Duisburg. In der Duisburger Florida Table Dance Bar an der Mercatorstraße sind die Frauen trotz Nackheit meistens an der Macht - und tanzen nach ihren eigenen Regeln.
Hinter den automatischen Türen der Florida Table Dance Bar in der Mercatorstraße, auf denen sich die Umrisse einer Frau lasziv räkeln, beginnt eine andere Welt. Tritt man davor, öffnen sie sich und geben eine schmale Treppe nach unten frei. In dem kleinen Gewölbe mit den schwarzen Wänden, Spiegel, Spiegel und noch mal Spiegel, mit Lichterketten umrahmt, deren Licht immer wieder reflektiert wird. Wencke Myhre singt von einem knallroten Gummiboot, kurz danach wünscht sich über die Lautsprecher Mickie Krause zehn nackte Friseusen „mit richtig feuchten Haaren“.
Eine Art Schrein ist in einer Ecke am Treppenabgang aufgebaut, unzählige Fotos von Menschen, die ihre Köpfe zusammenstecken und mit viel Zähnen in die Kamera lächeln. Oft ist der Besitzer der Table Dance Bar Florida, Marko Herbener, mit auf den Fotos zu sehen. Unter den Bildern auf einem Tisch steht ein handlicher Glasquader mit einem eingelaserten dreidimensionalen Bild, wie es ihn auf Jahrmärkten zu kaufen gibt. Auch hier: der Kopf von Marko Herbener. Neben dem Quader steht eine männliche Barbie-Puppe, die auch aussieht wie Herbener, unter einer Art Glasschneekugel. „Haben mir die Mädels geschenkt“, sagt er. Ein gewisser Stolz klingt in seiner Stimme mit und sofort lacht er verlegen.
"Natürlich ist das hier eine Scheinwelt"
Herbener sieht aus, wie, nun ja, man sich gemeinhin den Inhaber einer Table Dance Bar vorstellt: Unter dem weißen langen Nietensakko mit der schwarzen Glitzerhose trägt er ein weit geöffnetes Hemd, über der solariumsgebräunten Brust hängt schwerer Schmuck, ein Kreuz und ein Medaillon. Seine langen Haare sind im Nacken zu einem dünnen Zopf geflochten, an nahezu jedem Finger trägt er große Ringe der verschiedensten Formen, in seinen Händen ein vergoldetes I-Phone, mit Glitzersteinen besetzt.
„Natürlich ist das hier eine Scheinwelt“, sagt Kira, eine schlanke Schneewittchenschönheit, deren Mund mehrere Piercings zieren und den immer ein leichtes Lächeln umspielt. Das würden die Gäste aber auch so wahrnehmen. „Wir haben einen Stammgast, der sagt, das hier wäre seine Ruheinseln, wo er von der Welt abschalten kann“. Kira ist eine von vier Frauen, die hier heute Abend tanzen werden.
In schummerigen Licht, zu oftmals völlig tanzuntauglicher Party-Schlager-Musik, in teils atemberaubend artistischer Manier, über Kopf hängend und die Tanz-Stange in die Kniekehle geklemmt, sich drehend, im Wechselspiel mit dem Publikum und dem eigenen Spiegelbild. Zuerst nur leicht bekleidet, um sich um die Stange drehend nach und nach mehr zu entkleiden, bis sie völlig nackt sind. Lasziv? Schon. Erotisch? Ansichtssache. Schön anzusehen und beneidenswert sportlich? Auf jeden Fall.
Als weiblicher Besucher der Table Dance Bar bewegt eine Frage: Ist das nicht unangenehm, unbekleidet angestarrt zu werden? „Mir kann keine Frau erzählen, dass es ihr nicht gefällt, wohlwollend betrachtet zu werden“, sagt Kira selbstbewusst und kurz fragt man sich, ob ihr Bild des Publikums sind ein wenig zu positiv ist. Außerdem würde man beim Tanzen oft von den Gästen gar nicht so viel mitbekommen, weil die Bühne erhöht ist. „Was man sieht, ist sich selbst im Spiegel“, sagt die Tänzerin. Das ändert sich, wenn die größtenteils männlichen Gäste den Tänzerinnen „Dollars“ zustecken wollen.
"Dollars" sind direktes Trinkgeld für Tänzerinnen
Diese sind in Plastik einlaminiert und können für zwei Euro erworben werden. Die “Dollars“ sind direktes Trinkgeld für die Tänzerinnen. Und auch sonst verdienen sie „sehr gut“, wie Herbener sagt, der eine genaue Summe nicht nennen möchte: „Aber wenn die hier nicht ordentlich verdienen würden, wären sie wohl nicht hier“. Die Frauen sind Freiberuflerinnen, Herbener ist in keinster Weise „weisungsbefugt“. „Die kommen, wann sie möchten und tanzen, wie sie möchten - die machen generell alles so, wie sie es für richtig halten und das ist auch gut so“. Das hätten die Tänzerinnen auch schriftlich, dass er ihnen nichts vorzuschreiben habe - er könne nur sagen, dass jemand bei ihm nicht mehr tanzen darf.
Der Eintritt liegt bei zehn Euro, die Getränke, egal ob Bier, Wasser oder Cola, bei sechs Euro.
Viele Stammgäste
„Wir haben sehr viele Stammgäste, gerade unter der Woche“, erzählt Herbener. Dazu kämen Geschäftsreisende, die zum Beispiel für Messen nur kurz in der Stadt seien - und natürlich die obligatorischen Junggesellenabschiede am Wochenende. Werbung für sein Etasblisment zu machen, sei schwierig: „Am Anfang wollte ich Prospekte in den Hotels auslegen, die wollten aber mit Table Dance nichts zu tun haben - mittlerweile melden die sich aber von sich aus bei mir, weil die Gäste fragen“.
Die Bar habe sich etabliert - und das vor allem durch positive Mundpropaganda. Aber natürlich gebe auch immer noch Gästen, die nicht im Florida erkannt werden möchten: „Wir haben hier oft Anwälte oder Zahnärzte als Gäste, die kommen nur wirklich rein, wenn sonst kaum jemand da ist“, erzählt Herbener. Die Furcht sei wohl zu groß, von Klienten oder Patienten gesehen zu werden, sagt er. „Ich gewisser Weise kann ich das schon verstehen - ich würde auch nicht wollen, dass mein Zahnarzt hier bis 3 Uhr morgens den Mädchen beim Tanzen zuschaut und mir am nächsten Morgen eine Wurzelbehandlung verpasst.“
Mund-zu-Mund-Propaganda ist die beste Werbung
Die beste Werbung sei neben der Mund-zu-Mund-Propaganda der beeindruckend ausladende, metallic-orange Jeep, den Herbener fährt, auf dem Werbung für die Table Dance Bar aufgedruckt ist. „Mit dem war ich auf der Essener Motorshow, da hatten wir hier den Laden jeden Abend proppenvoll“, lacht er.
Heute Abend ist eine Gruppe von vier Jungs da, die allesamt nicht wesentlich älter als 18 Jahre aussehen. Sie sitzen am Bühnenrand und wedeln mit einzelnen Scheinen, als Szilvia tanzt. Die Tänzerin geht auf die Knie, beugt sich nach unten zu einem pummeligen Jungen, weist ihn an, den Schein in den Mund zu nehmen und drückt mit ihren Oberarmen ihre Brüste zusammen und hält sie ihm ins Gesicht - er lässt den Schein fallen und wirkt leicht überfordert. Die „Geldübergabe“ klappt erst beim dritten Versuch. Später wird sie einem seiner Kumpels erlauben, ihren Slip hervorzuziehen, um einen Geldschein zu zu versenken. Aus dem Blick eines unkritischen weiblichen Besuchers wirkt das ein wenig wie ein Spiel, bei dem die Frauen die Regeln bestimmen und bei denen sich die Männer freiwillig lächerlich machen.
Nur ein paar Tänze später beachtet Kira einen Gast trotz Winkens mit Geldschein nicht.
„Es gibt einige Gäste, die sind eingeschüchtert“, sagt Kira, „gerade beim Private Dance versuchen wir die aus der Reserve zu locken, indem wir sagen „mein Bein darfst Du ruhig berühren“ - es gibt aber auch welche, denen wir Grenzen aufzeigen“. Der Private Dance findet in einem durch Stellwände abgetrennten, winzig kleinen Séparée statt, ein beleuchteter Tisch vor einem schwarzen Ledersofa. Es gibt eine von innen beleuchtete Dusche mit Sofa davor, für die Water Show-Variante des Private Dance.
In der Table Dance Bar herrschen klare Grenzen
Unerlaubtes Berühren wird von den leicht bekleideten Tänzerinnen sofort gemaßregelt: Als Szilvia zu späterer Stunde, nicht auf der Bühne tanzend sondern im Publikum stehend, von einem Gast am Po begrapscht wird, staucht sie ihn mit Worten regelrecht zusammen. Er scheint seinen Grenzübertritt einzusehen und entschuldigt sich. Szilvia wirkt zufrieden, die beiden geben sich zum Friedensschluss die Hand. „Die meisten Gäste sind sehr höflich und zuvorkommend“, sagt Kira und nennt als Beispiel, dass ihr sofort Feuer gereicht werden würde, wenn sie eine Zigarette zu Hand nimmt.
Durch Zufall Tänzerin
Sie ist durch Zufall ans Tanzen ins Florida gekommen. „Ich habe mit einer Freundin ihre erfolgreiche Abschlussprüfung gefeiert, und weil nichts mehr auf hatte in Duisburg, saßen wir im Bahnhofs-Mcdonald's und überlegten, wo wir noch was trinken könnten“, erinnert sich die junge Frau, „das Florida hatte als einziges noch offen.“ Sie habe sich mit den anderen Frauen unterhalten, fand es sympathisch, kam wieder zum Vortanzen - und blieb.
Das ist nur einige wenige Monate her. Das Tanzen an der Stange hat sie von den anderen Frauen und aus Videos aus dem Internet gelernt. „Youtube ist unser Lehrer“, lacht Shaleen, die anderen nicken. Sie trägt ein knappes Krankenschwester-Kostüm. Nur eine von vielen knappen Verkleidungen. „Klar, wir sind hier auch Schauspielerinnen, jedes Kostüm ist eine Rolle - genau wie jedes Mädchen einen eigenen Tanzstil hat“, sagt Shaleen.
Kummerkasten
Eine Rolle spielen - das ist auch ihre Aufgabe in den Gesprächen mit den Gästen abseits der Bühne. „Die Männer kommen hier mit ihren Problemen hin, wir sind ein Kummerkasten und hören zu“, sagt Eva und zuppelt ihren knappen Bikini auf der gebräunten Haut zurecht. Sie hat früher in einer anderen Stadt in einer anderen Bar getanzt, doch da habe ihr „die Arbeitsatmosphäre“ nicht so gut gefallen, hier sei es viel angenehmer, vor allem bei den Frauen untereinander.
SpezialEin gewisses Vertrauensverhältnis
„Klar denkst du da manchmal beim Zuhören - Du Arsch, was machst du für einen Scheiß - und sagst aber zu dem Gast mit zuckersüßer Stimme ‘Ich versteh dich total gut, blöde Situation, du Armer’“, Kira lacht und mimt ein verständnisvolles Gesicht. „Wir lügen die ja nicht direkt an - ich denke, die wissen sehr genau, dass unsere Reaktion nicht immer unserer ehrlichen Meinung entsprechen.“
Außerdem seien unsympathische Gäste eher selten. Eva meint, dass die Gäste das als Teil des Spiels im Florida akzeptierten und auch gut fänden: „Die wollen sich nur ausheulen und ein wenig Bestätigung erhalten - das bekommen sie und das ist ja auch völlig in Ordnung so“. Viele der Gäste würden sie schon lange kennen und hätten zu ihnen auch ein gewisses Vertrauensverhältnis, wenn es darum geht, Dinge zu erzählen. Nach persönlichen Dates außerhalb der Bar würden sie aber fast nie gefragt werden.
Tanzen für einen guten Zweck
Heute Abend wird 10-jähriges Jubiläum gefeiert, alle Einnahmen gehen, so Marko Herbener, an einen guten Zweck. Am Ende werden 1900 Euro zusammengekommen sein, die Herbener auf 2000 Euro aufrundet. Es ist prominenter Besuch gekommen: Der vor allem über Fernseh-Dokumentationen über das Rotlichtmilieu bekannt gewordene Bert Wollersheim steht nebst vollbußiger Gattin Sophia Vegas Wollersheim am Tresen - und wird sogleich von einem Junggesellenabschied bedrängt. Die jungen Männer tragen alle die selben weißen Hemden, auf deren Rückseite „Marcel’s JGA“ aufgedruckt ist. Die Wollersheims posieren bereitwillig für ein Gruppenbild, auf dem die dralle Blondine mit Abstand die Größte ist.
„Ihr gehört nach Monaco!“
Glaubt man Marko Herbener, tauchen im Florida öfters Frauen auf, nicht nur zu den Junggesellinnenabschieden, bei denen Männer eingebucht werden, um für die zukünftige Ehefrau nackt zu tanzen. „Hier waren mal zwei alte Damen, richtig schick, mit großen Hütten, wie auf einem Reitturnier“, erzählt Kira stolz, „die schauten sich unser Tanzen eine Weile an und sagten hinterher: Ach Mädchen, ihr seid so gut, was macht ihr in Duisburg? Ihr gehört nach Monaco!“.
Als Marcels Junggesellenabschied verschwunden ist, sind für eine kurze Zeit nur sehr wenige Gäste im Florida. Ein der Tänzerinnen geht nach Ende eines Liedes langsam von der Bühne, sie trägt die wenige Kleidung, die sie anhatte, in ihren Händen und nicht am Körper, auf ihrem Venushügel sind Strasssteine angebracht. Beim Gehen wird das Funkeln der Steine in den Spiegeln reflektiert.
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