Duisburg.. Der Lifesaver von Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely machte die Brunnenmeile Königstraße komplett. Er war umstritten – und gewann die Herzen.


Die Stadtspitze wollte keine Eröffnungsfeier für die „Reizfigur“, die Künstlerin aber kam – und sei regelrecht begeistert gewesen, dass es ihren Figuren immer noch gelang, Proteste auszulösen, wie sich der ehemalige Direktor des Lehmbruck-Museums Prof. Dr. Christoph Brockhaus erinnert. Aber nachdem der Lifesaver-Brunnen von Niki de Saint Phalle (1930-2002) und Jean Tinguely auf der Kreuzung Königstraße/Düsseldorfer Straße am 27. August 1993 aufgestellt worden war, ebbte der Protest gegen den „Pleitegeier“ und das „bunt lackierte Riesenhuhn“ bald ab. Heute badet der Vogel in Sympathie, ist Treffpunkt und Wahrzeichen geworden.

Die Kosten brachten viele Duisburger vor 25 Jahren auf

Vor allem die Kosten brachten viele Duisburger vor 25 Jahren auf, wie Brockhaus sagt – nach dem auch heute noch funktionierenden Reaktionsschema, soziale Einrichtungen gegen Kunst auszuspielen. Die Stadtspitze allerdings „war richtig engagiert für Kunst im öffentlichen Raum und hatte einen hohen Anspruch.“ Der Museumschef betreute den beschränkten Wettbewerb für die Brunnenmeile auf der Königstraße. Kriterien für die Bewertung waren eine hohe Qualität der Werke, die nicht nur als Brunnen, sondern auch in Frostzeiten als Skulpturen überzeugen sollten; auch sollten verschiedene Stilrichtungen vertreten sein.

„Wir wollten einen Brunnen von Tinguely, dem Lehmbruck-Preisträger von 1976, für den König-Heinrich-Platz und einen von Niki de Saint Phalle für die Königstraße/Steinsche Gasse“, sagt Brockhaus. „Ich bin mit Konrad Schilling nach Basel zu Tinguely, dann zu Niki nach Paris gefahren“, erinnert sich Brockhaus an die Reise mit dem ehemaligen Kulturdezernenten. Nikis Atelierhaus habe voller Skulpturen gestanden, ihren großen Vogel habe die Künstlerin nur „Bird“ genannt.

Einmalig in Deutschland

Niki de Saint Phalle und der damalige Kulturdezernent Dr. Konrad Schilling bei der Vorstellung des Brunnens auf der Königstraße im Jahr 1993.
Niki de Saint Phalle und der damalige Kulturdezernent Dr. Konrad Schilling bei der Vorstellung des Brunnens auf der Königstraße im Jahr 1993. © Unbekannt | WAZ

„Dann kam Tinguely nach Duisburg, wir haben in einem Café an der Düsseldorfer Straße gesessen, und er sagte, seine Skulptur für die Stahlstadt Duisburg dürfe nicht so zart sein wie die in Basel, sondern robust“, schildert Brockhaus. Seine Idee habe er auf eine Papierserviette gezeichnet. Doch dabei blieb es, denn im August 1991 starb Tinguely. Der Schweizer Künstler hatte allerdings für den „Bird“ seiner Frau Niki bereits einen Sockel aus Fundstücken gebaut. Das Problem habe darin bestanden, diesen Sockel später auf die richtige Größe für Nikis Skulptur zu bringen, schildert Brockhaus. Fünf Meter hoch mit einer Spannweite von ebenfalls fünf Metern dreht er sich auf dem 2,20 Meter hohen Sockel. Als zweites Problem entpuppte sich, das man aus Kostengründen darauf verzichtet hatte, das Wasser in der Brunnenkammer zu entkalken. Seit der letzten Restaurierung 2016 strahlen die Farben wieder, aus den zahlreichen Düsen plätschert das Wasser, sich drehend blickt die Figur auf die Kunst und die Kulturorte in der Innenstadt.





„Niki war damals in einem sehr guten Zustand“, erinnert sich Brockhaus an die Begegnungen mit der Künstlerin, die viele Krisen durchlitten hat. „Es war ein freundschaftliches Verhältnis,“, die Künstlerin schenkte dem Lehmbruck-Museum sogar das Modell des Brunnens. „Der Witz war: Nachdem der Brunnen stand, verhallten die Proteste. Mir war damals vollkommen klar, dass er zu einem Wahrzeichen würde“, sagt Brockhaus.

Die mächtigste Nana

„In Verbindung mit dem herausragenden Kunstprojekt in den U-Bahn-Stationen ist Duisburg in Deutschland einmalig“, sagt Brockhaus. „Die U-Bahn-Stationen werden vorbildlich gepflegt“, lobt der frühere Museumschef. „Heute wäre es die Aufgabe der Stadt, sich um den Bestand zu kümmern.“

Die Figur gehört zu den von Niki de Saint Phalle seit 1964 geschaffenen Nanas: üppigen Frauenfiguren aus Draht und Textil, die später aus Polyester gefertigt wurden. Nana ist ein vieldeutiger französischer Begriff für eine selbstbewusste, zuweilen verruchte Frau. An die Duisburger Nana, diesem großen, mächtigen Vogel mit massiven Krallen, klammert sich Schutz suchend eine weibliche Figur. Diese in der typischen Nana-Manier der Künstlerin gestaltete weibliche Figur ist ein anonymes Wesen mit abgewandtem Gesicht, das in dieser Form an den antiken Ganymed erinnert, der durch Zeus in Gestalt eines Adlers auf den Olymp entführt wurde: „Wenn du das Fließen des Wassers hörst und siehst, lässt es deine Gedanken und Obsessionen verfliegen – es lässt dich die Uhrzeit vergessen und versetzt Dich in eine universelle Zeit. Der Brunnen schafft diese Dimension der Freude. Er erfrischt den Geist“, so Niki de Saint Phalle im 1999 erschienenen Buch „Stadtbild Duisburg“.

>>Vier Brunnen für 3,78 Millionen D-Mark

Die ersten Brunnen auf der Königstraße wurden 1983 und 1986 aufgestellt, finanziert von Sponsoren: der Brunnen von André Volten aus Edelstahl, genannt „Waschmaschine“, und die „Wassermühle“ von Otmar Alt.

Nach dem 1990/91 ausgeschriebenen Wettbewerb entschied sich die Jury der Bauen-Kommission für die Entwürfe von Ulf Hegewald, den Keramikbrunnen „Stadtbild“ an der Ecke Königstraße/Claubergstraße, und Thomas Virnichs „Schiffsmasken“ an der Königstraße/Kuhtor mit Hilfe der Stiftung DKM.

Der Löwenanteil für die Finanzierung der vier Brunnen kam aus der Landeskasse. Die Stadt war an den Kosten für den „Lifesaver“ von knapp 2 Millionen D-Mark mit zehn Prozent beteiligt. Diese Quote galt auch für die Gesamtkosten für alle vier Brunnen, die 3,78 Millionen D-Mark gekostet haben.