Duisburg. Wer die Verkehrswende im ÖPNV will, muss die Frage der Finanzierung beantworten, warnt DVV-Chef Marcus Wittig. So teuer wird es in Duisburg.
Mit Bussen, die auf 100 Kilometern 40 Liter Diesel verbrennen, ist eine Verkehrswende in Duisburg nicht zu schaffen. Wenn das ÖPNV-Angebot bis 2030 um 60 Prozent wachsen soll – das sieht der Koalitionsvertrag der schwarz-grünen NRW-Landesregierung vor – muss die Duisburger Verkehrsgesellschaft (DVG) Milliarden Euro aber nicht nur neue Fahrzeuge, sondern auch in Schienenwege, Betriebshöfe und Personal investieren.
[Nichts verpassen, was in Duisburg passiert: Hier für den täglichen Duisburg-Newsletter anmelden.]
„Beim Klimaschutz in den Städten kommt dem innerstädtischen Nahverkehr eine Schlüsselrolle zu“, sagt Marcus Wittig, Vorstandschef des Stadtkonzerns DVV. „Aber wenn die Verkehrswende gesellschaftlicher und politischer Konsens ist, muss auch die Frage der Finanzierung geklärt sein.“
Straßenbahnen fahren in Duisburg bereits mit Ökostrom
An Ideen für die Verkehrswende fehlt es nicht: Der „Sprung über den Rhein“ mit neuen Bahnlinien nach Rheinhausen und Homberg findet sich im Stadtentwicklungskonzept „Duisburg 2027“ ebenso wie im „Netzkonzept 2030+“. Die DVG selbst arbeitet schon an ihrer Klimafreundlichkeit: Die Straßenbahnen fahren mit Ökostrom, seit 1. März 2022 ist die erste Busline (934) elektrifiziert. Die Entscheidung, in 2025 zehn Busse mit Brennstoffzellen anzuschaffen, wurde jüngst beschlossen. Auch neue Straßenbahnen für rund 190 Millionen Euro sind längst bestellt.
Das geht ins Geld: 780.000 Euro kostet ein einziger E-Bus, mindestens den gleichen Preis ein Wasserstoff-Fahrzeug. Rund 100 Fahrzeuge müssen insgesamt auf Emissionsfreiheit umgestellt werden. Mit der Ausweitung des Angebots steigt diese Zahl, außerdem müssen Gleise für die Bahn gelegt, wahrscheinlich ein weiterer Betriebshof im Stadtwesten gebaut werden. „Das sind schon erhebliche Investitionssummen, die hier notwendig sind“, sagt Marcus Wittig, „Wenn wir zusätzlich Inflation und Preissteigerungen berücksichtigen, werden die Herausforderungen sicher nicht leichter.“
Kosten für den ÖPNV übersteigen die Einnahmen um das Dreifache
Der ÖPNV ist ohnehin hoch defizitär, weil die Unternehmen ihre Kosten nicht durch den Ticketverkauf decken können. Weil die Politik die Preise deckelt, damit das Angebot in der Konkurrenz zum Auto attraktiv bleibt, sind die Einnahmen aus Ticketverkäufen nicht mehr als eine Säule der Finanzierung des Nahverkehrs. Die Zahlen aus 2021 der DVG: Aufwendungen in Höhe von 141 Mio Euro standen Ticket-Einnahmen von rund 47,5 Mio Euro gegenüber, unter dem Strich stand ein Defizit von gut 60 Millionen Euro.
Erträglicher wird das durch den „steuerlichen Querverbund“ im DVV-Konzern, der die Verluste der Nahverkehrstochter DVG gegen die Gewinne der Stadtwerke aus dem Energiegeschäft abschreiben kann. So blieb auch 2021 unter dem Strich eine Steuerersparnis von rund 17 Millionen Euro.
DVV-Chef Marcus Wittig: Auch die Energiewende erfordert hohe Investitionen
Auch bei der Aufstellung der nächsten Stadthaushalte könne Kämmerer Martin Murrack kaum mit Überschüssen des Stadtkonzerns planen, warnt DVV-Chef Wittig: „Die Gewinne aus der Versorgung werden nicht parallel steigen, weil die Energie- und Wärmewende ebenfalls hohe Investitionen in die Umstellung auf Erneuerbare und den Ausbau der Stromnetze erfordert. Das wird die Ergebnisse stark belasten.“
Die Notwendigkeit einer Verkehrswende stelle er nicht infrage, betont der DVV-Chef: „Wir befürworten grundsätzlich alle Maßnahmen, die mehr Menschen in Bus und Bahn bringen.“ Der steigenden Nachfrage in Duisburg müsse der ÖPNV aber durch ein attraktives Angebot gerecht werden. Davon ist die DVG aktuell weit entfernt. Wittig: „Schon durch das 9-Euro-Ticket sehen wir, wo das heutige Angebot an seine Belastungsgrenze kommt.“
[Straßenbahn- und Buslinien der DVG in fünf Minuten mit Schulnoten bewerten: zum DVG-Linien-Check]
Weil der Aufwand für den ÖPNV Stadt und DVV schon heute vor große finanzielle Herausforderungen stellen, ist für Marcus Wittig mit Blick auf die Pläne der Landesregierung eines klar: „Solche Investitionen und Kosten in kurzer Zeit können weder die DVG noch die Stadt auch nur annähernd allein schultern. Das gelingt nur mit entsprechenden Förderquoten.“ Zwar sei die Notwendigkeit der Verkehrswende unbestritten, „die Gretchenfrage der Finanzierung bleibt an vielen Stellen aber weiterhin noch unbeantwortet“.
>> ÖPNV: FAHRGÄSTE, ANGEBOT UND QUALITÄT IN DUISBURG
- Die DVG erstellt ihr ÖPNV-Angebot nicht nach eigenem Gutdünken, der Nahverkehrsplan wird vom Rat der Stadt verabschiedet. Formal ist die DVG, Auftragnehmer der Stadt, sie hat auch keine Tarifhoheit.
- Mehr Fahrgäste, geringeres Defizit – diesen Automatismus gebe es nicht, betont DVV-Chef Marcus Wittig: „Mehr Kunden bedeuten auch mehr Aufwand. Neue Linien benötigen Schienen, Fahrzeuge, Personal.
- Trotz aller aktuellen Schwierigkeiten auf der Schiene habe die DVG gemeinsam mit der Stadt aber „das Angebot in den vergangenen Jahren deutlich verbessert“, betont der Vorstandsvorsitzende.
- Dem widerspricht Lothar Ebbers, Sprecher des Fahrgastverbandes „Pro Bahn“. Zwar habe die DVG eine neue Buslinie nach Rheinhausen neu eingerichtet, gleichzeitig aber zuvor das Angebot im Stadtnorden ausgedünnt. Diese Reduzierung hätte, so Ebbers, durch den Abbau von Doppelstrukturen von NIAG und DVG im Stadtwesten vermieden werden können.