Duisburg/Essen. Die Mitarbeiter der Ikea-Häuser in Duisburg und Essen waren zum Streik aufgerufen. Was die Gewerkschaft fordert. Und was Ikea darauf antwortet.
Die gravierenden Folgen der Digitalisierung erkennen und erklären – das braucht Zeit. „Es gibt da noch erheblichen Aufklärungsbedarf“, räumte Martin Petig ein. Er ist Gewerkschaftssekretär bei Verdi für den Handel Duisburg und Niederrhein. Für den Freitag hatte die Gewerkschaft die Beschäftigten der beiden Ikea-Häuser in Essen und Duisburg zum Streik aufgerufen.
Dabei geht es um den Anspruch auf Qualifizierung und einen Digitalisierungstarifvertrag. Doch vor dem DGB-Haus in Duisburg am Stapeltor herrschte gähnende Leere. Um 11.15 Uhr packten die Gewerkschafter ihre Sachen wieder zusammen. Nur etwa 40 Personen hatten sich ins Innere zurückgezogen, um zu diskutieren. Während Ikea-Beschäftigte in einem Tarifvertrag sind, kämpft Verdi für die 22 Duisburger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Smyths Toys darum, dass es überhaupt einen Tarifvertrag gibt.
Sonja Everts, Betriebsratsvorsitzende des Ikea-Hauses in Duisburg, hält eine Qualifizierung der 340 Beschäftigten für dringend geboten. „Wir müssen langsam erkennen, dass es ans Eingemachte geht“, erklärte sie. Man würde sich der Digitalisierung natürlich nicht verschließen, das könne man auch gar nicht. Aber es sei bei den immer dichter werdenden Arbeitsabläufen gar nicht mehr möglich, beispielsweise einen Kassierer zum qualifizierten Verkäufer auszubilden.
Das hat sich in der Corona-Pandemie für die Mitarbeiter von Ikea verändert
Die Digitalisierung im Haus habe durch Corona einen erheblichen Aufschwung erlebt. „Die ganze Arbeit von Click und Collect und Click und Delivery ist zu der bisherigen noch dazu gekommen“, berichtet Alfred Weinberger, der in der Logistik von Ikea arbeitet.
Das bedeute: Zu der Arbeit, die für die Kunden vor Ort in den Häusern geleistet werden muss, müssen noch die Kunden bedient werden, die Ware angeklickt haben und darauf warten, dass sie im Geschäft ausgehändigt wird. Bei Click und Delivery suchen sich die Kunden die Ware aus, die ihnen nach Hause gebracht wird. „Alles das gab es früher nicht“, sagt Weinberger. Aber viele seiner Kollegen sähen die Entwicklung nicht als Bedrohung an, die Arbeitsplätze wegrationalisiert und denen, die bleiben, immer mehr Arbeit aufbürdet. „Das ist wie bei Rauchern, die erklären, sie bekämen keinen Lungenkrebs“, vergleicht er.
Hinzu komme noch, erklärt Betriebsratsvorsitzende Everts, dass die Ikea-Beschäftigten quasi eine große Familie seien. „Man wird ordentlich bezahlt, ist mit allen per Du, hält zusammen und springt für den anderen ein, wenn zu viel Arbeit da ist.“ Gerade deshalb hätten viele Hemmungen, bei so so einem Arbeitgeber den Arbeitsplatz zu verlassen und zu streiken.
Bereits Streiks von Ikea-Mitarbeitern im Herbst 2021
Die Auswirkungen der Digitalisierung sei vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wirklich schwer zu vermitteln, weiß auch Martin Petig. „Wenn es darum geht, für Lohnerhöhung zu streiken oder für den Manteltarifvertrag, ist das deutlich einfacher, die Menschen zu mobilisieren. Denn dann geht es um Geld, Urlaub, Arbeitszeit oder Zuschläge. Darunter kann sich jeder etwas vorstellen.“
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Dann gingen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Straße, so wie im vergangenen Herbst. Da seien wegen der geforderten Lohnerhöhung bei den Streiks in unterschiedlichen Städten jeweils 3500 bis 4000 Arbeitnehmer auf den Straßen gewesen. Man habe einen großen Erfolg gehabt: Drei Prozent mehr haben die Beschäftigten jetzt im Geldbeutel. „Wir wollen, dass Ikea zurück an den Verhandlungstisch kommt“, betont der Gewerkschaftssekretär. Ikea aber sieht den Fall ganz anders gelagert.
Ikea Deutschland und die Mitarbeitenden hätten ein gemeinsames Ziel: Maximale Beschäftigungssicherung durch die Weiterentwicklung des Geschäfts und die Qualifizierung der Beschäftigten für eine erfolgreiche Zukunft des Unternehmens. „Dazu möchten wir mit unseren Betriebsräten eine Gesamtbetriebsvereinbarung schließen, die allen Beteiligten Sicherheit darüber gibt, wie wir unsere Weiterentwicklung gemeinsam gestalten“, erläutert Isolde Debus-Spangenberg, Pressesprecherin von Ikea Deutschland.
„Wir pflegen ein seit Jahren gewachsenes und von gegenseitigem Respekt geprägtes Verhältnis zu unseren Betriebsräten, die durch ein tiefes Verständnis unseres Geschäfts über eine entsprechend große Kompetenz verfügen.“ Man sei daher der festen Überzeugung, die besten Lösungen für den zukünftigen Erfolg von Ikea in Deutschland „im direkten Austausch mit unseren Betriebsräten zu finden.“
>>Ikea Deutschland möchte Gesamtbetriebsvereinbarung
- Ikea Deutschland verschließe sich nicht, Verhandlungen über Qualifizierung und Digitalisierung zu führen. Aber das Unternehmen möchte „eine Gesamtbetriebsvereinbarung“ schließen und deshalb mit den eigenen Betriebsräten verhandeln. Einer der Erfolgsfaktoren während der Pandemie sei die schnelle Anpassungsfähigkeit an die geänderten Kundenbedürfnisse und Einkaufsmöglichkeiten gewesen.
- Das habe die Arbeitsplätze gesichert und stabilisiert, so Ikea Deutschland. Immer noch seien in dem Unternehmen sehr viele Festangestellte, bestätigte die Betriebsratsvorsitzende des Duisburger Hauses, Sonja Everts. Ikea Essen hat rund 280 Festangestellte, Ikea Duisburg hat 340.