Duisburg. Als „China-Versteher“ wird Prof. Dr. Thomas Heberer angefeindet, dabei ist er China-Erklärer. Das sagt er zur Bande zwischen Duisburg und Wuhan.
Fast 15 Jahre, verteilt über Arbeitsaufenthalte und Forschungsreisen, hat Prof. Dr. Thomas Heberer seit 1975 in China zugebracht. Wenige in Deutschland kennen das Land so gut wie der 75-jährige Politikwissenschaftler. Von 1998 bis 2013 lehrte er an der Universität Duisburg-Essen (UDE), wo er als Seniorprofessor weiter forscht. Anlässlich seines Abschieds als Co-Direktor des Konfuzius-Instituts in Duisburg (s. unten), das er vor zwölf Jahren mit gründete, sprachen wir mit ihm über China, Duisburgs Partnerschaft mit Wuhan und die Zukunft des Instituts.
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Sie verabschieden sich - warum gerade jetzt?
Thomas Heberer: Ich wollte schon vor einem Jahr aufhören, wurde aber vom Vereinsvorstand gebeten, angesichts der Diskussion um die Konfuzius-Institute im Bundestag ein weiteres Jahr als Co-Direktor zu fungieren. Aber zwölf Jahre reichen, ich möchte mich wieder ganz meiner Forschungstätigkeit widmen. Aber ich stehe bei Bedarf weiter beratend zur Verfügung.
„Der gewaltige Wandel nach den Reformen in den 1970er Jahren hat mich geprägt“
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Sie reisten 1975 als Doktorand erstmals nach China. Wie beschreiben Sie die Entwicklung?
Ich habe den Wandel von einem totalitären, alles kontrollierenden Staat, zu einem sich öffnenden Land von 1977 bis 1981 als Lektor und Übersetzer bei einem chinesischen Verlag in Peking als Zeitzeuge erlebt. Die Chinesen, mit denen ich das Büro teilte, durften mit mir nur über die Arbeit sprechen. Nach der Rehabilitierung Deng Xiaopings wurden Kontakte erleichtert, Freundschaften möglich. China war damals eines der ärmsten Länder der Welt. Der rasche Wandel nach der Einleitung von Reformen war gewaltig. Plötzlich gab es ein wachsendes Angebot an Nahrungs- und Konsumgütern, die Lebensbedingungen verbesserten sich von Tag zu Tag. Diese Erfahrung hat mich mit geprägt.
Wie bezeichnen Sie China heute?
Als autoritären Entwicklungsstaat. Die für alle gültige Ideologie der Mao-Zeit gibt es nicht mehr. Als Ausländer kann ich heute relativ frei reisen und Kontakte haben, mit Ausnahme der Grenzgebiete. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Xinjang ist ein zweifellos ein Sonderfall. Ich hatte dort 2020 ein Angebot für eine Gastprofessur, wegen der Pandemie wurde daraus nichts. Ich hätte gern gespürt, wie die Stimmung dort ist.
„Die veröffentlichten Dokumente aus der Uiguren-Provinz sind erschreckend“
Wie beurteilen Sie die nun veröffentlichten Dokumente über die Lager in der Uiguren-Provinz?
Die Fotos und Dokumente sind erschreckend! Dem Herausgeber Adrian Zenz zufolge existieren verschiedene Lager: Einige sind tatsächlich Ausbildungslager, in andere werden Terrorismus-Verdächtige eingeliefert. Gerne würde ich mir selbst ein Bild von der Sachlage machen, soweit das überhaupt möglich wäre.
Was ist für Europäer in China am Schwierigsten zu verstehen?
Die Denk- und Verhaltensweisen der Menschen, die sich grundsätzlich von denen in Europa unterscheiden. Die Rolle sozialer Beziehungen, der andere Umgang mit politischen Strukturen und Institutionen ist uns zunächst sehr fremd. Interpretationen aus westlicher Sicht führen leicht zu falschen Schlussfolgerungen. Kenntnisse der chinesischen Geschichte sind für das Verständnis des heutigen China unabdingbar. Viele Begriffe, die auch Präsident Xi Jinping verwendet, entstammen konfuzianischen Klassikern aus vorchristlicher Zeit. Sie sind im Denken der Chinesen tief verankert, aber transportieren für sie einen anderen Inhalt Das gilt auch für Begriffe wie Gesellschaft, Freiheit und Demokratie oder den Begriff „One Belt-One Road“ im Zusammenhang mit der Seidenstraße.
„Die Grundidee der Neuen Seidenstraße ist grundsätzlich gut“
Wie verstehen sie die „Neue Seidenstraße“?
Sie ist gedacht als alternatives Globalisierungsprojekt. Die Grundidee, Infrastruktur und industrielle Cluster in wenig entwickelten Regionen Asiens und Afrikas zu fördern, als Anschub für wirtschaftliche Entwicklung und Marktverbindungen, ist grundsätzlich eine gute Idee. China hat dabei natürlich auch eigene Interessen im Blick. Die G7 haben jetzt ein eigenes Infrastrukturprogramm beschlossen – das fördert Wettbewerb und nutzt hoffentlich diesen Regionen.
Erleben wir die „Zeitenwende“ auch im Verhältnis zu China?
Wir sind mittendrin. Die Demokratien suchen den Schulterschluss gegen autoritäre Systeme. Der russische Angriff auf die Ukraine hat auch die europäisch-chinesischen Beziehungen verändert. China gilt dabei als noch herausfordernder, weil es wirtschaftlich stärker und um militärische Aufrüstung bemüht ist. Sorge muss machen, dass es in Zukunft zu einem militärischen Konflikt zwischen den USA und China kommen könnte. Hoffentlich werden die globalen Herausforderungen wie z.B. der Klimawandel dazu führen, dass in 20 Jahren nicht mehr Großmacht-Politik im Mittelpunkt steht, sondern die Lösung gemeinsamer globaler Probleme.
„Städtepartnerschaften eröffnen Kommunikationswege. Wir sollten sie offenhalten“
Das belastet auch die Duisburger Städtepartnerschaft mit Wuhan. Warum werben Sie für eine Fortsetzung?
Städte führen keine Kriege. Städtepartnerschaften können nicht von der politischen Großwetterlage abhängig gemacht werden. Zwischen Wuhan und Duisburg besteht ein langes Vertrauensverhältnis. Die Partnerschaften sind ein Kommunikationskanal über große Diplomatie von Staaten hinaus. Deshalb sollte man sie nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Als 1989 die städtische Protestbewegung in China gewaltsam beendet wurde, hat der damalige OB Josef Krings gegenüber einer Delegation aus Wuhan erklärt, er verurteile, was sich ereignet habe, die Partnerschaft mit Wuhan werde man aber nicht aufgeben. Ähnlich hat sich auch OB Sören Link nun zur russischen Stadt Perm verhalten. Auch in Krisen sollten wir solche Kommunikationswege offenhalten. Die Stadt Perm und ihre Bürger können nichts dafür, dass Putin Krieg führt.
Die Hoffnung auf Änderung des politischen Systems durch Handel ist gescheitert“
Wandel durch Handel - ist das eine sehr westeuropäische Sicht?
Wenn man damit die Hoffnung auf Änderung des politischen Systems verbindet, dann ist das gescheitert. Aber der Handel hat zugleich die Entwicklung Chinas gefördert und die Lebensbedingungen der Bevölkerung enorm verbessert – von dieser Entwicklung haben die Welt und auch Deutschland in besonderem Maße profitiert. Die Vorstellung, China würde sich demokratisieren, hat sich nicht erfüllt. Mit Blick auf Xinjang, Tibet oder Hongkong ist festzustellen, dass sich China immer noch im Prozess der Festigung der Nation und nationaler Integration befindet. Was wir als Menschenrechtsverletzungen klassifizieren, ist aus der Sicht Pekings eine Frage der nationalen Sicherheit. Auch wenn wir die Maßnahmen der chinesischen Führung in dieser Hinsicht nicht teilen.
Partnerschaft auf Augenhöhe mit China – ist auch das eine Illusion?
Die Wertesysteme beider Länder unterscheiden sich grundsätzlich. Die chinesische Führung – sie besitzt die Unterstützung der großen Mehrheit des Volkes – hat einen Weg gewählt, der nicht zur Übernahme westlicher Demokratie führt. Wer glaubt, unsere europäischen Werte weltweit durchsetzen zu können, gerät mit Ländern wie China automatisch in Konflikt. Durch Deutschlands traumatische Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus fühlen sich die Deutschen moralisch besonders motiviert, Verletzungen von Menschenrechten zu verurteilen.
„China wird von seinem bislang sehr erfolgreichen System nicht abweichen“
Was heißt das für die Zukunft?
China wird von seinem System nicht abweichen, zumal es bislang sehr erfolgreich ist. Daran wird der Westen nichts ändern können. Die ständige Negativ-Interpretation von allem, was China tut, ohne Anerkennung seiner Leistungen empfinden die meisten Chinesen als Mangel an Respekt. Eine „wertegeleitete Außenpolitik“ ist für mich ein Widerspruch. Klassische Außenpolitik hat nichts mit Werten, sondern mit nationalen Interessen zu tun. „Ich bin absolut dafür, unsere Werte verteidigen, aber dagegen, sie anderen Völkern aufzuzwingen“, hat Helmut Schmidt einmal gesagt. Wir sollten mehr Gewicht auf die Suche nach Gemeinsamkeiten legen, hat Altbundeskanzlerin Merkel einmal mit Blick auf China formuliert.
Auch das Konfuzius-Institut Rhein-Ruhr muss die Frage nach seiner Zukunft beantworten. Was wünschen Sie sich?
Es ist ein kleines Puzzleteil im gesamten deutsch-chinesischen Beziehungsgefüge. Wäre das ausgeglichen, gäbe es die beständigen Angriffe nicht. Die Institute sind als Brücke der Verständigung zwischen beiden Ländern gedacht und nicht als chinesische Propaganda-Instrumente. Ich würde deshalb dafür plädieren, neue Regeln für die Kooperation einzuziehen, die Institute aber nicht zu schließen. Wir würden sonst einen weiteren Kommunikationskanal verlieren.
„Wir brauchen China-Kompetenz, um das Agieren der Weltmacht einzuordnen“
Das Interesse an China-bezogenen Studiengängen sinkt.
Ja. Solange China aber als systemischer Gegner dargestellt wird und die Berichterstattung nur negativ ist, fragen sich Studierende, warum sie sich mit einem solchen Land beschäftigen sollen. Dabei sind Größe und Bedeutung sowie seine alte Kultur gute Gründe, sich mit China zu beschäftigen. Wir müssen in der Lage sein, die Weltmacht China und ihr Agieren analytisch einzuordnen und darauf basierend zu beurteilen, wie und wohin sich dieses Land entwickelt und wie wir darauf reagieren sollten. Dazu gehören auch geschichtliches Wissen, Arbeits- und Studien-Aufenthalte in China. Die Pandemie hat diese Aufenthalte sehr erschwert. Die Politik sollte sich Gedanken machen, wie wir dieses Defizit beheben können.
Wenn Sie dem chinesischen Staatschef Xi Jinping eine Frage stellen dürften: Welche wäre es?
Welche Ordnung für die Welt stellt sich China in der Zukunft vor?
ÖFFENTLICHE PODIUMSDISKUSSION ZU CHINA AM MONTAG
- Prof. Dr. Thomas Heberer diskutiert am nächsten Montag, 4. Juli, mit Prof. Dr. Mengji Lu, Virologe am Universitätsklinikum Essen und Prof. Yu Zhang (China Communications Holding), Kunstförderin und Buchautorin aus Berlin, und Prof. Dr. Markus Taube (UDE, In-East-Institut), der künftig als alleiniger deutscher Co-Direktor das Duisburger Konfuzius-Institut Rhein-Ruhr führt.
- Die öffentliche Veranstaltung beginnt um 18 Uhr im Intercity-Hotel, Mercatorstr. 57. Der Eintritt ist frei. Anmeldung: Konfuzius-Institut Metropole Ruhr, Sandra Urban, per Mail: konfuzius-institut@uni-due.de oder online: https://www.uni-due.de/konfuzius-institut/anmeldeformular_kostenfrei.php