Duisburg. Ein blutiger Konflikt zwischen arabischen Familien endet in Duisburg. Warum Lamya Kaddor (Grüne) in dem Fall nicht von Clan-Kriminalität spricht.

War es ein Machtkampf krimineller Clans? Oder ein persönlicher Familienstreit, der sich innerhalb kürzester Zeit dramatisch zugespitzt hat? Der Konflikt zwischen Libanesen und Syrern, mit Gewaltausbrüchen in Essen und Castrop-Rauxel, endete jetzt vor einem „Friedensrichter“ in Duisburg. Innenminister Herbert Reul (CDU) spricht von einer „Pulverfass-Mentalität“ rivalisierender Großfamilien. Für die Duisburger Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor (Grüne) wird dabei nicht ausreichend differenziert: „Wenn der Auslöser ein Streit unter Kindern war, muss man das von organisierter Kriminalität klar unterscheiden.“

Tumulte wie diese und organisierte Kriminalität – beides seien Probleme, mit denen jedoch unterschiedliche Herausforderungen einhergingen. „Es ist mir zu einfach zu glauben, es gehe hier um sogenannte Clan-Kriminalität, und jetzt müsse man sich syrische Familien auch noch mal genauer anschauen. Was genau soll Clan-Kriminalität eigentlich sein?“, fragt die Islamwissenschaftlerin, die selbst syrische Eltern hat. Bei allem Streben nach Sicherheit nehme man in Kauf, dass Menschen stigmatisiert werden. Reul hatte zuletzt betont, dass er das bedauere, es aber im jetzigen Stadium seiner Meinung nach nicht zu vermeiden sei.

Duisburger Abgeordnete Lamya Kaddor: „Auch ich habe Verwandte, die so heißen“

Namen wie Omeirat oder Al-Zein, die in Deutschland mit organisiertem Verbrechen in Verbindung gebracht werden, sind im Libanon und in umliegenden Ländern weit verbreitet. „Auch ich habe Verwandte, die so heißen“, sagt Lamya Kaddor, „und hier hat man es mit diesen Nachnamen schwer“. Das erlebten Kinder bereits im Kindergarten.

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Die Ursachen sozial auffälligen Verhaltens seien bekannt, „und sie leiten sich nicht vom Namen oder von der ethnischen oder nationalen Herkunft ab“. Wie bildungsfern ist jemand? Wie gut ist er integriert? Hat er eine Jobperspektive? Anhand solcher Fragen müsse man „unterscheiden zwischen jemandem, der von Kindheit an wegen eines Krieges nie Schulunterricht hatte, Gewalt während des Krieges als völlig normal kennengelernt hat, und zwischen jemandem, der in der vierten Generation hier lebt und gewaltbereit ist“.

So fordert Kaddor auch jetzt eine präzisere Einordnung der Eskalationen in Essen und Castrop-Rauxel. Daran seien wohl Familien aus dem Osten Syriens beteiligt gewesen, die dort in traditionellen Stammesstrukturen lebten, manchmal auch als Beduinen. „Dort gibt es tatsächlich Stämme, die auch nach Regeln der Blutfehde oder überhaupt der Familienfehde funktionieren. Wenn Sie ein Mitglied dieser Familie angreifen oder in einen Konflikt geraten, haben sie es direkt mit dem ganzen Stamm zu tun, der sich entweder schlichtend oder verschärfend einschaltet.“

Familien aus sehr traditionellen syrischen Stämmen leben im Ruhrgebiet

Gerade rund um Essen, auch in Duisburg sollen sich einige dieser Familien niedergelassen haben. „Sollte es mehrere Mitglieder aus einer Großfamilie hier im Ruhrgebiet geben, können die sich sehr schnell organisieren, weil sie eng miteinander verbunden sind. Manchmal artet das in Gewalt aus oder man findet friedliche Lösungen. Typisch ist dieses Verhalten allerdings nicht nur für orientalisch-stämmige Familien.“

Durch Vermittlung eines „Friedensrichters“ wurde der Streit im Rahmen einer großen Zusammenkunft in Duisburg beigelegt.
Durch Vermittlung eines „Friedensrichters“ wurde der Streit im Rahmen einer großen Zusammenkunft in Duisburg beigelegt. © Unbekannt | privat

Angesicht dieses persönlichen Familienkonflikts sei auch die Lesart „Syrer gegen Libanesen“ zu undifferenziert. „Das Motiv ist nicht entlang der Nationalität zu suchen, sondern Auslöser war offenkundig ein Streit zwischen den Kindern. Es ist wichtig, die Form der vorliegenden Gewalt und die Motivation zu analysieren, um nicht nur die Beteiligten zu bestrafen, sondern diese Form von Gewalt auch präventiv zu begegnen.“ Das allerdings gehe nur ohne Stigmatisierung.

Das Bild vom Pulverfass hält Lamya Kaddor indes für unangebracht: „Gleichzeitig aber verurteilen Millionen von Menschen, die hier leben und migrantischen Ursprungs sind, solch ein Konfliktverhalten und die Gewaltanwendung. Es gibt hier kein ‘die’ gegen ‘uns’.“

>>FAMILIENFEHDE IM RUHRGEBIET: WAS IST PASSIERT?

Zunächst ist es am Abend des 15. Juni in Castrop-Rauxel – ausgelöst durch einen Streit unter zwei elf Jahre alten Kindern – zu einer Massenschlägerei mit über 50 Beteiligten gekommen.

Der Konflikt ging in der Essener Innenstadt weiter: In der Nacht vom 16. auf den 17. Juni waren bis zu 200 Personen an einem Gewaltexzess beteiligt. Inwieweit die Vorfälle in beiden Städten tatsächlich in Zusammenhang stehen, ist Gegenstand der Ermittlungen.

Gerüchteweise soll auch ein Drohszenario mit 80 versammelten Personen vor dem Bottroper Marienhospital am 20. Juni im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung stehen.

Laut dem ARD-Magazin „Kontraste“ sollen sich am 29. Juni etwa 100 Vertreter beider Lager in Duisburg getroffen haben. Durch Vermittlung eines „Friedensrichters“ wurde der Streit an diesem Tag beigelegt. (mit mas)