Duisburg.. 121 Häuser, die in Duisburg-Bruckhausen ganz in der Nähe des Thyssen-Krupp-Geländes stehen, sollen verschwinden. An ihrer Stelle soll hier einmal ein breiter Grüngürtel zu sehen sein. 800 Menschen müssen umziehen. Kosten des Gesamtprojekts: 70 Millionen Euro.
Gegenüber von Thyssen-Krupp gelten noch die guten alten Öffnungszeiten: 4.30 bis 14 Uhr, im Zeitmaß der Schichtarbeit, öffnet Mehmet Yildirim sein Bistro „Tor 1“. Hier essen Monteure, hier frühstücken Nachbarn, hier kehren Geschäftspartner des Stahlriesen von der andern Straßenseite ein. „Japaner, Dänen, Belgier“, sagt Yildirim, der selbst 22 Jahre Wechselschicht hinter sich hat, bevor er, lange her schon wieder, Geschäftsmann wurde. Das Bistro läuft, das Haus ist in Schuss: Es erklärt sich nicht von selbst, warum Yildirim vor Gericht darauf klagt, abgerissen zu werden.
Man muss an dieser Stelle etwas ausholen. Dies ist Bruckhausen. Schimanskis Revier, Wallraffs Wohnort, als er als „Türke Ali“ bei Thyssen Staub aufwirbelte. Werk und Wohnen sind miteinander verwachsen wie nirgendwo sonst. Bruckhausen, Sanierungsfall. Arme und Ausländer konzentrieren sich hier – und arme Ausländer. Jetzt sind auch Bulgaren da. 27 Millionen Euro gab die Stadt in den 80er- und 90er-Jahren aus für alles, was der Werkzeugkasten der sanften Stadtteilsanierung hergibt: Fassaden und Innenhöfe, Verkehrsberuhigung, Runde Tische. Ja, man sieht durchaus die Erfolge – in der dritten und vierten Reihe. Doch wo Bruckhausen dem Stahlwerk ganz nah kommt, da ist nichts mehr zu retten.
Ganz einfach deshalb: Duisburg hat 14.000 leere Wohnungen. Warum sollte jemand, der umzieht, neben die Hochöfen ziehen? Letzte Ausfahrt Abriss.
„Das schönste Haus nutzt nichts, wenn niemand dort wohnt oder investiert“, sagt Mario Hofmann, Stadtplaner bei der federführenden „Entwicklungsgesellschaft Duisburg“. So kam es zu einem „Strategiewechsel, weil sich abzeichnete, dass die bisherigen Maßnahmen angesichts des Schrumpfens der Stadt nicht zum Erfolg führten“. Seitdem heißt die Strategie: Totaloperation. Dann Wiederaufforstung.
Jedes fünfte Haus wird abgerissen
Sie reißen Bruckhausen ab, jedes fünfte Haus: 121 Mehrfamilienhäuser fallen bis Anfang 2014, 800 Menschen ziehen um. Mieter erhalten Beihilfen, Besitzer werden entschädigt: Was ja auch der Grund dafür ist, dass Yildirim auf eigenen Abriss klagt. Sein Haus steht doch auch Thyssen am nächsten! Doch nun hat er wieder Post bekommen von der Stadt. Drei Seiten, vorn ein Aktenzeichenwimmelbild, hinten eng bedruckt mit ungefähr der Aussage: Sein Haus signalisiere den Ortseingang; und gewiss sei es viel zu laut zum Wohnen, aber es werde ja leiser, wenn die Menschen und ihre Autos weg sind. „Stadt Duisburg“, sagt Yildirim kopfschüttelnd.
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Die meisten Menschen sind schon weg. Die meisten Häuser stehen noch. In der Straße der vernagelten Erdgeschosse, am Trümmergrundstück-Weg. Manches Haus ist entglast bis in den dritten Stock, Müll türmt sich, Metallrohre sind gestohlen, Klingelleisten und Briefkästen herausgerissen – ein Wachdienst wurde engagiert. Dem früheren Haus von Abdelkader Belhadj sieht man hingegen noch kaum etwas an, obwohl es auf das Ende wartet: Im ersten Stock des roten Backsteinbaus ist ein Fenster zersplittert, und eines im Erdgeschoss vorne schwingt auf und zu.
In Bruckhausen wie in Marokko gewohnt
Belhadj, ein Deutscher mit marokkanischen Eltern, ist hier vor knapp einem Jahr ausgezogen. „Als wir es verkauft haben, haben meine Frau und ich geweint“, sagt er. Aber die Entschädigung war gut, nun haben sie weiter hinten in derselben Straße ein Haus, das bleibt. „Wir haben da erst gehaust wie in Marokko“, sagt der 44-Jährige: „Aber seit ein paar Wochen hab ich alles am Laufen, Wasser, Gas . . .“
Geistersiedlung in Gladbeck
Wird Bruckhausen also doch gerettet nach dem Niedergang? „Das war doch mal eine schöne Stadt“, sagt Hans Brauer, der sein Leben hier verbracht hat; der Absturz wird deutlich, wenn man mit ihm durch die Reinerstraße geht. In der alten Einkaufsstraße halten sich vier, fünf Läden, darunter ein Halbtagsbäcker – und, lieber Himmel, selbst der Frisör ist zu!
EU und Thyssen-Krupp teilen sich die Kosten
Da zählt Brauer auf, was hier früher stand: „Konsum, Milchmann, Uhrmachermeister, Friseur, Café, Gaststätte, Kurzwaren, Lebensmittel, Schuhe, Milch und Molkerei, Bäckerei, Metzgerei, Leihbücherei, noch ne Kneipe – und da haben sie erst die linke Straßenseite!“
Sichtlich frisst der Leerstand sich weiter in den Ort hinein, dass man manchmal nicht weiß: Ist das hier noch das Abrissgebiet – oder nicht mehr? Wo die 121 Häuser standen, zwischen Werk und dem Rest des Ortes, wird 2015 ein Grüngürtel wachsen, ein „begehbares Landschaftsbauwerk“, so Hofmann. Alles in allem kostet der Fall Bruckhausen gut 70 Mio Euro, eine Hälfte bezahlt die EU, eine Hälfte Thyssen-Krupp. Dafür müssen Besucher und Geschäftspartner, die von der A 42 kommen – und diesen Weg nehmen alle – nicht mehr an einer langen Front von Schrottimmobilien entlang fahren, bis das Thyssen-Krupp-Bürohochhaus auftaucht.