Dortmund.. Der Double-Gewinner Borussia Dortmund findet in der Nationalmannschaft nicht statt. Eingefleischte BVB-Fans bringt das auf die Palme. Selbst vom Revierrivalen aus Gelsenkirchen erntet der Bundestrainer für seine Aufstellung Unverständnis.
Sie haben souverän die Meisterschaft gewonnen und den FC Bayern München im Pokalfinale 5:2 abgefertigt – Borussia Dortmund gilt als die Übermannschaft der Saison 2011/2012. Kein Wunder, denn mit 81 Punkten erreichte der BVB eine Bestmarke für die Ewigkeit und spielte dabei einen temporeichen Fußball, der von vielen Experten als zukunftsweisend angesehen wird.
Nicht von Bundestrainer Joachim Löw. Der hält an einem Block vom Triple-Vize-Gewinner Bayern München fest und schickte mit Sven Bender einen Spieler nach Hause, der unter BVB-Fans den Spitznamen „Chuck“ trägt, in Anlehnung an Alleskönner-Legende Chuck Norris. Für seine Missachtung des Meisters und Pokalsiegers erntet Löw in Westfalen vor allem eines: Unverständnis von BVB-Offiziellen, aber auch von Fans – sogar von Anhängern des FC Schalke.
Bayern haben Erfahrung im Umgang mit Niederlagen
„Natürlich haben die Bayern mehr internationale Erfahrung“, sagt BVB-Fan Olaf Suplicki, und fügt als Spitze hinzu: „In dieser Saison haben sie hauptsächlich Erfahrung darin gesammelt, mit Niederlagen umzugehen.“ Suplicki, Urgestein der Dortmunder Fanszene, kann „nicht nachvollziehen, was Löw da macht“.
Insbesondere die Reservistenrolle von Mats Hummels macht dem Dortmunder zu schaffen: „Hummels hat die beste Spieleröffnung aller Innenverteidiger in Europa. Wenn Löw ihm die verbietet, ist sein System nicht aktuell. Er setzt auf das System der Bayern, aber die haben in dieser Saison keinen Titel gewonnen.“ Der ehemalige Vorsitzende der BVB-Fanabteilung vermisst beim FC Bayern die mannschaftliche Geschlossenheit, die für einen Titelgewinn benötigt werden und fordert Spieler, die sich für ihr Team zerreißen: „Man braucht einen wie Kevin Großkreutz, der brennt und rennt!“
Das Ergebnis des Löwschen Verzichts auf BVB-Profis: „Ich kann mich mit dieser Nationalmannschaft nicht identifizieren. Aber andererseits ist es doch auch okay – so kann sich wenigstens kein Dortmunder verletzten“, so Suplicki. Sein säuerlich-sarkastischer Tipp für die Europameisterschaft: „Argentinien macht’s.“
Im Finale sollen Dortmunder spielen, um nicht nur Vize zu werden
Suplickis Amtsnachfolger bei der Fanabteilung, Marco Blumberg, sieht die Sache nicht ganz so drastisch. Aber: „Grundsätzlich finde ich es sehr schade wenn die BVB-Spieler, die in den letzten Jahren für sehr viel Freude auf dem Platz gesorgt haben und überall für den Einsatz und die Spielfreude gelobt wurden, nicht berücksichtigt werden sollen“, so der BVB-Fan und fügt augenzwinkernd hinzu: „Hauptsache, im Finale spielen dann wieder die Dortmunder, damit wir nicht nur Vize werden.“ Der BVB habe zwei Jahre lang gut funktioniert. Internationale Erfahrung, so Blumberg, ließe sich nur sammeln, wenn man sich auch in Spielen beweise dürfe.
BVB-Fan Michael Badura stößt insbesondere die Rolle von Mats Hummels sauer auf. „Mats Hummels hat die beste Spieleröffnung der Liga. So stark, dass er mittlerweile von Gegner in Manndeckung genommen wird“, beschreibt Badura die Stärke des Innenverteidigers. Generell sieht der die Borussen im Vorteil gegenüber den Bayern-Profis: „Ganz Fußballdeutschland hat nun zwei Saisons lang den Spielstil des BVB über den grünen Klee gelobt. Selbst Joachim Löw hat in diversen Interviews den Spielstil gelobt“, so das Mitglied des BVB-Jahrhundertchors. Sein Fazit: „Wenn Löw nun auf Schnelligkeit, frische Ideen, hohe Laufbereitschaft etc. verzichtet, ist das für den neutralen Beobachter nicht nachvollziehbar.“
BVB hat gegen alle Spitzenteams der Liga gewonnen
Insbesondere Löws Bezug auf die fehlende internationale Erfahrung der Borussen und der Hinweis, bei der EM spiele man nicht „gegen Hoffenheim oder Nürnberg“ geht den BVB-Fans gegen den Strich. „Wer hat denn fünf Mal hintereinander gegen die Bayern gewonnen?“, fragen sie und zählen auf, dass die Dortmunder gegen den Zweiten der Liga – Bayern – drei Siege (inklusive Pokal), gegen den Dritten – Schalke – zwei Siege und gegen den Viertplatzierten – Gladbach – einen Sieg und ein Unentschieden erreichten.
Der Blogger „Dembowski“ schimpft: „Deutschland ist das neue England. Titelkandidat, der Boulevard liebt es. Die Löwsche Personalpolitik, ein System aus Abhängigkeiten, Gefallen, Erklärungsnöten und Selbstüberschätzung. Götze, Schmelzer, Gündogan? Geschenkt! Aber Hummels. Geht es noch???“
Gelassener sieht Thilo Danielsmeyer vom Dortmunder Fan-Projekt die ganze Angelegenheit. „Ich glaube, dass unsere Jungs beim BVB besser spielen als in der Nationalmannschaft“, sagt er. In den meisten Fällen könne er daher Löws Entscheidungen verstehen – außer bei Mats Hummels. „Ich kann nicht nachvollziehen, warum Löw ihn nicht spielen lässt. Damit tut er sich keinen Gefallen, wenn’s schief geht.“ Das Positive an der Situation sei, dass sich die BVB-Spieler nicht verletzen könnten. Danielsmeyer rät den BVB-Fans „den Ball flach zu halten“ und verweist auf die „vielen Fußballfeste, die wir in den letzt zwei Jahren in Dortmund gefeiert haben.“
Unaufgeregt ist auch Dr. Andreas Weber, Sprecher der Westfalenhallen. Er sieht keine Gefahr, dass wegen Löws Personalpolitik eventuell weniger Fans zum Public Viewing in die Westfalenhalle strömen: „Es geht ja um die Nationalmannschaft, nicht um Borussia Dortmund“, so Weber. Er glaube auch nicht, dass Löw aus „Mobbing-Gründen“ auf die Dortmunder verzichte, sondern aus spieltaktischen Erwägungen. Den Fans beim Public Viewing sei vermutlich egal, ob Mario Gomez oder Mario Götze das 5:0 schießt.
"Kuba ist Europameister"
Rutger Koch vom Online-Fanzine "Die Kirsche" sieht die Verantwortung für die Aufstellung bei Jogi Löw und findet es "aus objektiver Sicht durchaus nachvollziehbar", wie der Bundestrainer sein Team aufstellt, habe ihm doch "bei der Führung der DFB-Elf im Stile einer Vereinsmannschaft mit einhergehender Abschaffung des Leistungsprinzips in gewisser Weise der Erfolg Recht gegeben."
Eher inakzeptabel seien allerdings Löws Äußerungen, die vollkommen unnötigerweise nicht nur die Leistungen von "Deutschlands mit Abstand bester Fußballmannschaft der letzten beiden Jahre geringschätzen, sondern nebenbei auch noch andere Bundesligisten als leichtgewichtige Sparrings-Partner einstufen. Letzteres erst recht ohne Not." Koch weiter: "Er hätte seine Entscheidung entweder gar nicht, oder eben anders begründen sollen. Vielleicht etwas diplomatischer und etwas respektvoller. Oder halt ganz ehrlich – zum Beispiel so: 'Das ganze Rumgerenne und dieses schweißtreibend schnelle Umschalten dieser Doublesieger kann ich nicht gebrauchen. Das zerstört das ganze Mannschaftsgefüge. Ich brauche Spieler, die die Bälle an der Mittellinie auch mal ruhig hin und her schieben können, um es dann immer abwechselnd und in aller Ruhe über die Außen zu versuchen.""
Rutger Koch sieht Verquickungen von "Jogis dienstlichen Präferenzen mit seinen geographischen Vorlieben". Bei Mats Hummels habe Löw einen "Knick in der Optik" sowie eine weltexklusive Meinung. Der BVB-Fan schlägt daher vor: "Die Vize-Bayern turnen für Deutschland rum, um am Ende Zweiter zu werden und die Borussen, von denen sich so wenigstens keiner verletzen kann, starten dann etwas ausgeruhter in die neue Saison. Gefällt mir eigentlich ganz gut. Der soll unsere Jungs also auch bitte nicht zu viel einwechseln. Und überhaupt: Die lustigste Schlagzeile nach der EM wäre ohnehin „Kuba ist Europameister“.
Solidarität sogar aus Schalke
Beim Thema „Nationalmannschaft“ greift sogar die oft beschworene Ruhrpott-Solidarität, denn Kritik an Löws Aufstellung kommt auch aus dem blau-weißen „Feindesland“. Frank Arndt, Vorsitzender des Schalker Fanclub-Verbandes, mokiert den einseitigen Verlass des Bundestrainers auf den Bayern-Block: „Eine Nationalmannschaft braucht natürlich Stammspieler.
Auf der anderen Seite sollten sich darin aber auch die Top-Spieler der vergangenen Saison wiederfinden. Ein Mats Hummels oder ein Marco Reus gehören für mich klar dazu.“ Es sei seit Jahren so, dass Bayernspieler einen „Freifahrtschein“ für die Nationalmannschaft hätten. „Die Leistungen eines Sebastian Schweinsteigers werden jedoch völlig überbewertet“, sagt Arndt. Der Bundestrainer sei für eine gesunde Mischung des Kaders verantwortlich – das würde nicht immer gelingen. Dass Schalkes Nachwuchsstar Julian Draxler in Polen und der Ukraine nicht antritt, sieht Arndt übrigens mit einem lachenden und einem weinenden Auge: „Julian hat eine große Zukunft vor sich. Als Fan freue ich mich, dass er jetzt regenerieren kann. Für ihn wäre es natürlich schön gewesen aber er wird noch seine Chance bekommen.“