gutes und glückliches Leben führt“.

Klinik und Selbsthilfe: „Markt der Möglichkeiten“ für Mai 2025 geplant

In einem „Qualitätszirkel“ begleiten die Gruppen das Zertifizierungsverfahren der Klinik. „Es geht darum, die Haltung bei allen Mitarbeitenden zu implementieren“, sagt Chefarzt Agelink, „die Bedeutung der Selbsthilfe zu erkennen, sie als Partner zu akzeptieren und auf Augenhöhe zu kommunizieren.“

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Ein Meilenstein soll am Mittwoch, 11. September, das erste „Trialogische Café“ sein, bei dem gemeinsam die Möglichkeiten digitaler Anwendungen bei psychischen Erkrankungen erörtert werden (14 bis 17 Uhr, Therapiezentrum Bertha-Krankenhaus). Zu Gast ist Dr. Jakob Kaminski von der Charité Berlin.

„Bis zum Ende des Jahres wollen wir alle Kriterien für die Zertifizierung erfüllen“, hofft Dr. Marcus-Willy Agelink. Gemeinsam gefeiert werden soll dies im Mai 2025: Dann ist anlässlich der internationalen Woche der Selbsthilfe ein „Markt der Möglichkeiten“ am Bertha-Krankenhaus geplant.

>> SELBSTHILFE: ALLE INFORMATIONEN BEI DER KONTAKTSTELLE

  • Alle Informationen zum Thema Selbsthilfe in Duisburg gibt es bei der Kontaktstelle beim Pariätätischen an der Musfeldstraße 161 in Hochfeld unter 0203 6099041 (Mo. und Do. 9.30 bis 12.30 Uhr
    Di. 9.30 bis 12.30 Uhr und 15 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung), E-Mail: selbsthilfe-duisburg@paritaet-nrw.org
  • Auf der Webseite der Kontaktstelle gibt es eine Übersicht über alle rund 180 Selbsthilfegruppen in Duisburg, Unterstützung bei der Gruppen-Gründung und die Selbsthilfe-News, die über aktuelle Entwicklungen informieren.