Duisburg. Programm hilft Kindern, deren Abschluss gefährdet ist, in der Schule, auf dem Weg in den Beruf und bei lebenspraktischen Fragen. So geht’s.
„Jedes Kind hat Potenziale, bei manchen werden sie durch Armut verdeckt“, sagt Schewa van Uden. Die Sozialwissenschaftlerin hilft seit über zehn Jahren Kindern in Duisburg-Ruhrort, deren Abschluss gefährdet ist, in der Schule aufzublühen und beruflich eine Richtung zu finden.
Hunderte Kinder und Jugendliche hat die 41-Jährige auf dem Weg begleitet, sie nennt sie „Absolventinnen und Absolventen“, wenn sie nach drei Jahren das Aletta Haniel Programm und die Schule in Richtung Ausbildung verlassen. Dieser Begriff sagt viel über die Wertschätzung und Haltung, die den Jugendlichen entgegen gebracht wird.
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„Schulischer Erfolg ist eine Frage der sozialen Schicht“
Anfangs habe sich das Programm an Zuwanderer gerichtet, schnell sei aber klar geworden, dass der schulische Erfolg „eine Frage der sozialen Schicht ist und vom Bildungsstand der Eltern abhängt“. „Wir gucken, was ein Kind mitbringt, wir gucken auf die kulturelle, ökonomische und soziale Herkunft“, erklärt van Uden. Ihre Schüler heißen Yusuf und Zehra, Lena und Jacqueline.
Viele von ihnen wollen reich und berühmt werden, orientieren sich an erfolgreichen Fußballern oder Youtubern. „Wir erklären ihnen, dass sie dafür erst mal in Bildung investieren müssen, das ist ihnen nicht klar“, sagt van Uden. Ihr ist wichtig, den Kindern nicht die Visionen zu nehmen. Aber dafür müssen sie hart arbeiten – und parallel einen Plan B oder C entwickeln.
Was so selbstverständlich klingt, ist es in diesen Familien nicht: „Da sind Kinder, deren Eltern sich längst aufgegeben haben, andere, die in der dritten Generation von Sozialhilfe leben oder jene, die sich nur mit vier Jobs über Wasser halten.“ Das Programm schaffe solidarische Strukturen. „Wir arbeiten an den Stärken und Fähigkeiten der Kinder, gucken uns aber auch bewusst deren Schwächen an. Ich kritisiere nicht die Persönlichkeit der Kinder, wohl aber deren Verhalten“, verdeutlicht van Uden.
Kinder, die sich selbst für „doof und chancenlos“ halten, seien oft schon früh verantwortlich, etwa für jüngere Geschwister. Solche sozialen Kompetenzen mache das Team sichtbar.
Das Programm vermittelt lebenspraktisches Wissen
Wichtig sei, dass sie nicht als Lehrer oder als notengebende, bewertende Personen agieren, auch wenn sie Teil des Schullebens sind. In einem Brief dankte eine der ehemaligen Schülerinnen, „Sie sind immer für uns Schüler da und behandeln uns wie ihre eigenen Kinder.“
Und denen muss man halt auch erklären, wie man mit Handyverträgen umgeht oder was Knigge-Regeln sind. Lebenspraktisches sei in der Förderung genau so wichtig wie Mathe und Englisch oder ein Bewerbungstraining und wie man sich für so ein Gespräch kleidet, verdeutlicht van Uden.
Corona verstärkt die Perspektivlosigkeit
Corona schränkte vieles ein, aber die individuelle Unterstützung ließ sich per Whatsapp-Videoanruf gut weiterführen. Die Pandemie habe jedoch „die Perspektivlosigkeit verstärkt, weil Praktika oder Betriebsbesichtigungen nicht möglich waren, Eltern ihre Jobs verloren haben“, bedauert die pädagogische Leiterin des Programms.
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„Ich sage ihnen immer, seid weltoffen, zukunftsoffen!“ Früher habe man in einem Betrieb die Lehre gemacht und sei da auch in Rente gegangen, solche Lebenswege seien heute selten. Dafür geb es viele Berufe, die es vor zehn Jahren noch gar nicht gab. Die Jugendlichen seien gerade in der Pubertät sehr verletzlich und sensibel. Kuschelpädagogik dürften sie dennoch nicht erwarten, „ich habe die Zusammenarbeit auch schon beendet“. Für das Angebot, das für die Kinder kostenlos ist, müssen sie „mit Verbindlichkeit zahlen“.
Zuversicht vermitteln - auch mit der eigenen Geschichte
Schewa van Uden will Optimismus vermitteln, Zuversicht verbreiten – das tut sie mit Charisma, Energie – und mit ihrer eigenen Geschichte. Mit 15 flüchtete die Kurdin mit ihren Eltern aus dem Irak nach Deutschland, ihre Kindheit war von Krieg geprägt. In Duisburg besuchte sie das Mercator-Gymnasium und lernte parallel Deutsch bei der VHS, schaffte so das Abi und ein Studium der Sozialwissenschaften.
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Darüber will sie sich heute nicht mehr definieren, Duisburg ist für die quirlige Frau ihre „Herzstadt“, ihr Beruf Passion. Aber wenn es um Themen wie Demokratie geht, verweist sie schon auf ihre Erfahrung als Teil einer oppositionellen Familie in einem diktatorischen Regime, darauf, dass in anderen Ländern ein falsches Wort verhängnisvoll sein kann.
In Deutschland kann Schewa van Uden deutlich werden. Ihr wäre es am liebsten, wenn es das Programm als Regelangebot an allen Schulen gäbe, Anfragen gebe es viele. Es wäre auch eine Investition, die sich rentiert, weil die Absolventen autonom und selbstbestimmt leben können, „wo landen sie sonst? Im sozialen Netz“, verdeutlicht sie die Kostenspirale.
Solange das nicht so ist, erwartet sie von Lehrerinnen und Lehrern, dass sie verständnisvoller mit den Kindern umgehen und sich im Stadtteil ihrer Schule auskennen: „Lehrer können nicht alles selbst machen, aber sie können Hilfe vermitteln, das Netzwerk dafür ist riesig.“ Ein schöner Nebeneffekt des Programms: Auch die Absolventen werden zu Vorbildern und Botschaftern.
>>Weitere Infos:
- Für ihre Arbeit ist Schewa van Uden 2019 beim TalentAward Ruhr mit einem Sonderpreis der Stiftung TalentMetropole Ruhr ausgezeichnet worden. Das Programm befindet sich aktuell im zwölften Jahrgang, über 350 Jugendliche haben bereits teilgenommen.
- Im Sommer hat van Uden das operative Geschäft verlassen, begleitet das Programm noch fachlich und konzeptionell. Im Hauptberuf ist sie nun Team-Koordinatorin im Kommunalen Integrationszentrum.
- In der Kolumne „Das sagt das Lehrerzimmer“ schrieb sie einige Monate für die Zeit zu Fragen wie „Brauchen wir noch Noten?“