Dortmund..

Eine Stadt im Ausnahmezustand: Eine Nazi-Demo mit 763 Rechtsradikalen brachte am Samstag mehr als 10.000 überwiegend friedliche Gegendemonstranten auf Dortmunds Straßen. In der Nordstadt eskalierte die Situation zeitweilig, neben Sitzblockaden griffen 1500 Gewaltbereite aus dem linken Lager auch Polizisten an. 16 von etwa 4000 Einsatzkräften wurden zum Teil schwer verletzt, Wasserwerfer und Pfefferspray kamen zum Einsatz. Es gab 271 Festnahmen.

Herrlicher Sonnenschein und doch dunkle Wolken über Dortmund: Im Zuge des Antikriegstages verabredeten sich Rechtsradikale und Linksautonome zu großen Kundgebungen in der Westfalen-Metropole. Die beste Nachricht eines mitunter turbulenten Tages: 10.000 Bürger kamen zu den fast 30 Gegenveranstaltungen und demonstrierten friedlich für Demokratie und gegen Extremismus. Vor allem die von der Schlagzeile her sinngebende Kundgebung „Dortmund bunt statt braun“ zog Tausende an. Zusätzliche Symbolik dabei: Die friedfertigen Bürger zogen von der Katharinentreppe in die Nordstadt. Jenem (Problem)viertel, in dem viele Ausländer wohnen und das am Samstag wegen der Nazi-Demo sowie gewaltbereiten Linken zum Sperrgebiet erklärte wurde.

Allein die Präsenz von ca. 4000 Polizisten, Wasserwerfern und Räumfahrzeugen dokumentierte dort den Ausnahmezustand. Während viele Hundertschaften mit massivem Begleitschutz die 763 Rechtsradikalen aus ganz Europa in Schach halten konnten, eskalierten zeitweise die Auseinandersetzungen mit dem linken Lager. Einige der 1500 gewaltbereiten Autonomen griffen etwa in der Schillerstraße einen Polizei-Bulli an und warfen mit Pflastersteinen, Flaschen oder gar Fernsehern, was die Einsatzkräfte mit einem Wasserwerfer und Einkesselungen beantworteten. Der radikalste und heikelste Moment am - in vielerlei Hinsicht - heißen Samstag von Dortmund.

Insgesamt gab es 16 verletzte Polizisten, drei davon schwer. Sieben „Linke“ wurden ebenfalls verletzt. Dortmunds Polizeipräsident Hans Schulze resümierte daher am Abend angesichts der neuen Dimension von Gewaltbereitschaft: „Es war ein erfolgreicher Einsatz unter erheblich erschwerten Bedingungen. Für die Beamten hat es dabei ein erhebliches persönliches Risiko gegeben.“

In der Bülowstraße wurden Polizisten massiv mit Steinen beworfen, woraufhin sie 248 Linksautonome einkesselten. Insgesamt kamen am Samstag aus dem linken Lager 258 in die „Gefangenensammelstelle“. Unter den Festgenommenen waren auch 68 Jugendliche. Bemerkenswert. Ebenso die Wahl der Waffen. Auch Pfefferspray kam zum Einsatz, und auf Pyrotechnik sowie Wurfgeschosse reagierte die Polizei beizeiten mit Schlagstöcken.  

Mit Spannung wurden die im Vorfeld heiß diskutierten Sitzblockaden der Gegendemonstranten erwartet. Drei Proteste dieser Art sorgten für besonderes Aufsehen, wobei die Polizei zwei auflöste. Bei der Sitzblockade an der Westerbleichstraße trug sie 80 Demonstranten weg, an der Uhlandstraße 30. Dabei gingen die Einsatzkräfte - je nach Sichtweise - konsequent oder rabiat vor. Während Oberbürgermeister Ullrich Sierau sich nirgends richtig niederließ, nahm dagegen etwa Regierungspräsident Gerd Bollermann Platz. Richtig erfolgreich war jene an der Schützenstraße/Kirchenstraße mit gut 100 Teilnehmern, darunter viele (vorwiegend grüne) Politiker. Die Sitzblockade löste sich nach frühem Beginn am Vormittag erst am späten Nachmittag friedlich auf mit der Genugtuung, dass deswegen die Route der Nazi-Demo geändert wurde.

Denn die (handgezählten) 763 von erwarteten 1000 Neonazis wollten nach ihrer mittäglichen Auftaktversammlung an der Grünen Straße über die Mallinckrodtstraße durch die Schützenstraße marschieren, was die Polizei mit einer spontan veranlassten Zwischenkundgebung erst verzögerte und dann auf die parallele Blücherstraße führte. Polizeipräsident Schulze nannte dies einen „schwierigen Einsatz mit glücklichem Ausgang“. Ohne nennenswerte Zwischenfälle gelangten die aus ganz Europa angereisten Rechtsradikalen zur Abschlusskundgebung am Parkplatz Speestraße, ehe die Einsatzkräfte die Neonazis in Gruppen via U-Bahn vom Hafen zum Hauptbahnhof eskortierte. Dieser blieb einige Minuten abgeriegelt, damit die rechten Gruppen im Wesentlichen mit zwei Entlastungszügen Dortmund am frühen Abend verlassen konnten.

Ärger gab es am Abend mit rechten Störenfrieden ausgerechnet beim abschließenden Friedensfest in Dorstfeld. Durch ein Kommunikationsproblem der Polizei konnten etwa 50 Rechte dort unbeaufsichtigt agieren, ehe sie einen (Wilhelm)Platzverweis erhielten und einer aus dieser Gruppe in Gewahrsam kam. Insgesamt wurden 13 Neonazis am Samstag festgenommen. Generell hatte die Polizei mit ihrer strikten Abriegelung und konsequenten Trennung (auch an unscheinbaren Durchgängen) aber Erfolg: Zwar konnten sich Rechte und Linksautonome immer wieder mal bei ihrem Marsch durch die Nordstadt sehen, doch Absperrungen verhinderten ein Aufeinandertreffen. Somit blieb es bei gegenseitigen Pöbeleien und Beschimpfungen über maximal 50 Meter Luftlinie.

Zurück zur zivilisierten Gesellschaft. Die versammelte sich bereits um 9 Uhr, wobei etwa der in Dortmund wohnende NRW-Arbeits- und Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) angesichts zunächst geringer Resonanz zunächst feststellte: „Das ist ausbaufähig, aber wir werden sehen, dass die Braunen keine Chance haben.“ Er sollte Recht behalten. Über den Tag verteilt demonstrierten etwa 10.000 Menschen friedlich für Demokratie, darunter Kinder, Familien, Ausländer, Politiker, Kirchenvertreter, Gewerkschaftler und viele mehr.

Ob Sierau war dementsprechend zufrieden mit den Bürgern im „weltoffenen“ Dortmund und lobte nicht zuletzt die erfolgreiche Sitzblockade an der Schützenstraße/Kirchenstraße. Kernsätze seiner vielen Reden am Samstag: „Nazis sind in kleiner Zahl hier in Dortmund. 30 bis 40 unter 60.000 Dorstfeldern. Sie können nicht Fuß fassen.“ - „Wir setzen ein deutliches Zeichen, dass sich die Stadt ihren Namen nicht von Nazis besudeln lässt.“- „Heute ist der Tag, an dem wir zeigen: Dortmund ist die Hauptstadt des Widerstandes gegen Rechts.“ - „Eine Demokratie muss wehrhaft sein und sich friedlich zur Wehr setzen.“ Und vor allem über die Verwirklichung einer Aussage würden sich alle friedfertigen Bürger wohl freuen: „Wir werden in Dortmund noch erleben, dass es hier keine Nazi-Aufmärsche mehr gibt.“