Duisburg/Berlin..
Das DFB-Pokal-Finale ist nie nur Fußball. WAZ-Redakteur Thomas Richter hat sich an diesem Endspiel-Wochenende in der Hauptstadt unter das Duisburger Fußball-Volk gemischt – und traf auf Menschen, Biere, Sensationen.
Das DFB-Pokal-Finale ist nie nur Fußball. Nein, seine unvergleichliche Faszination und Strahlkraft bezieht es vor allem aus den Stunden vor dem Kick. Dann, wenn die Bundeshauptstadt wieder einmal vor Fans überquillt. Diesmal dominierten Blau und Weiß. MSV gegen Schalke eben. WAZ-Redakteur Thomas Richter hat sich an diesem Endspiel-Wochenende unter das Duisburger Fußball-Volk gemischt – und traf auf Menschen, Biere, Sensationen.
Freitag, 20.06 Uhr: Der Spontantreff der MSV-Fans am Brandenburger Tor ist ein Knüller. Auch Marc und Denise Neumann aus Neukirchen-Vluyn zählen zu jenen rund 2000 Anhängern, die den Pariser Platz erobern. „Wir haben im Internet vom Flashmob erfahren und wollten unbedingt dabei sein“, sagen die Neumanns. Töchterchen Melina ist aber noch zu jung, um ihr erstes Endspiel vor Ort mit zu erleben. Deshalb ist sie daheim bei Oma geblieben. Aber natürlich zieht sie zum Finale ihren Zebra-Strampler an.
Freitag, 20.08 Uhr: Einige Unbelehrbare zünden Feuerwerkskörper, gefährden die Umstehenden. Dann setzt ein Regenschauer ein. Die Feuerwerker suchen Schutz unterm Brandenburger Tor. Merke: Auch unter dem schönsten Tor steht manchmal ein zündelnder Tor.
„Auswärtssieg!“
MSV-Fans in Berlin
Freitag, 20.47 Uhr: Joerg Wind und Martin Franken sind MSV-Fans aus Mülheim. Sie sind mit ihrer Fußball-Mannschaft unterwegs. Doch die Gruppe teilte sich mit Ankunft in Berlin auf. Kein Wunder: Die eine Hälfte ist MSV-Fan, die andere hält zu Schalke.
Freitag, 20.50 Uhr: Die Sonne kommt zurück und zaubert einen Regenbogen an Berlins zauberhaften Abendhimmel. Ist das etwa der Vorbote für Duisburgs Weg hinauf in den Fußball-Olymp?
Samstag, 10.30 Uhr: Ein blauer Bus fährt über die Schillingbrücke im Osten der Stadt. Was ihn von einem normalen Stadtrundfahrt-Gefährt unterscheidet? Dass auf der Frontscheibe ich dicken Lettern „Auswärtssieg!“ prangt. Und wer gibt so kühne Prognosen ab? Das ist hinten auf den Bus aufgedruckt: die Alten Herren des TuS Mündelheim.
Samstag, 12.16 Uhr: Frank Halama und Sohn Daniel haben es sich bei wolkenlosem Himmel im Biergarten des „Schleusen-Krug“ gemütlich gemacht. Der Zoologische Garten ist nur eine Toresbreite von hier entfernt. Die Plätze im Schatten sind ein rares Gut. Vater und Sohn haben dennoch einen erobert. Beide geben heute ihre Endspiel-Premiere. „Ich bin beruflich oft im Ausland unterwegs, konnte deswegen kaum ein MSV-Spiel sehen“, erzählt Vater Frank. „Ich habe dafür fast alle Spiele gesehen und meinen Vater immer per SMS über die Spielstände informiert – egal, wo er war“, sagt Daniel. „Uns gefällt die freundschaftliche Atmosphäre hier. Wir sind auch schon mit ganz vielen Schalke-Fans ins Gespräch gekommen“, wundern sich beide.
12.42 Uhr: Wenn ganz Berlin der Körper des Pokalfinales ist, dann ist der Ku’damm dessen Herz. Hier pulsiert das Fußball-Fan-Leben. So heftig, wie nirgendwo sonst. Der „Alt-Berliner Biersalon“ ist aber fest in Schalker Hand. Das gilt auch für den Breitscheidplatz vor der Gedächtniskirche. Die ersten Schlachtengesänge werden angestimmt. Bier strömt in rauen Hektoliter-Mengen. Erste Vertreter aus beiden Fan-Lagern spielen in punkto Promille-Gehalt bereits in der Champions League.
Samstag, 12.46 Uhr: André Kreienberg und Holger Oberheid sind gerade mit dem ICE angekommen. Sie waren bereits vor 13 Jahren mit dabei, als der MSV zum bis dato letzten Male im Finale stand und unglücklich mit 1:2 gegen den FC Bayern verlor. Welche Erinnerungen haben sie an dieses Spiel? „Hauptsächlich Kopfschmerzen“, sagen beide. Denn der Alkohol floss damals so kräftig, dass sie vorm Olympiastadion liegend eingeschlafen sind. Zum Glück wurden sie rechtzeitig geweckt. „Das soll uns nicht noch einmal passieren“, sagt Kreienberg, dessen Vater und Onkel einst für die Meidericher kickten. Nach einer Prognose gefragt, antworten beide wie aus der Pistole geschossen: „Sieg!“ Aber der Huntelaar ist doch bei den Schalkern wieder fit. „Gerade das ist doch unsere Chance“, sagen die beiden und lachen.
Samstag, 13.10 Uhr: Nicht nur Spieler sind Fußball-Fans, sondern auch Schiedsrichter. Daniel Schachner und Jens Laux gehören zu jener Gruppe Referees, die im Kreis 9 (Duisburg, Mülheim, Dinslaken) pfeifen. „Der MSV hat unserer Gruppe geholfen, um an Endspiel-Karten zu kommen“, erzählt das Duo, das nicht nur selbst Spiele leitet, sondern sich auch in der Ausbildung der Nachwuchs-Schiedsrichter engagiert. „Klar, dass wir mit einem Auge auch auf die Leistung des Schiedsrichters schauen“, sagt Laux. Mal sehen, wie der prominente WM-Schiri Wolfgang Stark heute pfeifen wird.
Chillen am Spree-Strand
Samstag, 13.40 Uhr: Die Brüder Matthäus und Robbie Gliksmann sind gerade angekommen. Der 28-jährige Matthäus sitzt im Rollstuhl und ist „sooo glücklich“, dass er eine Finalkarte bekommen hat. Wolfgang Möhring vom „Rolli- und Behindertenfanclub“ des MSV hatte ihm dabei geholfen. „Egal, wie das Spiel heute ausgeht: Die Jungs haben eine tolle Pokalsaison gespielt“, sagen die beiden Brüder aus dem Dellviertel.
Samstag, 14.31 Uhr: Das „The Box at the Beach“ ist der offizielle Treffpunkt für die Duisburger Anhängerschaft. Hier, am Ufer der Spree, lümmeln sie sich in Liegestühlen, auf Bierzeltgarnituren oder im weichen Sand. Viele tragen eine Papp-Krone in Weiß-Blau zum Zusammenstecken, die Duisburgs berühmteste Brauerei am Eingang hat verteilen lassen. Kurios: Freie Liegen werden hier nicht wie auf Mallorca per Handtuch reserviert, sondern mittels abgelegter Fanschals. Michael Stark (49) und Fabian Müller (34) genießen ihren Luxusblick von der ersten Reihe des Flussufers auf die Spree. Sie sind mit einer Gruppe aus Walsum und Dinslaken hier. Viele von ihnen haben selbst eine Dauerkarte oder kennen ein Klubmitglied. „So sind wir problemlos an Tickets gekommen“, erzählen sie. Die ganze Atmosphäre in Berlin erzeugt bei Müller eine dicke Gänsehaut. „Das Lustige ist, dass uns alle Leute von hier ansprechen und fest die Daumen drücken. Denn die Berliner mögen die Schalker überhaupt nicht.“
Samstag, 14.35 Uhr: MSV-Teammanager Bruno Hübner bahnt sich ebenso den Weg durch die Fanmassen am Fluss-Strand wie Zebra-Legende Joachim Hopp. Auch sie wollen einmal ein Bad in diesem Meer aus MSV-Jüngern nehmen.
Samstag, 16.04 Uhr: Viele MSV-Fans sind von den Strapazen des bisherigen Tages reichlich erschöpft. Deshalb chillen manche von ihnen nun auf der „Capt’n Schillow“. Das ist ein Restaurant-Schiff, das am Ufer des Landwehrkanals vor Anker liegt. Warum es eine solche Faszination auf die MSV-Fans ausübt? Vielleicht, weil es komplett in Weiß-Blau gestrichen ist...
Samstag, 16.10 Uhr: Zurück zum Beachclub. Der leert sich langsam aber sicher. Die ersten brechen in Richtung Stadion auf. Frank Jarzina ist mit seinen Fußball-Kollegen vom FC Taxi Duisburg aber noch da. „Es ist unfassbar , wie viele alte Schulkollegen ich hier getroffen habe“, erzählt der Absolvent des Steinbart-Gymnasiums. Eine Karte hatte er sogar über. Die hat er an eine Freundin aus Berlin verschenkt. Und warum hat er sie nicht für gutes Geld an einen Schalke-Fan verkauft? Da lacht Jarzina und antwortet mit einem Augenzwinkern: „Da hätte ich sie eher zerrissen!“
Der MSV ist trotzdem ein großer gewinner - trotz der Niederlage
Samstag, 17.25 Uhr: Aufbruch zum Stadion. Die S-Bahnen sind praller gefüllt als Sardinenkonserven. Dafür fahren sie im Drei-Minuten-Takt. Als Ruhrgebiets-Bürger könnte man ob dieser Frequenz neidisch werden. Es wird viel gesungen. Aber auch hier ist die Grundstimmung eine erfreulich friedliche. Gut so!
Samstag, 18.20 Uhr: Der Stadion-Vorplatz ist in seinen Ausmaßen gigantisch. Tausende Menschen wuseln hier in Richtung Einlasstore. Der in Duisburg geborene Fritz Pleitgen, früherer WDR-Intendant und Kopf der Geschäftsführung der Kulturhauptstadt Ruhr 2010, eilt an der Seite von ARD-Mann Uli Deppendorf durch die Massen. Beide in Maßanzug. Beide mit einem Plastikkärtchen als Eintrittsberechtigung ausgestattet, das an einem Halsband baumelt. Manche MSV-Fans erkennen Pleitgen, einer spricht ihn sogar an. Doch alle wollen nun hinein.
Samstag, 21.40 Uhr. Das Spiel ist ebenso einseitig wie längst entschieden. Doch in der Gewissheit der sicheren Niederlage knicken die MSV-Fans emotional nicht ein oder strafen ihre Lieblinge gar mit Schweigen. Nein, sie erheben sich alle (!) ab Spielminute 80 von ihren Sitzplätzen, zeigen mit einer Mischung aus Stolz und Trotz ihre Schals und singen aus dem Brustton der Leidenschaft: „Wir sind Zebras weiß-blau, unser Klub der MSV. Und wir stehen für Euch immer hier!“ Ein Moment zum Niederknien. Ein Moment, der berührt. Ein Moment, der auf ewig im Gedächtnis bleibt. Trotz dieses 0:5. Selbst die Schalker erkennen die Größe dieser Reaktion an und applaudieren den Duisburger Fans. Eine große Geste – hier wie dort.
Und das ist das Wunderbare am Fußball: Selbst die dunkelsten Stunden und die schlimmsten Niederlagen können große Gewinner gebären. Und das waren in diesem Pokal-Finale 2011 eindeutig die MSV-Fans.