Duisburg. Einschulungsstichtag ist in NRW der 30.9. Der Kampf um die Rückstellung eines Kindes ist schwer. Was Bens (5) Eltern erlebten und kritisieren.

Er ist eines von 5360 Kindern, die nach den Sommerferien in eine Duisburger Grundschule wechseln werden. Seine Mutter würde diesen wichtigen Schritt gern verschieben, denn Ben ist dann noch fünf Jahre alt. Erst Mitte September wird er sechs. Aber für Einschulungen gibt es einen Stichtag: Wer in Nordrhein-Westfalen bis zum 30. September sechs Jahre alt wird, geht in die erste Klasse. Und Rückstellungen sind ein schwieriges Unterfangen.

In Duisburg wurden im vergangenen Jahr 185 von insgesamt 5110 Kindern zurückgestellt. Gleichzeitig wurden 215 vorzeitig eingeschult. In ganz NRW wurden zum letzten Schuljahr 5605 Kinder nicht eingeschult. In den Schuljahren davor haben landesweit zwischen drei und vier Prozent eines Jahrgangs ein Jahr länger im Kindergarten verbracht. In Duisburg stieg die Zahl der empfohlenen Rückstellungen in den letzten fünf Jahren allerdings um über 50 Prozent, weil zu viele Kinder keinen Stift halten, nicht mit einer Schere umgehen können.

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Einschulung vor dem 6. Geburtstag: „Ein weiteres Jahr im Kindergarten hätte ihm gutgetan“

Einen Stift kann Ben auch nicht gut halten, er wird ab August dennoch in die Schmetterlingsklasse der Hermann-Grothe-Grundschule in Bissingheim gehen. „Mit der Schule bin ich sehr zufrieden, er wird da gut aufgehoben sein“, sagt Carina Kantelberg. Sie ist sich aber auch sicher: „Ein weiteres Jahr im Kindergarten hätte ihm einfach gutgetan.“

Ben hat schon einen Schultornister und wird am 8. August seine Einschulung feiern. Die zuvor versuchte Rückstellung sei hürdenreich gewesen. Das will Kantelberg anderen ersparen, „denn eigentlich weiß niemand, wie es läuft.“ Kinderarzt, Kita, Schule, Gesundheitsamt – alle verwiesen auf die jeweils anderen Stellen, beschreibt sie.

Problematisch findet die Mutter, dass Ben normalerweise nicht mal die Schuleingangsuntersuchung durchlaufen hätte. Die Untersuchungen werden vom Gesundheitsamt chronologisch nach Alter durchgeführt, manche im August oder September Geburtstag feiernden Kinder sind demnach noch gar nicht dran gewesen. „Viele werden ohne diesen Test eingeschult“, kritisiert Kantelberg. In den vergangenen Jahren war das insgesamt häufiger der Fall, wegen akuter Personalnot oder weil die Ärzte pandemiebedingt andere Aufgaben schultern mussten.

Schulpflichtige Kinder können nur wegen erheblicher gesundheitlicher Gründe zurückgestellt werden

Maximilian Böttner, Pressesprecher der Stadt Duisburg, erklärt, dass schulpflichtige Kinder nach geltender Rechtslage „nur aus erheblichen gesundheitlichen Gründen für ein Jahr zurückgestellt werden“ können. Die Entscheidung dazu treffe die Schulleitung auf der Grundlage des schulärztlichen Gutachtens

Familie Kantelberg ärgert das: „Eine Schulleitung muss entscheiden, obwohl sie mein Kind maximal 15 Minuten gesehen hat, auf Basis eines Gutachtens, wofür der Amtsarzt 30 Minuten brauchte.“

Die Stadt Duisburg betont auf Nachfrage, dass auch unter den August-/September-Kindern einige sein könnten, die aus medizinischen Gründen zurückgestellt werden müssen. Dass diese Kinder jünger und gegebenenfalls kognitiv nicht so reif sind wie zum Beispiel ein im Extremfall fast ein Jahr älteres Oktoberkind, liege in der Natur eines Einschuljahres. „Es kommen aber ausschließlich medizinische Gründe für eine Rückstellung in Betracht, nicht aber altersbedingte Unterschiede in der kognitiven Entwicklung innerhalb eines Jahrgangs“, so Böttner.

Das „clevere Kerlchen“ meisterte Tests bei der Schuleingangsuntersuchung

Wenn eine Rückstellung zur Diskussion steht, würden Kinder auch früher zur Schuleingangsuntersuchung eingeladen, um nötige Folgschritte rechtzeitig einleiten zu können. So sei es auch bei Ben gewesen, dessen Mutter schon im Februar anrief und dessen Grundschule den Kinder- und Jugendgesundheitsdienst informierte. Theoretisch hätte auch der Kindergarten das schon tun können, das ist in diesem Fall aber nicht passiert, schreibt Böttner.

Das Schulgutachten sei der Schule noch nicht übermittelt worden, so der Stadtsprecher. „Die Entscheidung, die Rückstellung nicht zu befürworten, steht jedoch fest.“

Die Mutter wundert das nicht so sehr, die Tests im Gesundheitsamt habe Ben „gut gemeistert“, kognitiv habe sie keine Sorgen, „er ist ja ein cleveres Kerlchen“. Aber er sei schüchtern, könne frustrierende Erlebnisse nicht gut verarbeiten, weine viel. „Er ist insgesamt noch sehr kindlich, spielt im Kindergarten und beim Fußball lieber mit jüngeren Kindern.“

Entwicklungsverzögerung reicht nicht für eine Rückstellung

Das allein reicht nicht, um den behördlichen Rückstellungskriterien zu entsprechen. Auch nicht, dass ein Ergotherapeut eine Entwicklungsverzögerung attestierte: Ben hat Probleme beim Stifthalten, was Auswirkungen auf das Schreibenlernen haben könnte.

In der Wahrnehmung der Mutter habe das kaum eine Rolle gespielt. Stadtsprecher Böttner betont jedoch, dass das Attest in den Entscheidungsprozess eingeflossen sei. Die „leichten Defizite in der Grob- und Feinmotorik“ würden „keinesfalls einen Grund zur Rückstellung darstellen“, die kognitive Leistungsfähigkeit sei sogar „altersentsprechend und besser“ gewesen.

Familie Kantelberg guckt jetzt nach vorne. Mit Blick auf die erste Klasse ist sich die Mutter sicher: „Er wird es schaffen, aber mit Mühe.“ Und eigentlich ohne Not. „Ich sehe kein Risiko, ihn ein Jahr länger im Kindergarten zu lassen."

In elf der 16 Bundesländer hätte sie damit keine Probleme, und in NRW erst, seit der Stichtag vom 30. Juni auf Ende September verschoben wurde. Die Familie hofft, dass zukünftig Rückstellungsverfahren einfacher werden. Und ganz persönlich, „dass ich positiv überrascht werde und Ben die Schule super wuppt“.

>> GRÜNDE FÜR EINE RÜCKSTELLUNG

  • Wenn ein Kind ein Jahr später eingeschult werden soll, müssen „erhebliche gesundheitliche Gründe vorliegen“, sagt eine Sprecherin der Bezirksregierung Düsseldorf. Die Entscheidung treffe die Schulleitung auf Grundlage eines schulärztlichen Gutachtens, das bei der Schuleingangsuntersuchung erstellt wird.
  • Schulleitungen können auch von den Eltern beigebrachte fachärztliche oder fachtherapeutische Stellungnahmen berücksichtigen, die „erhebliche Anhaltspunkte mit einem belegten gesundheitlichen Bezug für eine Zurückstellung enthalten“. Dabei können auch präventive Gesichtspunkte mit einbezogen werden, so die Sprecherin weiter.
  • Es sei unstrittig, dass Kinder gleichen Alters Entwicklungsunterschiede von bis zu zwei Jahren aufweisen. „Dem wird in der Grundschule mit dem Prinzip der individuellen Förderung begegnet.“
  • Die Schuleingangsphase (Klasse 1 und 2) kann bei Bedarf um ein Jahr verlängert werden.

>> DIESE REGELN GELTEN ZUR EINSCHULUNG:

  • Jedes Kind, das bis zum Beginn des 30. September das sechste Lebensjahr vollendet hat, ist in Nordrhein-Westfalen schulpflichtig. Das bedeutet, dass der Geburtstag vor dem oder am 30. September entscheidend ist.
  • Alle Kinder, die am 1. Oktober oder später sechs Jahre alt werden, sind erst im folgenden Kalenderjahr schulpflichtig.
  • Bis 2008 galt in NRW als Stichtag für die Schulpflicht der 30. Juni.