Dortmund. Dortmunds Theatermacher, Horst Hanke-Lindemann, hört auf. Fletch Bizzel, Geierabend und RuhrHOCHdeutsch sind seine Erfolgsgeschichten. Ein Interview zum Abschied.
Er hat das Fletch Bizzel gegründet, die Theaternacht ins Leben gerufen und er ist der Vater des Geierabends. Nun hat Dortmunds bekanntester Theatermacher auch sein letztes Projekt, das Festival „RuhrHOCHdeutsch“, an seine Nachfolger abgegeben. Im Interview blickt der 71-Jährige zurück auf seine größten Erfolge, seinen schwersten Kampf und verrät, welche Künstler auf der Dortmunder Kabarett-Bühne überhaupt nicht ankommen.
Glückwunsch, Herr Hanke-Lindemann, nach über 40 Jahren Arbeit für die freie Theaterszene in Dortmund wird Ihnen zum Abschied nun von den Kaufleuten der City-Ring verliehen. Was bedeutet Ihnen das?
Sehr, sehr viel. Das ist eine tolle Würdigung und eine Verpflichtung für die Zukunft. Aber ich sehe den nicht als Auszeichnung für mich, sondern für sehr viele Menschen. Der Erfolg der freien Theaterszene in Dortmund ist ja keine Einzelleistung, da waren viele dran beteiligt.
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Aber Sie ganz maßgeblich. Dabei war Ihnen das Theaterleben ja nicht in die Wiege gelegt. Sie hatten Chemielaborant gelernt, waren dann Taxi-Unternehmer...
Ja, das war Zufall. Eine Freundin hatte mich gefragt, ob ich nicht mitkommen könne, um die Technik zu machen. Aber dann war jemand ausgefallen und ich sollte einen Text einsprechen. Wir haben eine Szene im Auto gespielt und ich war sofort hingerissen. Ich wusste gleich: Das ist es.
War das schon in der Humboldtstraße?
Nein, Anfang der 80er haben wir noch in einem Dachboden in Dorstfeld gespielt, auf den man über eine steile Stiege klettern konnte. 140 Leute passten da rein. Da darf man heute gar nicht mehr drüber nachdenken. Wenn es da gebrannt hätte, wäre keiner rausgekommen. Aber damals war das cool, das war Underground.
Aber nicht auf Dauer...
Nein, wir mussten da raus, weil der Vermieter Stress machte. 1985 sind wir dann an der Humboldtstraße gestartet. Die Städtischen Bühnen wurden da gerade umgebaut, sie suchten eine Möglichkeit, in der Umbauzeit ihre Studioproduktionen zu spielen und haben sich ab dem ersten Tag bei uns eingemietet. Da vernetzte sich was, das war eine grandiose Zeit. Jeder musste alles machen, jeder einzelne war der Motor für das Weiterleben des Hauses. Und wir hatten ja nicht nur die Bühne, wir hatten auch die Galerie mit wechselnden Ausstellungen und später die Kulturwerkstatt. Mit dem Konzept waren wir sehr, sehr erfolgreich.
Haben Sie eine Erklärung dafür?
Die freie Szene war damals wie heute ein Labor für neue Formen. Wir sind zum Publikum gegangen, auf die Straße. Wir haben im U und in Industriehallen gespielt, lange bevor das angesagt war. Wir haben die Titanic schon auf dem Phoenixsee untergehen lassen, als das Projekt gerade erst beschlossen worden war. Man kann sagen: Wir haben dafür gesorgt, dass sich in Dortmund eine starke Theaterszene entwickelt hat – und damit übrigens auch Publikum fürs Stadttheater gewinnen können.
Einer Ihrer größten Erfolge war der Geierabend.
Ja, dabei ist der alles andere als erfolgreich gestartet. Bei der ersten Vorstellung 1987 hatten wir 25 Zuschauer und Tränen in den Augen.
Karneval in Dortmund ist ja auch eine schwieriges Thema.
Ja, Karneval war auch gar nicht unser Ding. Aber es gab die erfolgreiche Stunksitzung in Köln. Und wir haben uns gedacht: Das können wir besser machen. Noch politischer, Schenkelklopfer auf ganz hohem Niveau. Ja, frech waren wir schon immer.
Wieso lief es dann doch?
Wir haben bekannte Leute bekommen, Franziska Mense-Moritz, Martin F. Risse, Martin Eickmann . . . Das hat uns rasch nach vorne katapultiert. Und ein ganz wichtiger Schritt war dann der Umzug nach Zeche Zollern. Die wunderschönen Räume, das Essen von Tante Amanda und das Ensemble: Das war echte Erlebniskultur.
Aber nun schwächelt der Kartenverkauf. Warum?
Das Ensemble hat sich verjüngt, die neuen müsse erst mal eigene Fans finden. Das ist in Dortmund ja nicht wie in Köln, wo man eine Narrenkappe auf die Bühne werfen kann und alle lachen sich kaputt. Außerdem hat Corona viel kaputt gemacht. Es ist schwer, sich das Publikum nun wieder neu zu erkämpfen.
Ist das beim Festival RuhrHOCHdeutsch auch so?
Nein, zum Glück nicht. Denn wir konnten ja während der Pandemie komplett durchspielen. Übrigens als die einzigen bundesweit.
Wieso?
Weil wir im Schalthaus auf Phönix-West gespielt haben. Das Spiegelzelt durften wir zwar nicht darin aufstellen, aber wir haben die Reihen und Logen quasi nachgebaut, mit Plexiglaswänden. Das Schalthaus hatte ja keine Fenster, der Wind wehte durch die Halle, vertrieb die Viren. Im zweiten Jahr hatten wir sogar eine eigene Teststation.
Kalt und zugig – und da sind Leute gekommen?
Es war rappelvoll, immer ausverkauft. Die Menschen haben gelechzt nach Kultur, die waren da alle gallig drauf.
Wie sind Sie denn auf die Idee zu RuhrHOCHdeutsch gekommen?
Dortmund wollte für die Kulturhauptstadt 2010 ein internationales Aushängeschild haben. Und ich dachte: Bitte kein Tanztheater, das spiegelt doch nicht den Ruhri. Weil wir da schon sehr erfolgreich die Reihe Sommerkabarett im Fletch laufen hatten, bin ich auf die Idee zu RuhrHOCHdeutsch gekommen und damit offene Türen eingelaufen.
Auch bei den Künstlern?
Ja, es waren alle sofort dabei. Es gab wirklich ein Füllhorn, aus dem wir uns bedienen konnten. Herbert Knebel, Goosen, Malmsheimer. Wir hatten sie alle. Auch Dieter Hildebrandt, Wilfried Schmickler, Bernd Stelter und Torsten Sträter. Wir haben zunächst drauf geachtet, dass es Kabarettisten sind, die Mundart sprechen. Wobei das Publikum mit den Füßen abgestimmt hat: Bei Bayern ist kaum einer gekommen.
Nach der Saison 2024 haben Sie Ihr Amt als künstlerischer Leiter abgegeben. Warum jetzt?
Ja, jetzt machen Iris und Helmut Sanftenschneider vom Cabaret Queue das Festival weiter. Die können das, die sind super. Die werden RuhrHOCHdeutsch gut in die nächsten Jahre bringen. Aber 2025 werde ich auch noch dabei sein, bis das Programm steht, dann muss langsam Schluss sein. Irgendwann ist gut, ich werde bald 72. Da muss man auch mal neue Ideen ranlassen.
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Wenn Sie nun zurückblicken: Was war Ihr schwerster Kampf?
Am schwersten war immer die Finanzierung. Sparkasse und DEW waren immer dabei, aber es in Dortmund quasi unmöglich, die freie Wirtschaft ranzukriegen. Dabei müssten die doch Interesse daran haben, die freie Kultur zu unterstützen. Wenn in einer Stadt etwas los ist, dann kann man damit doch auch Fachkräfte werben.
Und Ihr größter Erfolg?
Ich hatte das Glück und vielleicht auch das Können, gute Ideen zu haben. Meine Projekte laufen bis heute. All meine Babys leben noch. Es ist schön, das zu sehen. Da muss ich wohl doch was richtig gemacht haben.
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Glauben Sie, das würde heute auch noch so gelingen? Oder anders gefragt: Wie kann Theater heute noch Zukunft haben?
Ich denke, wir müssen die Jugendlichen rechtzeitig mitnehmen ins Erwachsenentheater. Ich bin sehr froh, dass wir da im Fletch Bizzel mit der Sparte Kids im Bizz eigene tolle Formate gefunden haben. Und ich glaube, Theater darf nicht mit erhobenem Zeigefinger daherkommen. Selbst wenn es um Kriege oder Umwelt geht, muss es dem augenzwinkernd etwas entgegensetzen. Theater muss immer auch gute Unterhaltung sein.