Dortmund..
Es ist 16.45 Uhr, da stehen sie nach sieben Stunden glücklich auf. Sieben Stunden, die sie in der brennenden Sonne auf dem Asphalt ausharrten – um zu zeigen, dass Rechte in ihrer Stadt nichts zu suchen haben. Und das mit Erfolg: Mehr als 100 Bürger haben am Samstag mit einer friedlichen Sitzblockade erreicht, dass 763 Neonazis ihre Demoroute ändern mussten.
Der Jubel ist ohrenbetäubend. Mindestens so laut wie ihr wütendes „Nazis raus“, das Sekunden vorher über die Schützenstraße fegt. Die Glocken der Pauluskirche läuten: Die Nazis haben ihre Route ändern müssen.
Und jene, die diese Sitzblockade des Bündnisses „Dortmund Nazifrei“ mit völlig Blockade-unerfahrenen Bürgern organisiert und vorbereitet haben, sie können es noch nicht so richtig fassen. Können nicht fassen, dass die Nazis „abdrehen“. Daniela Schneckenburger, Dortmunder Landtagsabgeordnete Bündnis 90/Die Grünen, kommt gerade von einer anderen Kundgebung gegen Rechts zu den Blockierern. Insgesamt laufen an diesem Tag im ganzen Stadtgebiet über 30 verschiedene Friedensfeste, Kundgebungen, Demonstrationen. Als die Kirchenglocken zu läuten beginnen, kommen ihr die Tränen: vor Rührung, vor Freude, vielleicht auch vor Erleichterung.
Denn so friedlich, ja fröhlich dieses bunte Völkchen hier die ganze Zeit auch ausharrte: Dass die Menschen nicht „weggeräumt“ wurden, ist vor allem dem besonnenen Handeln der Polizei zu verdanken. Letztlich gab es auch Beistand von „ganz oben“ – und das sogar unter Missachtung der sonntäglichen Kirchenruhe...
Gegendemonstranten übernachten im Viertel
„Wenn ihr wollt, könnt ihr euch auch gerne auf unser Gelände setzen“, bietet Pfarrer Friedrich Laker gegen 15.20 Uhr den Blockierern an, die direkt vor der Kirche auf der Straße sitzen. Zu diesem Zeitpunkt ist noch nicht klar, dass die Nazis durch eine Nebenstraße geleitet werden. Auf Nachfrage sagt der Geistliche: „Klar, ihr könnt auch Krach machen und rufen, was ihr wollt.“
Zuvor hatte die Polizei den Vorschlag gemacht, den Demonstrationszug der Rechten an den Blockierern vorbeizuführen. „Man könnte dann das eine tun, ohne das andere zu lassen“, macht der Beamte in geduldigem Ton noch einmal das Dilemma deutlich, in dem die Polizei steckt: den Neonazis, so sehr das auch den Unmut der Dortmunder erregt, ihre genehmigte Route zu ermöglichen. Mit diesem Kompromiss hat die Polizei bereits am Vorabend gute Erfahrungen gemacht. Doch in dieser Runde, an diesem Tag, da stößt der Vorschlag auf wenig Gegenliebe, wird mit einem bestimmten „hinsetzen, hinsetzen“ beantwortet.
Seit 9.15 Uhr wird jeder so begrüßt, der sich der Runde in der abgesperrten Straße nähert. „Die meisten haben hier im Viertel übernachtet. Sonst wären wir ja überhaupt nicht mehr auf die Straße gekommen“, spricht Helmut Manz, stellvertretender Landessprecher der Linken in NRW, das gigantische Polizeiaufgebot in den abgesperrten Straßen an. Mal eben einen Freund zu besuchen, das geht an diesem Samstag nämlich nicht: Rein kommt nur, wer per Personalausweis nachweisen kann, dass er hier wohnt. Und auch Anwohner müssen zum Teil mit ihren Einkaufstaschen Umwege in Kauf nehmen.
„Ayran“ zur Stärkung
Doch wer hier übernachtete, der kann jetzt in aller Ruhe der Dinge harren, die da kommen. „Wir haben gestern erst noch ein bisschen Wein getrunken und wollen mal gucken, was das hier so gibt“, meint Thomas. Mit seiner Clique könnte er auch auf irgendeiner Parkwiese hocken: Einige räkeln sich auf ihren Wolldecken, man quatscht, hält seine Nase in die jetzt noch angenehme Morgensonne – Widerstand kann auch herrlich entspannt sein.
Schluss mit Fläzen und Haltung annehmen ist dagegen angesagt, wenn sich, wie zum ersten Mal gegen 10.50 Uhr, mehrere Polizisten nähern. „Lösen Sie die Versammlung unmissverständlich auf“, dröhnt es mit drohendem Unterton durch den Lautsprecher. Gellendes Pfeifkonzert, kurz darauf läuten zum ersten Mal die Glocken. „Ihre Versammlung wurde aufgelöst, begeben Sie sich unverzüglich in die Mallinckrodtstraße. Sie verstoßen gegen Paragraf 21 des Versammlungsgesetzes“, ist wieder scheppernd aus dem Lautsprecher zu hören. Von Strafanzeigen ist da die Rede, die auf die Blockierer zukommen könnten.
So richtig beeindruckt ist niemand – und schon mal gar nicht Renate Schmitt-Peters: Die 76-jährige Dame mit den schlohweißen Haaren steckt mit ihrer langjährigen Erfahrung nämlich alle in die Tasche. „Meine erste Blockade war 1958. Da gab es eine Demo, und zwar ungefähr da, wo jetzt der Dortmunder Flughafen ist. Damals sollten Atomraketen stationiert werden.“ Die Runde klatscht begeistert, ruft „Hinsetzen“, und Frau Schmitt-Peters gleitet ganz geschmeidig zu Boden – gelernt ist gelernt.
Während die Blockade von der Polizei geduldet wird, beobachten Anwohner im „Café Europa“ interessiert „das Spektakel“, so ein älterer Mann. Der Chef eines anderen Ladens eilt auf die Blockierer zu, versorgt sie unentgeltlich mit „Ayran“, einem türkischen Joghurt-Getränk. So ist Dortmund, so ist besonders die oft gescholtene Nordstadt. Gastfreundlich, bunt, tolerant – nur nicht gegen Nazis.