Duisburg. Ein Duisburger hat den Kampf gegen seine Spielsucht gewonnen. 80.000 Euro hat er verloren. Warum er mit Wut auf den Start der Bundesliga blickt.
Wenn am Freitagabend die Bundesliga mit dem Spiel Bayern München gegen Schalke 04 startet, wird Dominik Bach mit Wut im Bauch vor dem Fernseher sitzen. Wut, weil der Fußball nicht mehr ohne Werbung für Sportwetten auskommt. Auf Trikots, Werbebanden und im Reklameblock der Halbzeitpause: Sobald der Ball rollt, sind Wettanbieter wie
Tipico
,
Bwin
und Co. omnipräsent. Der junge Duisburger hat erlebt, was passiert, wenn aus dem Tippspiel eine Sucht wird.
Mehr als zehn Jahre war Dominik Bach, der eigentlich anders heißt und anonym bleiben möchte, süchtig nach dem Kick mit dem Wettschein.
Sportwetten-Sucht: Die Illusion vom schnellen Geldgewinn
Mit damals 18 Jahren gibt der fußballbegeisterte Duisburger seine ersten Tipps ab. Er geht in Wettbüros, in denen Spiele live übertragen werden. „Es war ein Zeitvertreib“, sagt der 32-Jährige.
Hinzu kommt die Illusion vom Geldgewinn. Mit Einsätzen von zwei Euro fängt es an, später setzt er mehr. Erst selten, dann immer öfter, schließlich krankhaft. „Ich bin immer davon ausgegangen, das System schlagen zu können.“ Er glaubt, mit seinem Wissen über Spieler, Vereine und Liga schon halb gewonnen zu haben. Er schaut sich die Platzierungen und vergangene Ergebnisse an, analysiert, welche Spieler ausfallen, bewertet die Spielweisen.
Korrekte Spielscheine mit Quoten von mehreren hundert Euro geben ihm vermeintlich recht. Wie elektrisiert liegt er nach Erfolgen stundenlang im Bett wach, macht kein Auge zu. Dazu das „Glücksgefühl“ bei der Vorbereitung eines Spielscheins, das sich in seinem Kopf verankert. Heute weiß er: Mit dem Gewinn kommt die Sucht.
100 Wettscheine am Tag – kein Geld für Essen
Bis zu 100 Wettscheine am Tag spielt er. Sein gesamtes Denken, Fühlen und Handeln wird durch das Glücksspiel dominiert. „Zehn Jahre lang hatte ich am Ende des Monats kein Geld mehr.“ Oft ist auch früher schon alles weg. „Man findet aber immer wieder zwei Euro, um doch noch zu spielen.“ Auf vernünftiges Essen wird verzichtet, stattdessen gibt es tagelang Porridge.
Der 32-Jährige wirkt reflektiert und wortgewandt. Er schreibt gerade seine Dissertation im Bereich Ingenieurwesen, sein Blick wirkt selbstsicher. Dass er am pathologischen Glückspielverhalten leidet, wie es in der medizinischen Fachsprache heißt, ist ihm nicht anzusehen. So wie bei vielen anderen Biografien von Betroffenen.
Branche boomt: Sportwettenmarkt steigert Umsatz
Der Umstand der unsichtbaren Krankheit hilft Süchtigen von Sportwetten, vor Freunden über die wahre Situation hinwegzutäuschen. Selbst seine Ex-Freundin hat über Jahre nichts von seinen Suchtexzessen mitbekommen. „Spielsüchtige können extrem gut lügen.“ Statt im Wettbüro war er stundenlang im Freibad.
Die Wettbranche boomt – auch, weil der Zugang zu Sportwetten so einfach ist. Laut veröffentlichten Zahlen des Bundesfinanzministeriums haben deutsche Wettkunden im Jahr 2019 rund 9,3 Milliarden Euro an Wetteinsätzen getätigt. Im Vergleich zum Vorjahr ist der Sportwettenmarkt um 21 Prozent gestiegen.
„Alleine samstags kann man auf über 1000 Spiele tippen“
Ein Großteil entfällt auf das Online-Geschäft. Rund um die Uhr kann auf organisierten Sport in der ganzen Welt gewettet werden. Madagaskar, Mauritius, Mongolei – per Mausklick ganz nah. Bezahlt wird mit Kreditkarte, die die Relation zum Geld vergessen lässt, kritisiert der Duisburger.
„Der Markt wird kontinuierlich mit Spielen gefüllt.“ So möchte es die Fußballindustrie – und sicher auch die Wettanbieter-Branche. Zerstückelte Spieltage, internationale Wettbewerbe, Ligen und Pokale in aller Welt: Die Sucht kann jederzeit gestillt werden. „Alleine samstags kann man auf über 1000 Spiele tippen.“
Spielsucht: Mehr als 80.000 Euro Verlust erlebt
Regelmäßig verfällt der Duisburger dem Angebot. In seiner akuten Phase wettet er samstags von zehn bis 22 Uhr durch. „Es hörte nicht auf.“ Je höher und häufiger die Verluste, desto impulsiver handelt er. „Unüberlegt wird auf Spiele gesetzt, um Geld zurückzugewinnen.“ Auf Begegnungen der zweiten ägyptischen Liga oder Partien in Hongkong. Doch der Fußballgott kennt kein Erbarmen.
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Bis zu 1000 Euro im Monat soll er verspielt haben. 80.000 Euro sollen es über die Jahre gerechnet gewesen sein. Zunächst finanziert er sein Spiel mit BAföG und einem gut bezahlten Studentenjob. Mit einem Kredit bei der Bank stillt er seine Sucht. Später nimmt er auf der Arbeit Geld aus der Kasse. Geld, das er mit seinem Gehalt zurückzahlen möchte und nur eine kurze Durststrecke überbrücken soll. Heute habe er keinerlei „Altlasten“ mehr.
Zerbrochene Freundschaften schmerzen
„Was ich nicht vermisse, ist das verlorene Geld“, sagt der 32-Jährige rückblickend. Vielmehr seien es Freundschaften, die er sich zurückwünscht. Im tagelangen Tunnel der Sucht sind sie in Vergessenheit geraten und letztlich in die Brüche gegangen.
„Irgendwann kippt ein Schalter um“, sagt der 32-Jährige, der häufiger versucht hat, seine Spielsucht in den Griff zu bekommen. Online ließ er sich bereits vor Jahren bei allen Wettanbietern sperren. Seit neun Monaten besucht er die wöchentlich stattfindende Selbsthilfegruppe für Menschen mit problematischem Glücksspielverhalten im Alexianer Bürgerhaus in Duisburg-Rheinhausen.
Selbsthilfegruppe hilft, spielfrei zu werden
„Dort gibt es viele erfahrene Zuhörer, die seit Jahren spielfrei sind.“ Von Menschen, die es geschafft haben, und den Therapeuten lernt er das Handwerkszeug, um spielfrei zu bleiben. Das soll ihm nun neun Monate gelungen sein. Doch Therapeuten wissen, dass Rückfälle möglich sind.
Laut der Landeskoordinationsstelle Glücksspielsucht NRW gelingt es 40 Prozent der Hilfesuchenden in Behandlung, im ersten Anlauf spielfrei zu werden. 20 Prozent gelingt es nach vorübergehenden Rückfällen, so die Statistik.
Damit mehr Menschen ihr Spielsucht-Problem lösen können, brauche es mehr Aufklärung, fordert Dominik Bach. Mehr Spielerschutz könne etwa durch niedrige monatliche Einzahlungslimits bei Onlineportalen und zentralen Spielerdatenbanken gelingen. „Es muss auch stärker über die Gefahren aufgeklärt werden.“
>> SPORTWETTEN-SUCHT: HILFSANGEBOTE FÜR BETROFFENE
- Viele Menschen nutzen Glücksspielangebote, ohne dadurch im Leben beeinträchtigt zu sein. Wer bei sich, Angehörigen, Verwandten oder Freunden problematisches Verhalten beobachtet, kann sich unter anderem bei der Landeskoordinierungsstelle Glücksspielsucht NRW anonym und kostenlos beraten lassen: 0800 0776611.
Anlaufstelle in Duisburg ist die Alexianer Bürgerhaushütte, die Beratung, Begleitung und Therapie von Menschen mit problematischem Glücksspielverhalten anbietet. Jeden Dienstag trifft sich von 19 bis 20.30 Uhr eine Selbsthilfegruppe. Mehr Informationen zum Angebot unter 02065 255690.