Duisburg. Mechthild Großmann warf sich im Lehmbruck Museum in Kafkas verstörende Strafkolonie. Nach der Lesung müssen sie und ihre Zuhörer durchatmen.
Tiefe rauchige Stimme, schwarze Löwenmähne und ausdrucksstarke Augen – so kennen viele TV-Zuschauer Mechthild Großmann, etwa aus dem ARD-Tatort Münster. Im Lehmbruck Museum war eine ganz andere Facette der Schauspielerin zu erleben. Sie las Franz Kafkas Erzählung „In der Strafkolonie“. Ein zutiefst verstörender Text, den sie mit Verve und subtilen Schattierungen auffächerte.
Anlass für die gemeinsame Veranstaltung mit dem Literaturbüro Ruhr ist die Installation „The Killing Machine“, die im Rahmen einer Werkschau des kanadischen Künstlerpaars Janet Cardiff & George Bures Miller zu sehen ist. Diese gespenstische Arbeit aus beweglichen Roboterteilen, Ton und Licht wurde unmittelbar von der 1914 entstandenen Erzählung inspiriert. Kafka berichtet darin detailliert eine perfide Folter- und Tötungsmaschine.
Mechthild Großmann liest Kafka im Lehmbruck Museum
Beschrieben wird die Maschine in einen euphorischen, technikverliebten Tonfall durch einen Offizier der Strafkolonie, der Richter, Folterer, Henker und Techniker in einer Person ist. Dieser erklärt den Apparat voller Begeisterung einem Forschungsreisenden und versucht, ihn auf seine Seite zu ziehen und seine Zustimmung zu ergattern.
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Mechthild Grossmann warf sich förmlich in diesen Text. Sie sprach mit ungewohnter Härte und Schärfe oder ließ die Stimme dunkel grollen, etwa wenn sie den Urteilspruch des Offiziers intonierte. Im nächsten Moment schien sie fast vor kindlichem Eifer bei der Beschreibung der brutalen Technik der Maschine zu bersten oder beinahe kalt den zwölfstündigen Folter- und Todesprozess zu beschreiben. Für die Selbstgerechtigkeit und Skrupellosigkeit des Offiziers fand sie ebenso feine Nuancen wie für sein einschmeichelndes Werben um die Sympathie des Reisenden.
Ihr Vortragsstil kitzelte zahlreiche Details aus Kafkas Text heraus und gab auch den Nebensträngen der Geschichte ihr Recht. Mechthild Großmann interpretierte Kafkas Erzählung, ließ aber der Phantasie der Besucherinnen und Besucher den Raum zu eigenen Assoziationen. Durch ihr Gefühl für Klangfarben, Pausen und den Rhythmus des Textes entwickelte ihre Rezitation einen beinahe musikalischen Charakter.
Ihr stimmlicher Fluss wurde zusätzlich intensiviert durch ihre Körpersprache. Wie Messer schnitten ihre Hände durch die Luft. Bisweilen schien sie hinter dem Tisch mit dem Manuskript größer und kleiner zu werden oder sie warf schwungvoll die Locken aus dem Gesicht. All das demonstrierte gutes Schauspielhandwerk, das keine Show war, sondern ganz im Dienst des Textes stand. Sie entfaltet einen Sog, in dem auch ein paar kleine Versprecher als unbedeutende Elemente weggespült wurden.
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Als der Offizier merkt, dass er den Forscher nicht von dem Folterapparat überzeugen kann, erreicht seine Besessenheit und Identifikation mit der Maschine den Höhepunkt. Er befreit einen Verurteilten, und tötet sich durch seinen Fetisch selbst.
Am Ende wirkt auch Mechthild Großmann wie weggerissen vom vorgetragenen Text. Sie scheint nur langsam in die Realität des Lehmbruckmuseums zurückzufinden. Auch ihr Publikum braucht einige Momente, um durchzuatmen. Erst dann bricht der Beifall los. Die Schauspielerin nimmt ihn mit einem Lächeln an und meinte dann: „Ich hätte Ihnen gerne eine andere Geschichte von Kafka vorgelesen.“ Schließlich ist so etwas wie eine Kafka-Spezialistin.
>> DAS IST MECHTHILD GROSSMANN
- Einem breiten Fernsehpublikum ist Mechthild Großmann als kettenrauchende Staatsanwältin aus dem Münster-Tatort mit Thiel und Boerne bekannt. Doch das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Werk der 1948 in Münster geborenen Schauspielerin.
- Rund 40 Jahre arbeitete sie als Nichttänzerin im Ensemble des Tanztheaters von Pina Bausch. Sie war an den Theatern in Bremen, Stuttgart, Bochum und Frankfurt engagiert und drehte zahlreiche Filme, unter anderen mit Rainer Werner Fassbinder.
- Außerdem unterrichtete sie an der Folkwang Universität Tanzgeschichte und Schauspiel. Als versierte Hörbuchsprecherin ist sie preisgekrönt und immer wieder geht sie auf Lesereise.