Bottrop. Vor zwei Jahren meldete Bottrop den ersten Corona-Fall in der Stadt. Einer der Infizierten der ersten Stunde erinnert an den Beginn der Pandemie.
Es ist Freitag, der 13., als Harald Hofer „fluchtartig“ Österreich verlässt. Die Grenzen machen zu, heißt es in den Nachrichten. Der Mediziner befindet sich in seiner Ferienwohnung in St. Anton, fürchtet, nicht mehr nach Hause zu kommen, was im Nachhinein unbegründet ist. Aber die Lage ist damals unübersichtlich, das Coronavirus soeben in Europa angekommen. Harald Hofer ist zu diesem Zeitpunkt gerade an Covid-19 erkrankt, weiß es aber noch nicht.
März 2020: Mit Corona im österreichischen St. Anton
Einige Tage zuvor: Dr. Harald Hofer, heute medizinischer Leiter des Bottroper Impfzentrums, damals Anästhesist in seiner eigenen Praxis, feiert am 6. März einen Geburtstag in Dinslaken. Ein kleiner Raum, 60 Gäste, acht von ihnen sind gerade aus Ischgl zurückgekommen. Der damals 62-Jährige unterhält sich intensiv mit den Skiurlaubern, er selbst fährt zigfach im Jahr zum Vorarlberg.
So auch zwei Tage später: Er genießt den Schnee in St. Anton, bis er am 10. März ernsthaft erkrankt. Knapp 40 Grad Fieber, starkes Unwohlsein. Zwei Tage später geht es ihm aber wieder besser, als er hört, dass wegen Corona die Grenzen schließen sollen. „Auf dem Heimweg haben alle nur noch über Corona gesprochen.“ Zu Hause angekommen geht Harald Hofers Immunsystem noch einmal in die Knie: „Ich hatte Kreislaufprobleme, wie ich sie noch nie gehabt habe.“
Erster deutscher Corona-Fall im Januar 2020, erster Bottroper Fall am 9. März
Damals ist er sich noch nicht sicher, ob er sich mit dem neuartigen Coronavirus, das erstmals im chinesischen Wuhan Ende Dezember des Vorjahres nachgewiesen wurde, angesteckt hat. Am 11. März 2020 ruft die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Ausbreitung von SARS-CoV-2 zur weltweiten Pandemie aus.
Der erste deutsche Fall datiert bereits aus Januar; in der Kleinstadt Stockdorf bei München stecken sich mehrere Mitarbeiter des Autozulieferers Webasto auf einer China-Reise an. In Nordrhein-Westfalen breitet sich das Virus mit der Rückkehr von Skifahrern aus Tirol und den Karnevalsfeiern am Niederrhein aus.
Bottrop verzeichnet seinen ersten Corona-Fall am 9. März 2020. Nach einer Woche gibt es vier Infizierte in der Stadt, nach einem Monat 84.
Bundesregierung im März 2020: „Sie sollen keine anderen Menschen treffen“
Inzwischen ist auch die Frau von Harald Hofer erkrankt, sie hat starke Muskelschmerzen, ansonsten fühlt sie sich relativ gut. Ab diesem Zeitpunkt geht das Ehepaar in den nächsten Monaten um 20 Uhr ins Bett. „Wir waren so erschöpft.“ Bei seiner Frau bleiben die Symptome im Sinne eines Long-Covid-Erschöpfungssyndroms. Das Ehepaar, beide Mediziner, vermuten eine Begleit-Herzmuskelerkrankung. Hofers Frau kann bis heute nicht mehr längere Strecken joggen, was früher kein Problem für sie war.
Ein Nachbar, der sich zeitgleich mit den beiden infiziert hat, ebenfalls vermutlich auf der Geburtstagsfeier, liegt drei Wochen lang im Bett. Er braucht letztlich eineinhalb Jahre, um über die Krankheit hinweg zu kommen, spürt noch immer die Nachwirkungen.
Die Lage vor zwei Jahren ist nicht vergleichbar mit der heutigen. Es herrscht Unsicherheit. Am 16. März 2020 beschließt Deutschland den Lockdown, der am 22. März beginnt. Die Bundesregierung schreibt damals auf ihrer Homepage: „Sie sollen keine anderen Menschen treffen. Bleiben Sie am besten zu Hause.“ Restaurants und Geschäfte schließen. Der Präsenzunterricht an den nordrhein-westfälischen Schulen ist bereits seit dem 16. März ausgesetzt.
Corona in China: „Angst, dass sich das rasend schnell ausbreitet“
„Die Maßnahmen waren gerechtfertigt, wenn man die Bilder aus Wuhan gesehen hat“, sagt Harald Hofer heute. Die Straßen leer, die Menschen in ihren Wohnungen in riesigen Hochhaus-Komplexen eingesperrt, Krankenhäuser werden von Baggern aus dem Boden gehoben. „Aus den Bildern sprach die Angst, dass sich das rasend schnell verbreiten wird“, sagt der Anästhesist. „Die Angst wurde geboostert durch die Bilder aus China.“
Viel Vorsicht und Unsicherheit erleben er und seine Frau auch gegenüber ihrem Umfeld, als sie selbst erkrankt sind. Der Nachbar, der viele Meter entfernt, noch mal drei Schritte zurückgeht, als er Harald Hofer sieht. „Wir haben uns vor allem um andere geängstigt“, sagt Hofer. Die Freunde und Familie, die Eltern, die noch gefährdeter sind. „Um unser Leben haben wir uns nicht viele Gedanken gemacht.“
Impfstoff gegen Corona: „Fehler in der Vermarktung“
Zwei Wochen Quarantäne ziehen die beiden durch, auch wenn der PCR-Test von Harald Hofer nach seiner Rückkehr aus Österreich negativ ist. Ein Antikörper-Test vier Wochen später weist aber deutlich auf die Infektion hin. Glücklicherweise ist das Wetter im März 2020 ein besseres als dieses Jahr, die Tage lassen sich gut im Garten bei milden Temperaturen verbringen.
Rückblickend sieht Harald Hofer keine großen Fehler in den Maßnahmen, die unternommen worden sind. „Wir wussten es nicht besser“, sagt er. Ja, Gesundheitsämter hätten sich besser vernetzen, der Gesundheitsminister schneller reagieren müssen. „Aber die Regeln waren gerechtfertigt, sonst hätte es noch mehr Fälle, noch mehr Tote gegeben.“ Lediglich die Kommunikation rund um den Impfstoff hätte besser laufen können, „der Fehler lag in der Vermarktung“, sagt der medizinische Leiter des Bottroper Impfzentrums.
Omikron könnte Ende der Pandemie bringen
Er hofft, dass nun, mit Omikron, ein Ende der Pandemie naht, dass mit dieser Virusvariante die Lage endemisch wird, wir mit dem Virus als leichte Erkrankungen lernen zu leben. „Ganz ausgerottet kriegen wir das aber nicht mehr.“ Eine begründete Furcht bleibe.
Anfang 2022 steckt sich Harald Hofer noch mal mit dem Coronavirus an. Nun, dreimal geimpft, ohne Symptome.
Artikel über Corona seit 2020
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