Duisburg.. Der Soziophysiker Professor Dirk Helbing hält den Begriff „Massenpanik“ im Zusammenhang mit dem Loveparade-Katastrophe für irreführend. Seiner Studie zufolge war die Ursache „keine wild gewordene Menschenmenge“, sondern die zu große Dichte von Menschen.

Im Zusammenhang mit dem Unglück der Loveparade, bei dem am 24. Juli 2010 an der Karl-Lehr-Straße 21 Menschen starben, Hunderte verletzt und viele traumatisiert wurden, ist bis heute meist von Massenpanik die Rede. Professor Dirk Helbing hält das für den falschen Begriff. In einer Studie hat der Soziophysiker das öffentlich zugängliche Daten- und Videomaterial analysiert und kommt zu einem anderen Fazit: Die Tragödie geht nicht auf eine Massenpanik zurück, sondern auf ein Phänomen, das Helbing als „Massenbeben“ bezeichnet.

Der 37-jährige Helbing, der seit 2007 Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich ist, hat insbesondere auf Material in einschlägigen Internet-Plattformen zurückgegriffen und zahlreiche Amateuraufnahmen chronologisch geordnet. „In den Filmen sieht man, dass die Ursache der Katastrophe keine wild gewordene Menschenmenge war“, so Helbing. Die meisten Menschen hätten insgesamt vernünftig gehandelt, als sie versuchten, einen Weg aus dem Gedränge zu finden.

Dichte führte zu Dominoeffekt

Professor Dirk Helbing aus Zürich.
Professor Dirk Helbing aus Zürich. © Unbekannt | Unbekannt

Die Ursache, so Helbing, sei schlicht die zu große Dichte von Menschen im Eingangsbereich des Festival-Geländes gewesen. Wenn immer mehr Menschen auf einen begrenzten Raum strömen, berühren sich ihre Körper, kommt es zu unbeabsichtigten Bewegungen, die sich wie eine Welle fortsetzen. Stolpert jemand, kann es zu einem Dominoeffekt kommen: Menschen fallen übereinander. „In den Videos sieht man, dass der ganze untere Bereich der Eingangsrampe davon betroffen war“, so Helbing. Panisch rücksichtsloses Verhalten habe es nur von wenigen gegeben - und erst in der allerletzten Phase.

Ermittler warten noch immer auf das Gutachten


Knapp zwei Jahre nach der Tragödie wartet die Staatsanwaltschaft Duisburg immer noch auf das abschließende Gutachten des britischen Wissenschaftlers
Keith Still
. Ein Termin sei noch nicht avisiert, so die knappe Auskunft der Behörde.

„Das Problem mit dem Begriff Massenpanik ist, dass damit der Masse eine Mitschuld übertragen wird“, glaubt Helbing. Das erschwere, „dass aus den Ereignissen die erforderlichen Lehren gezogen werden, welche die Sicherheit künftiger Massenveranstaltungen erhöhen“. In Duisburg hätten organisatorische Probleme zum Gedränge geführt, Maßnahmen zur Bewältigung der Situation nicht zuletzt aufgrund von Kommunikationsproblemen nicht gegriffen.

Seine Studie, so der Wissenschaftler, habe er ohne öffentlichen Auftrag unternommen. „Ich wollte einen Beitrag zur Aufklärung leisten“, so Helbing, der seit 20 Jahren Menschenmengen erforscht und führender Experte auf dem Gebiet ist. „So etwas darf nie wieder passieren.“