Hamborn. Andere Städte kämpften noch, doch in Duisburg-Hamborn endete der Krieg am 28. März 1945. Mechthild Wenzel war damals 16 Jahre und erinnert sich.
Als amerikanische Truppen am 28. März 1945 Hamborn erreichten, und den Duisburger Stadtteil einnahmen, bedeutete dies für die Einwohner das Ende von Zerstörung und Krieg vor ihrer Haustür. Mechthild Wenzel hat als damals 16-Jährige das Kriegsende vor 75 Jahren im Röttgersbachviertel hautnah miterlebt.
Noch heute erinnert sich die 91-jährige sehr genau an den Tag, als die Amerikaner Hamborn einnahmen. Mit Sicherheit kann sie zwar nicht mehr sagen, ob dies am Dienstag, 27. März, oder am Mittwoch, 28. März, gewesen war. Doch der Hamborner Heimatforscher Hans-Joachim Meyer hilft ihr dabei und datiert ihre Schilderungen auf den 28. März, da erst dann US-Soldaten in Hamborn einmarschiert seien.
Im Folgenden berichtet Mechthild Wenzel, wie sie als junge Frau den Tag erlebt hat, an dem in Hamborn die Alliierten über die Nazis siegten.
Trommelfeuer kündigte Einmarsch der Amerikaner an
Bevor die Alliierten Hamborn erreichten, hätte der Stadtteil bereits wochenlang unter Granatenbeschuss gestanden, erinnert sie sich. „Auch in der Nacht des 27. März 1945 hörten wir seit den Abendstunden anhaltendes Trommelfeuer“, sagt sie. Daraus hätten sie und ihre Familie – ihre Eltern, zwei ältere Schwestern und ein jüngerer Bruder – geschlossen, dass die Alliierten gerade den Rhein überquerten. Wie bereits in den Wochen zuvor, schlief die Familie im Keller, als gegen fünf Uhr morgens jemand an die Kellertür klopfte: „Gleich sind die Amerikaner da.“ Daraufhin hätte sich alle rasch angezogen, berichtet Wenzel, die damals noch ihren Mädchennamen Elspas trug.
„Plötzlich standen auf unserem Hof etwa 20 bis 30 Soldaten. Es waren Volkssturm-Männer und sie ließen die Köpfe hängen und sahen ziemlich müde und traurig aus.“ Die deutschen Soldaten seien mit dem Befehl gekommen, sich in den Feldern hinter den Häusern an der Röttgersbachstraße – der heutigen Herrenwiese – in Löcher einzugraben. Daraufhin sei ihr Vater in den Hof gegangen. Er gehörte nicht der Wehrmacht an, weil er im Ersten Weltkrieg eine Hand verloren hatte. „Mein Vater hat die Männer dann händeringend beschworen, den alliierten Soldaten keinen Widerstand zu leisten. Er glaubte nämlich, dass die Alliierten, wenn auch nur ein einziger Schuss von deutscher Seite fiele, zuerst unser Wohngebiet in Schutt und Asche legen und dann weiter vorrücken würden.“
Deshalb habe er den Soldaten geraten, ins Haus der Familie Elspas, eine dreistöckige Doppelhaushälfte an der Röttgersbachstraße 114, zu gehen und abzuwarten. Diesem Rat seien die Soldaten nur zögerlich gefolgt, erinnert sich Wenzel, hätten von ihrer Mutter aber dann Malzkaffee gekocht bekommen.
Granatensalve tötete ihre Cousine
„Als dann die ersten Granaten in den Feldern hinter unseren Gärten einschlugen, saßen die Soldaten in unserem Haus auf allen Treppen bis hinauf zum Speicher“, berichtet die Zeitzeugin. Ein Soldat, der den Befehl befolgt habe, sich in den Feldern einzugraben, sei bei einer ersten Granatensalve sofort ums Leben gekommen. Auch ihre Cousine, die ein paar Straßen weiter lebte, sei durch eine Granate getötet worden: „Als sie mit einem jungen Mann Milch holen ging, schlugen Granaten ein, woraufhin alle in die Keller gegangen sind. Meine Cousine merkte aber, dass ihr Begleiter fehlte. Also ist sie nochmal nach draußen gegangen, um nach ihm zu schauen. Dabei wurde sie von der nächsten Granate getroffen und war sofort tot.“
An die Atmosphäre während des Beschusses erinnert sich Wenzel ganz genau: „Nachdem noch weitere Einschläge gefolgt waren, blieb eine Weile alles ruhig. Es war aber eine ganz angespannte Ruhe.“ Dann seien eine Handvoll US-Soldaten leise und fast ängstlich in den Hof gekommen, während ihre Eltern am Kellereingang standen. „Einer der Amerikaner hielt meinem Vater eine Pistole vor die Brust. Meine Mutter schrie und mein Vater riss die Hände hoch.“ Daraufhin ging auch der erste deutsche Soldat mit erhobenen Armen aus dem Keller und die anderen folgten zögerlich. „Die haben ja nicht gewusst, was sie erwartet“.
Es herrschte eine Atmosphäre der Erleichterung
Die Soldaten hätten ihre Waffen abgeben müssen und unter den Apfel- und Birnenbäumen in dem Garten hätten sich die Gewehre und Handgranaten gestapelt. „Dann herrschte aber auf allen Seiten eine Atmosphäre der Erleichterung“, betont die Hambornerin.
Nachdem die Amerikaner die deutschen Soldaten festgenommen hätten, seien sie ins Elternhaus der damals Jugendlichen zurückgekehrt, um nachzusehen, ob alle Bewohner und Soldaten draußen waren. „Bis alle abgezogen waren, gingen wir auf die Straße und sahen, dass die Nachbarn weiße Tücher aus den Fenstern gehängt hatten.
Amerikanische Soldaten wollten den jüngeren Bruder festsetzen
Am Abend des 28. März 1945 seien dann die Amerikaner durch alle Häuser in Röttgersbach gegangen und hätten alle Männer zusammengezogen. „Sie wollten auch meinen Bruder, der erst 13 Jahre alt war, mitnehmen. Ich schrie immer wieder: ,Please, he is a boy!’“, und die US-Soldaten hätten ihn laufen lassen.
Aus heutiger Sicht ist sich die Mechthild Wenzel sicher, dass sie in Hamborn im Vergleich zu anderen Orten, großes Glück während der Eroberung hatten: „Wir waren befreit vom Bomben- und vom Naziterror und es war die Geburtsstunde einer 75-jährigen Friedenszeit.“
>> Ein Zahnarzt übergab den Stadtteil an die amerikanische Armee
Während das Nazi-Blatt „Völkischer Beobachter“ noch am 30. März 1945 von „erfolgreichen Gegenangriffen“ und einer „großen Schlacht im Westen“ sprach, ruhten die Gefechte des Zweiten Weltkrieges in Duisburg-Hamborn bereits seit dem 28. März 1945. „Nachdem die alliierten Truppen am 24. März den Rhein bei Orsoy überquert haben, sind sie über Wesel und Walsum Richtung Hamborn marschiert“, sagt der Hamborner Heimatforscher Hans-Joachim Meyer.
och schon bevor die Truppen Hamborn erreichten und einnahmen, hätten sie Kontakt mit dem Stadtteil aufgenommen: „Die Amerikaner haben damit gedroht, Hamborn zu bombardieren, falls sich die deutschen Truppen vor Ort nicht ergeben würden“, erklärt Meyer.
Die deutschen Soldaten erkannten die aussichtslose Situation
Daraufhin habe NS-Ortsgruppenleiter Heinrich Tenter den Luftwaffenoberst May dazu gebracht, mitsamt der Soldaten Hamborn zu verlassen. Doch bevor die Deutschen den Rückzug antraten, habe Oberst May noch den Befehl gegeben, das Telefonamt zu sprengen, das sich an der Goethestraße befand, im Gebäude des Postamts. „Die deutschen Soldaten haben diese ausweglose Situation erkannt und haben Hamborn verlassen. Dennoch wollten sie den Amerikanern nichts überlassen“, sagt Meyer.
Am 28. März 1945 erreichten amerikanische Truppen schließlich den Duisburger Stadtteil. Auf der Weseler Straße sei ihnen der Zahnarzt Dr. Max Tritschler mit weißer Fahne in der Hand entgegengelaufen und habe Hamborn an sie übergeben.
Ostern war für die Hamborner wie eine innerliche Befreiung
In den ersten Tagen nach dieser Kapitulation seien die siegreichen amerikanischen Soldaten durch den Stadtteil gezogen und hätten auf den Straßen Bekanntmachungen verlesen. „Es wurde zum Beispiel eine Ausgangssperre für die Hamborner zwischen 18 Uhr und 8 Uhr morgens verhängt“, sagt Meyer. In den Abendstunden überprüften amerikanischen Soldaten, dass sie eingehalten wurde: „Das ging so weit, dass auch Häuser durchsucht wurden.“
Andererseits seien die ersten Tage nach Kriegsende in Hamborn von einer Ruhe geprägt gewesen, die es lange nicht gegeben hatte: „Auch der Fliegeralarm, der in den Wochen und Monaten zuvor, die Menschen häufig aufgeschreckt hat, war nicht mehr zu hören“. Eine Art innerliche Befreiung sei Ostern gewesen, erläutert er weiter, denn am Ostersonntag, der auf den 1. April 1945 fiel, seien die Menschen in die Kirchen geströmt, und konnten das erste Mal wieder ohne Angst gemeinsam beten und innehalten. Die meisten Ostermessen mussten dabei allerdings ohne Glockenläuten auskommen: „Viele der Hamborner Kirchenglocken wurden bereits 1942/43 eingeschmolzen, um daraus Kriegswaffen und Munition herzustellen“, sagt Meyer.
6700 Menschen aus Hamborn kamen ums Leben
Doch nach Ostern sei für viele Hamborner die Suche und das bitterliche Warten auf Angehörige weitergegangen. Denn: Nach Schätzungen seien während des Krieges etwa 6700 Menschen aus Hamborn ums Leben gekommen. Während Familien teilweise nach Jahren der Nachkriegswirren wiedervereint worden seien, weiß Hans-Joachim Meyer, hätten andere Familien und Angehörige vergeblich gewartet.