Hochfeld. Das „Blaue Haus“ ist ein Vorzeigebeispiel für Integration. Doch auch das Jugendzentrum kann nicht alle Familien in Hochfeld erreichen.
Es ist noch nicht lange her, da war der Stadtteil Hochfeld wieder negativ in den Schlagzeilen. Rund um Silvester haben Kinder und Jugendliche Straßenbahnen in dem Stadtteil attackiert, so dass die Duisburger Verkehrsgesellschaft sich entschlossen hat, die Bahn nicht weiter fahren zu lassen. Im Anschluss wurde diskutiert, wie es so weit kommen konnte und was sich tun müsse, damit solche Situationen gar nicht mehr entstehen.
Da trifft es sich gut, dass die SPD-Landtagsfraktion ohnehin eine „Themenwoche der Chancengleichheit“ ausgerufen hat. Gemeinsam mit Bezirksbürgermeisterin Elvira Ulitzka und Ratsfrau Andrea Demming-Rosenberg stattete die Abgeordnete Sarah Philipp dem „Blauen Haus“ einen Besuch ab. In dem Jugendzentrum kommen Kinder und Jugendliche Tag für Tag zusammen, verbringen gemeinsam ihren Nachmittage. Sie basteln, spielen oder beteiligen sich an einem der zahlreichen Projekte, die hier angeboten werden. Ein „Vorzeigebeispiel für das, was in Hochfeld für die Chancengleichheit getan wird“, lobt Philipp.
„Blaues Haus“ in Duisburg: SPD-Landtagsabgeordnete beim „Informationsbesuch“
Am Runden Tisch erzählte Nikita Grojsman, Leiter des Jugendtreffs, von seiner Arbeit im „Blauen Haus“, das in der Woche immer von 14 bis 19 Uhr geöffnet ist und den Besuchern die Struktur bietet, die sie von zu Hause oft nicht kennen. Pro Tag kommen 50 bis 70 Kinder und Jugendliche an die Sedanstraße. Die meisten sind Stammgäste zwischen acht und 14 Jahren, die jeweils mehr als drei Stunden im Jugendtreff verbringen. Eine „heterogene Masse“, beschreibt Nikita Grojsman. „Alles mischt sich hier.“
Für das Demokratie-Projekt, mit dem die Besucher die Prinzipien der Teilhabe kennenlernen sollen, ist das ein Vorteil. Denn gemeinsam von allen Besuchern wird regelmäßig ein Gremium gewählt, das über Ausgaben für Ausflüge und Anschaffungen bestimmen kann. „Für die Wahlen malen die Kids richtige Plakate“, beschreibt Grojsman.
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Für Anschaffungen, die vom gewählten Gremium beschlossen würden, gebe es drei Regeln: Es wird nichts gekauft, was den Gesetzen der FSK, also der „Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“, widerspricht. Und gekauft wird nur, was für alle nützlich ist und nur eine Legislaturperiode lang hält. „Sonst hätten wir hier sicher bald drei Internetverträge“, lacht Nikita Grojsman.
Im „Blauen Haus“ wird jeden Tag frisch gekocht
Ein besonderes Augenmerk legt er auch auf gesunde Ernährung. Vor Ort werden die jungen Besucher daher mit Essen versorgt. Jeden Tag wird im Jugendzentrum frisch gekocht, die Jugendlichen übernehmen das in Eigenregie und erfahren dabei eine Menge nicht nur über Rezepte und Zubereitungsarten, sondern auch über die Notwendigkeiten des alltäglichen Lebens wie Einkaufen, Aufbewahrung von Lebensmitteln und natürlich über Gesundheitsfragen. Eine wichtige Präventionsmaßnahme. Denn in Hochfeld leben verhältnismäßig viele Übergewichtige. „Ein typisches Hochfelder Frühstück ist Eistee und Chips“, so Grojsman. Dass schon Elfjährige eine dreistellige Zahl auf der Waage sähen, sei keine Seltenheit.
Hochfeld ist zur Heimat geworden
Durch die intensive Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen gelinge es dem Team des „Blauen Hauses“ auch, Kontakte zu den Eltern zu knüpfen, erzählt Grojsman weiter. Langsam könne so bei den Menschen, die vielfach aus Bulgarien und Rumänien nach Duisburg gekommen sind, das Gefühl entstehen, zu Hause zu sein. „Ich kenne eine Familie aus Südosteuropa, die hat eine Ruhrpott-Tapete in ihrer Wohnung“, erzählt Grojsman. Hochfeld sei für sie inzwischen „die Heimat, die sie sich ausgesucht haben“.
„Ich habe größten Respekt für das, was hier geleistet wird“, erklärte Andrea Demming-Rosenberg am Runden Tisch. Doch mit nur einem festangestellten Mitarbeiter (Nikita Grojsman) und (zurzeit) zwei 16-jährigen Praktikanten ist das Team des Jugendzentrums nicht gerade gut aufgestellt. „Wir müssen da auf jeden Fall über eine Aufstockung nachdenken“, so Demming-Rosenberg in Richtung des Jugendamtsleiters und Vorsitzenden des „Vereins für Kinderhilfe und Jugendarbeit in Duisburg“, Hinrich Köpcke. Er war zum offiziellen „Informationsbesuch“ von Sarah Philipp ebenfalls erschienen.
Personelle Aufstockung dringend empfohlen
Trotz aller Hoffnung, trotz allem Engagement: Das „Blaue Haus“ kann nicht jede Familie im Stadtteil erreichen. Zwar gebe es in Hochfeld auch noch Jugendzentren anderer Träger. „Tatsächlich wäre es aber sinnvoll, hier noch sehr viel mehr solcher Einrichtungen zu haben“, findet Elisabeth Buhrmann vom Jugendamt. Vielleicht auch, um Krawalle wie die zuletzt an Silvester in Zukunft zu verhindern? Grundsätzlich würden Kinder maximal 400 bis 1.000 Meter Wegstrecke zurücklegen, um zu einem Jugendzentrum zu gelangen. „Man muss deswegen kleinräumig denken“, so Nikita Grojsman. Seine Zielgruppe seien die Bewohner der Straßen bis zur nächstgrößeren Hauptstraße.
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Dass die Jugendlichen, die den Stadtteil zum Jahreswechsel unsicher gemacht haben, irgendwann mal Gäste im „Blauen Haus“ gewesen seien, kann Grojsman nicht ausschließen. Seit 2014 habe man 500 angemeldete Besucher im Jugendzentrum gezählt. Aber seitdem sich die Kids mit Daten aus ihrem Reisepass registrieren und dabei auch den Kontakt zu den Eltern angeben müssten, seien „manche, die nur Destruktivität gesucht hätten“, nie mehr aufgetaucht.
Überhaupt möchte man in dieser Runde nicht gerne über die Missstände zum Jahreswechsel sprechen. Man wisse ja auch gar nicht, ob die „zehn oder zwölf Idioten“, die zum Jahreswechsel auffällig geworden seien, Hochfelder oder Zugereiste gewesen seien, meint Andrea Demming-Rosenberg und berichtet entrüstet davon, wie sie nach Silvester gefragt worden sei, ob man denn überhaupt noch durch Hochfeld laufen könne.
Silvester-Krawalle behindern die politische Debatte
Tatsächlich müsse man nach Ereignissen wie denen zum Jahreswechsel „in der politischen Debatte wieder von vorne anfangen“, fügt Sarah Philipp hinzu. Denn die Frage, ob man mehr Geld für Jugendarbeit und Personal ausgeben solle, sei nicht unumstritten. „Manche meinen auch, es löse mehr Probleme, wenn man mehr Polizei durch den Ortsteil fahren lasse.“ Dabei, davon sei sie überzeugt, würden die „gesellschaftlichen Reparaturkosten“ umso niedriger, je mehr Vorsorge man betreiben würde. Für den Stadtteil Hochfeld werde sie deswegen in der Landesregierung die Fahne hochhalten.
Wie das konkret aussehen soll, das wissen Hinrich Köpcke vom Jugendamt und Nikita Grojsman vom „Blauen Haus“ genau. Zwei Wünsche haben die beiden der SPD-Frau auf den Zettel geschrieben: „Die Träger der sozialen Arbeit in der Energiekrise unterstützen“ und „Mehr Spielplätze für Hochfeld“.
>> Geschichte des „Blauen Hauses“ in Hochfeld
- Das „Blaue Haus“ gibt es schon seit 19 Jahren. Es ist ein zentraler Treffpunkt für die Jugend im Stadtteil.
- Früher war das Jugendzentrum in einer aus blauen Containern zusammengezimmerten Behausung untergebracht.
- Zu Beginn betreuten Studierende die Kinder in den Containern. Inzwischen ist ein fester Mitarbeiter des „Vereins für Kinderhilfe und Jugendarbeit in Duisburg“ für die Arbeit im Blauen Haus angestellt.
- Der Neubau wurde im Sommer 2020 nach etwa einem Jahr Bauzeit eröffnet. Die Baukosten stiegen von ursprünglich geplanten 733.000 Euro auf rund eine Million Euro an. Davon zahlte die Stadt einen Eigenanteil von zehn Prozent.
- Das neue Jugendzentrum ist Teil des „integrierten Handlungskonzeptes“ für den Stadtteil Hochfeld mit einem hohen Anteil an südosteuropäischen Migrantenfamilien.