Bochum. In der Härterei Reese steht Europas größter Härteofen. Warum bei einem Gas-Lieferstopp die Not der Bochumer Firma nicht das größte Problem wäre.

Bochums größten Gas-Kunden könnte im Ernstfall der Hahn zugedreht werden. Zu ihnen zählt auch die Härterei Reese. Welche Risiken ein plötzlicher Gas-Lieferstopp hätte und wie begrenzt die Möglichkeiten zum Gas-Einsparen in diesem Industriebereich sind, erklärt Geschäftsführer Philip Reese bei einem Rundgang durch seinen Betrieb.

Die Grenzen des Gas-Sparen: Bochumer Härterei Reese befürchtet Lieferstopp

Fünf Meter Durchmesser, fünf Meter Tiefe. „Das ist der größte Härteofen Europas“, ruft Reese über den Lärm hinweg und steigt auf die Abdeckung des zylinderförmigen Ofens, an den zahlreiche Zu- und Ableitungsrohre angeschlossen sind. „Endogas“, „Propan“, „Stickstoff“ und „Erdgas“ steht darauf. Ohne Gas würde die Bochumer Firma, die Reese nun in dritter Generation führt, stillstehen. Dieses wird zu 95 Prozent zum Erhitzen der Öfen – auf 800 bis 1000 Grad – benötigt. Zudem stellt die Bochumer Firma daraus ein Gasgemisch her, das in den Öfen für die richtige Atmosphäre zur Wärmebehandlung sorgt.

In einem Bochumer Industriegebiet steht Europas größter Härteofen.
In einem Bochumer Industriegebiet steht Europas größter Härteofen. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

In den fünf großen und vielen kleineren Härteöfen werden Stahlteile, meist Verzahnungsteile, beispielsweise metergroße Zahnräder, wärmebehandelt und so gehärtet. „Meistens geht es dabei um Antriebstechnik. Wir härten also Bauteile für ein Getriebe, eine Mühle, einen Schiffsmotor – das sind Unikate“, erläutert der Geschäftsführer. Wenn seinem Unternehmen von heute auf morgen das Gas abgestellt würde, würde das einen Anlageschaden zur Folge haben. „Ein Ofen ist auch nur aus Stahl gebaut, wächst und schrumpft. Wenn der nicht kontrolliert heruntergefahren wird, reißt der.“

Doch nicht nur das. Die internationale Kundschaft fertige ihre Bauteile monatelang, bevor sie sie zum Härten nach Bochum liefern. Im Ofen müssen die Teile dann bis zu zwei Wochen bleiben. „Und wenn die Wärmebehandlung für ein Bauteil einmal gestartet ist, muss sie zu Ende geführt werden“, so der Geschäftsführer, „Endet die Gaszufuhr zwischendurch, sind die Bauteile dann Schrott.“ Bei einer Großteilcharge liege der Materialwert allein bei mindestens einer halben Million Euro.

20 Millionen kWh Gas

Die Härterei Reese, nach eigenen Angaben einer der „Top 10 der größten Gasabnehmer in Bochum“, verbraucht am Standort Bochum im Jahr rund 10 bis 11 Millionen Kilowattstunden Strom und rund 20 Millionen Kilowattstunden Gas.Für die Großöfen ist ein Energieträger notwendig, der immer zur Verfügung steht, halbwegs preisstabil ist und zum Standort gebracht werden kann, sagt Philip Reese. Er gehe davon aus, dass in den nächsten Jahren deutlich mehr Wasserstoff in das aktuelle Erdgasnetz beigemischt wird – und stelle seine Brenner darauf um.Für den Fall der Fälle hat Reese bereits ein Ranking erstellt für Bauteile, die zur kritischen Infrastruktur zählen und daher „auf jeden Fall weiterverarbeitet werden müssen“. Das seien beispielsweise Bauteile im Energiesektor, solche, die zur Öl- und Gasförderung oder in Windenergieanlagen eingesetzt werden, sowie Mühlen in der Bergbau- oder Lebensmittelindustrie.

Begrenztes Gas-Einsparpotenzial

Die Möglichkeiten, Gas einzusparen, seien in seinem Unternehmen begrenzt. Wenn er seine Öfen, die aktuell jeden Tag rund um die Uhr laufen, seltener mit den Gasbrennern beheize, gehe das direkt mit einem Umsatzverlust einher. Die Temperaturhaltezeit der Öfen könne er auch nicht senken. „Es gibt vorgegebene Temperaturen, auf die die Stahlbauteile erwärmt werden müssen – das sind physikalische Gesetze. Wenn wir daran sparen, wird das Ziel der Wärmebehandlung nicht erreicht“, erklärt der Ingenieur.

Zumal Energie schon in den letzten Jahren zum Haupt-Kostenfaktor des Unternehmens geworden ist, habe Reese in die Dämmung seiner Öfen investiert. „Wir haben auch massiv die automatische Regelung optimiert, um die Anlaufzeiten zu verkürzen.“ Alle weiteren „low hanging fruits“ – also leicht umsetzbare Energiesparmaßnahmen – habe er in den vergangen Jahren schon „abgegrast“.

Härtereien befänden sich derzeit in einer absurden Situation, so Philip Reese. Aufgrund der hohen Strompreise und der energiepolitischen „Achterbahnfahrt“ der letzten Jahre habe sich die Branche dazu gedrängt gefühlt, in Gas-Anlagen zu investieren. Mit dem Angriff Russlands „wollen auf einmal alle wieder weg vom Erdgas“. Zwar könne er seine kleineren Öfen elektrisch beheizen. Und bei der Herstellung technischer Gase könne er bei einem akuten Erdgas-Mangel kurzfristig die Versorgungslücke mit anderen Gasen schließen – aber für diese sei als Grundrohstoff auch Erdgas notwendig.

„Mit dem Russlandkonflikt kam bei uns die Panik hoch!“

„Mit dem Beginn des Russlandkonflikts kam bei uns die Panik hoch. Mein Ko-Geschäftsführer Jörg Döllekes hat geprüft, ob wir einen oder zwei der Großöfen auf Strom umrüsten können, um lieferfähig zu bleiben“, berichtet Reese. „Ich habe das den Stadtwerken vorgeschlagen – aber die haben abgelehnt“, so Reese lachend, „Das gibt das aktuelle Stromnetz nicht her. Wenn wir hier die Öfen anstellen würden, geht im Rest der Straße das Licht aus.“

Philip Reese führt die Bochumer Härterei in dritter Generation.
Philip Reese führt die Bochumer Härterei in dritter Generation. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Nach Absprachen mit dem Netzbetreiber habe er kein gutes Gefühl. Er hoffe, auf etwas Vorlauf, um auf einen eventuellen Gas-Engpass reagieren zu können. „Daher habe ich den Stadtwerken vorgeschlagen: ,Ich verbrauche nur noch 70 Prozent des üblichen Verbrauches bis Jahresende und ihr garantiert mir, dass ihr das Gas nicht abstellt’“, so Reese. Eine entsprechende Absprache sei aber rechtlich nicht möglich.

Ein Schritt, der ihm vor einem Jahr noch unvorstellbar war, müsse der Geschäftsführer jetzt gehen: „Zum 1. September rechnen wir mit einer starken Kostensteigerung unserer Energie und erhöhen daher unsere Preise um 17 Prozent“, erklärt der Härterei-Chef.

„Unser Umsatz an diesem Standort von 15 bis 20 Millionen ist volkswirtschaftlich irrelevant – wenn der wegfällt, ist das sicherlich verschmerzbar“, so Reese, „Aber der Wert der Bauteile, die hier im Jahr durchgehen, geht sicherlich in die Milliarden hinein.“ Könne Reese nicht mehr liefern, hätten auch seine Kunden aus dem Maschinenbausektor ein erhebliches Problem.